Trauernde versammeln sich am Gefängnis La Sante.

Nach Gefangenenbefreiung mit Toten Droht Frankreich eine "Mexikanisierung"?

Stand: 15.05.2024 19:21 Uhr

Nach dem Überfall auf einen Gefangenentransport mit zwei Toten wird in Frankreich weiter nach den Tätern und dem befreiten Häftling gesucht. Rechte Politiker versuchen, aus der Tat politisches Kapital zu schlagen.

Er mochte Motorräder und grillen mit seinen Freunden. Und er liebte seine Frau, im fünften Monat schwanger, für die er zum Gefangenentransport nach Caen gewechselt war, um die Wochenenden frei zu haben. Arnaud Garcia, 34 Jahre jung, einer der beiden getöteten Gefängniswärter. An diesem Tag hatte er einen Kollegen vertreten - sein Verhängnis.

"Er war so glücklich, dass er Papa wird", sagt der Bürgermeister seines Wohnortes Blangy-le-Château, Dorian Coge. "Er hat sich extra versetzen lassen, um dann Zeit für sein Kind zu haben. Es ist wirklich hart."

Trauer und Wut bei den Kollegen

Der zweite Getötete hinterlässt zwei volljährige Kinder. Von den drei Schwerverletzten ringt einer nach einem Kopfschuss mit dem Tod. Um 11 Uhr haben Gefängniswärter landesweit eine Schweigeminute abgehalten. Sie lieferten nur den Mindestdienst - kein Besuch, keine Aktivitäten, keine Transporte für die Insassen.

Camille ist Wärterin im Marseiller Gefängnis Baumettes, in dem eine Zeit lang der entflohene Häftling saß. Sie spüre "viel Wut, Trauer um unsere getöteten Kollegen, Abscheu und auch Hass", sagt sie. Vieles müsse jetzt getan werden. "Warum keine Verhöre über Videoschalten, warum keine Richter bei uns? Und Transporte gefährlicher Häftlinge ohne Polizei darf es nicht mehr geben."

Noch immer sind Mohamed Amra und seine Komplizen auf der Flucht. Interpol lässt international nach ihnen fahnden. Der 30-Jährige, "die Fliege" genannt, war früher ein kleiner Fisch. Dem mutmaßlichen Kopf einer Drogengang hängen inzwischen mehr als ein Dutzend Delikte an - für die er teils schon verurteilt worden ist. Es geht bis hin zu Entführung mit Todesfolge, und seit gestern kommen bandenmäßiger versuchter und ausgeführter Totschlag hinzu.

Fall wird zum Politikum

"Nein, man greift die Republik nicht ungestraft an. Nein, man verhöhnt ihre Gesetze nicht. Nein, man tötet nicht ohne Strafe", erklärte Premier Gabriel Attal im Parlament. "Mehr als 450 Polizisten und Gendarmen suchen die Straftäter."

Doch was sollte das Begleitpersonal, frontal gerammt von einem Täterwagen, mit seinen Neun-Millimeter-Pistolen gegen Sturmgewehre ausrichten? Es saß nicht mal in gepanzerten Fahrzeugen.

Frankreichs extreme Rechte nutzt die Gunst der Stunde für einen Pauschalangriff auf arabischstämmige Mitbürger. "Wir sind quasi im Bürgerkrieg", behauptet Eric Zemmour. "Man wirft mir vor, dass ich das Feuer schüre. Im Gegenteil: Ich beschreibe die Lage."

Man habe heute Menschen, die selbst beziehungsweise ihre Eltern oder Großeltern von südlich des Mittelmeers kämen und Vertreter des Staates angriffen, sagt Zemmour. "Wir stecken in einem Krieg, der auf unseren Boden gebracht wird."

Polizisten untersuchen den Tatort des Überfalls.

Die Beamten wurden an einer Mautstelle angegriffen.

Innenminister fordert härteren Kampf gegen Drogen

Innenminister Gérald Darmanin fand andere, deutliche Worte: "Wir verurteilen die Barbarei, die Kaltblütigkeit, mit der die Täter Familienväter, das Begleitpersonal angegriffen haben. Wir müssen verstehen: Das sind die Drogen."

Die Dealer verkauften nur, was die Gesellschaft kaufe, sagte Darmanin. "Man kann nicht die Witwen und Waisen beweinen und sich gleichzeitig einen Joint anzünden. Das ist schizophren. Jeder steht in der Verantwortung!"

Korruption als Teil des Problems?

Schon ist von der "Mexikanisierung" Frankreichs die Rede. Und ein Bericht aus dem Senat über die Auswirkungen des Drogenhandels rüttelt auf. Der konservative Senator Etienne Blanc hat ihn am Tag der Attacke vorgelegt - Stichwort Korruption.

"Viele schwache Signale sind zusammen nicht mehr schwach. Diese Korruption betrifft praktisch alle Dienststellen: Polizei, Gendarmerie oder den Zoll", sagt Blanc. Die Regierung müsse das Ausmaß des Phänomens erkennen. "Denn es ist die Korruption, die uns ganz langsam zu einem Drogenstaat führt. Ohne sie geht das nicht!" 

Blanc erinnert: Drogenhandel gebe es nicht mehr nur in Marseille oder im Pariser Umland. Kam früher der Händler für Brot und Milch ins Dorf, komme heute der Drogendealer, sagt er. Ihr Jahresumsatz liege bei drei bis sechs Milliarden Euro. Es würden aber nur Drogen im Wert von 100 Millionen beschlagnahmt.

Medienwirksame Säuberungsaktionen - "Saubere Plätze" genannt - lösten Frankreichs wachsendes Narcobusiness-Problem offenbar nicht. Die Regierung steht mit ihrem angekündigten Anti-Drogen-Plan unter Druck.

Doch gerade fragt sich Frankreich nur: Wo ist Mohamed Amra?