Interview zum Artenschutz Warum Obstwiesen und Korallen unbezahlbar sind
In Japan beraten Experten zwei Wochen lang Strategien des Artenschutzes - und befürchten ein Leben ohne Lurch und Molch. Doch was bringt die Artenvielfalt dem Menschen? Volker Homes von WWF Deutschland warnt vor einer öden Welt und meint: Artenvielfalt macht auch ökonomisch Sinn.
tagesschau.de: Herr Homes, nutzt der Artenschutz dem Menschen?
Volker Homes: Der Mensch braucht die Natur: Das geht von Nahrungsmitteln über Medikamente bis zu Baustoffen. Aber vor allem braucht der Mensch eine intakte Natur. Klar wird das, wenn wir einen Apfel oder eine Birne essen: Es muss immer Insekten geben, die die Arten bestäuben. Und was bei uns für Obstsorten gilt, das gilt in den Tropen auf ähnliche Weise: Dort sind es vielleicht keine Insekten sondern Flughunde. Die Natur ist komplex - und das brauchen wir Menschen.
tagesschau.de: Evolution bedeutet ja Veränderung der Natur, das Kommen und Gehen. Kann man wirklich dagegen ankämpfen?
Homes: Das muss man sogar! Wir leben ja in einer Zeit, in der eine einzige Art - der Mensch - dafür sorgt, dass ganz viele andere Arten bedroht werden oder aussterben. So etwas gab es in der Erdgeschichte noch nie – oder so gut wie nie. Der Mensch ist verantwortlich, weil er Lebensräume verändert oder zerstört, weil er zu stark Arten bejagt oder besammelt und weil er Arten von einem Ort an den anderen transportiert. Und für die Klimaveränderung ist er zumindest mitverantwortlich.
Volker Homes ist Biologe und leitet die Abteilung Artenschutz des World Wide Fund For Nature (WWF) in Deutschland. Der WWF setzt sich weltweit für den Schutz bedrohter Arten ein.
tagesschau.de: Die Natur auf der Erde ist ein riesiges Netzwerk. Wenn der Mensch versucht, Arten mit massivem Einsatz zu schützen - gerade vielleicht medienwirksame Säugetiere wie die Eisbären - greift er dann nicht genauso schädigend in das System ein?
Homes: Wir als Naturschutzorganisation versuchen, das zu erhalten, was bereits existiert und was ohne Zweifel auch weiter existieren würde, wenn es den Menschen nicht gäbe - oder den starken Einfluss, den wir auf die Natur ausüben. Auch mit dem Schutz verändern wir natürlich etwas, das ist uns durchaus bewusst. Aber wir glauben, dass der Wert der verschiedenen Arten ein sehr großer ist. Mit Tiger, Elefant oder Menschenaffe in ihrer natürlichen Umgebung ist es bestimmt eine lebenswertere Welt, als wenn wir die Tiere nur im Zoo sehen.
Kakerlaken sind die Gewinner
tagesschau.de: Ratten oder Kakerlaken zum Beispiel - solche Arten scheinen sich besonders gut durchsetzen.
Homes: Das liegt vor allem daran, dass diese Arten flexibler sind. Sie können Lebensbedingungen vertragen, die wir Menschen oder andere höhere Organismen nicht gut abkönnen. Wenn Sie zum Beispiel an den Panda denken: Diese Tiere sind evolutionär stark eingeschränkt, brauchen einen ganz bestimmten Lebensraum und vermehren sich einfach nicht so gut. Wenn Sie dagegen an Ratten oder Kakerlaken denken, die besiedeln die ganze Welt und können sich gut vermehren - die können ganz extreme Bedingungen vertragen.
tagesschau.de: Sie sind also die Gewinner der Evolution?
Homes: Das wären die Gewinner, wenn wir es nicht schaffen, den Rückgang der Biodervisität deutlich zu reduzieren und zu stoppen – wie es ja auch das Ziel der Konvention der biologischen Vielfalt ist und auch bleiben sollte. Wenn jetzt in Nagoya (Ort der Artenschutzkonferenz in Japan, Anm. d. Red.) nicht die richtigen Entscheidungen getroffen und die richtigen Weichen gestellt werden, dann wären das tatsächlich die Gewinner auf einem dann an Lebensformen sehr armen Planeten.
Artenvielfalt auch in heimischen Wäldern
tagesschau.de: Ein Bär in den Alpen wurde erschossen und in Oberbayern ist ein Wolf unterwegs, der Schafe reißt. In Deutschland scheint es leichter, sich für den Erhalt des Lebensraums des bengalischen Tigers einzusetzen.
Homes: Ich glaube, dass noch viel Verständnis fehlt. Wir entfernen uns gerade in den Großstädten zunehmend von dem, was natürlich ist und was Natur bedeutet. Wenn jetzt jemand sagt: Europa hat keinen Platz für Bären und Wölfe, dann stimmt das schlichtweg nicht. Diese Arten könnten hier vorkommen, wenn wir sie denn lassen. Aus meiner Sicht sollten wir es zulassen, dass die Natur wieder einen Platz hat neben dem Menschen. Es geht nicht um das Ob - also, können diese Tiere bei uns leben, sondern es geht um das Wie. Wie gestalten wir das Zusammenleben. Der Wolf ist eben keine rohe Bestie, wie in der Märchenwelt, sondern ein sozial lebendes Raubtier und eine Attacke auf Menschen ist sehr, sehr unwahrscheinlich.
Der ökonomische Nutzen der Artenvielfalt
tagesschau.de: Es gibt Wissenschaftler, die versuchen in Euro und Dollar auszurechnen, was der Artenschutz bringen könnte. Gibt es einen ökonomischen Nutzen?
Homes: Das ist unbestritten - ist aber noch nicht so recht im Bewusstsein der Menschen und vor allem der Entscheidungsträger angekommen. Dieser ökonomische Nutzen besteht! Das verdeutlichen Studien, die im Auftrag der Vereinten Nationen zusammengetragen wurden. Wir meinen darüber hinaus: Dieser ökonomische Nutzen kostet nichts. Wenn man es umrechnen würde, wenn man sozusagen technische Maßnahmen erfinden und bauen müsste, um das zu leisten, was die Natur leistet - das wäre ökonomisch ein unglaubliches Gewicht. Wir müssten viel Geld investieren, um gleiche Leistungen zu bekommen, wie ein Korallenriff, ein Regenwald oder eine Obstwiese in Mitteleuropa hervorbringt.
tagesschau.de: Was kann Deutschland zum Artenschutz beitragen?
Homes: Gerade in der europäischen Union kann Deutschland eine ganze Menge bewirken und sollte das auch tun. Wir müssen einerseits zuhause zeigen, dass wir mit der Natur auskommen und dass wir auch mit Arten, die zurückkommen – wie eben Wolf, Bär und Luchs - leben können. Zum anderen sollten wir nachhaltig verbrauchen, also durch unseren Konsum eine nachhaltige Wirtschaftsweise im Meer und in Wäldern fördern. Damit haben wir auch eine weltweite Verantwortung. Wir sind globaler Verbraucher und wir liefern unsere Waren in die ganze Welt. Deswegen sollten wir auch global und nachhaltig denken.
Das Interview führte Chris Libuda für tagesschau.de