Dieses von den israelischen Verteidigungsstreitkräften zur Verfügung gestellte Foto zeigt einen Panzer mit einer israelischen Flagge, der in den Gazastreifen am Grenzübergang Rafah einfährt. (Archivfoto vom 7. Mai 2024)

Gazastreifen Übergang Rafah als "Rettungsanker" verloren

Stand: 10.05.2024 10:47 Uhr

Bisher gab es noch ein Nadelöhr im Gazastreifen, durch das die Menschen fliehen konnten: Das war der Grenzübergang Rafah. Aber auch dieser wird nun von Israel kontrolliert. Die Menschen sind eingeschlossen.

Als die israelischen Bodentruppen vor drei Tagen den Grenzübergang Rafah eroberten, wurde in den sozialen Medien ein Video verbreitet: Soldaten sind zu sehen, die gemeinsam beten, dann wird der Schofar geblasen - ein rituelles Instrument im Judentum - und dann ist ein Ruf zu hören: "Yalla, lasst uns Rafah auseinandernehmen."

Israelische Armee weitet Angriff auf Rafah trotz Aussetzen von US-Waffenlieferungen aus

Sophie von der Tann, ARD Tel Aviv, tagesschau, 10.05.2024 17:00 Uhr

Auch wenn es viel Zerstörung und immer wieder Kämpfe im Osten von Rafah gibt: Neben dem Kampf gegen die Hamas geht es Israel auch darum, den Grenzübergang nach Ägypten zu kontrollieren. Hier kamen bis zuletzt Menschen und Waren über die Grenze, nun ist der Übergang bis auf weiteres geschlossen.

Grenzübergang für Hilfslieferungen bedeutend

Wael Abu Omar hatte bis vor kurzem das Amt des Medienmanagers am Grenzübergang. Nun ist er geflohen, weil es dort zu gefährlich ist.

Er berichtet dem ARD-Studio Tel Aviv, warum diese Grenze für den Gazastreifen bisher so wichtig war: "Den Grenzübergang kann man wie einen Rettungsanker betrachten. Sowohl was humanitäre Hilfe angeht, als auch die Aus- und Einreise von Menschen und von Verwundeten und Kranken. Drei Tage sind keine Lkw reingekommen. Zu einer Zeit, in der der Gazastreifen komplett von humanitärer Hilfe abhängig ist."

Gleich zu Beginn des Krieges gab es israelische Luftangriffe auf den Grenzübergang Rafah, seitdem aber wurde die Grenze fast jeden Tag genutzt. Schwerverletzte konnten hier den Gazastreifen verlassen. Viele Länder haben versucht, ihre Staatsbürger in Sicherheit zu bringen - und es kamen auch Menschen über die Grenze, die viel Geld für die Ausreisegenehmigung zahlen mussten. Fast jeden Tag hingen dort Listen mit den Namen aus.

"Was wir sehen, ist eine Menge Zerstörung"

Auch Abu Amad stand auf einer Liste. Seinen vollen Namen will er uns nicht nennen: "Ich sollte den Gazastreifen am Mittwoch, den 8. Mai, verlassen. Meine Familie besteht aus sechs Menschen: meine Frau, meine Kinder, meine Mutter und mein Vater - wir alle sollten raus, ich habe lange darauf gewartet. Ich will weg vom Krieg, ich will an einen sichereren Ort als Gaza. Jetzt sagen sie, wir sollen Rafah verlassen und nach Chan Junis. In ganz Gaza gibt es keinen sicheren Ort. Und seit die Grenze geschlossen ist, weiß ich nicht, was ich tun soll, ich bin sehr frustriert."

Abu Amad musste schon mehrmals den Ort wechseln, jetzt muss er wieder weg, denn die Grenze werde so schnell nicht wieder geöffnet, glaubt er: "Ich höre das aus den Nachrichten, denn ich kann da nicht hin. Die Armee kontrolliert die Grenze, sie zerstören sie und tun eine Menge schreckliche Sachen. Es ist schwer zu sagen, was da passiert, wir wissen das nur von der Armee, aber was wir sehen, ist eine Menge Zerstörung."

"Grenzübergang Rafah in unseren Händen"

Ein anderes Video zeigt einen israelischen Panzer, der in den Grenzbereich fährt. Ein Soldat schreit: "Der Grenzübergang Rafah ist in unseren Händen." 

Benjamin Netanyahu, Israels Regierungschef, hatte nach dem Vorrücken der Truppen gesagt: Die Eroberung der Grenze von Rafah sei ein wichtiger Schritt, um die militärischen Fähigkeiten der Hamas zu zerstören. Die israelische Armee meldet, man habe im Grenzgebiet eine Reihe von Tunneln gefunden, über die möglicherweise Waffen geschmuggelt wurden.

Wael Abu Oma, die mal an der Grenze gearbeitet hat, konnte hier nicht bleiben: "Ich bin jetzt in der Nähe von Al-Mawasi wegen der großen Gefahr im Osten von Rafah und der dauernden Bombardements. Wir haben unsere Wohnungen verlassen. Ich hoffe, dass es eine Waffenruhe gibt, und dass die israelische Aggression aufhört und die Menschen wieder nach Hause können."

Doch danach sieht es gerade nicht aus. Netanyahu hat erklärt, der Kampf gegen die Hamas gehe weiter. Und die Verhandlungen über eine Waffenruhe sind gerade abgebrochen worden. Wieder einmal.

Karte des Gazastreifen, graue Flächen: bebaute Flächen im Gazastreifen, schraffiert: von der israelischen Armee kontrollierte Gebiete

Karte des Gazastreifen, graue Flächen: bebaute Flächen im Gazastreifen, schraffiert: von der israelischen Armee kontrollierte Gebiete

Jan-Christoph Kitzler, ARD Tel Aviv, tagesschau, 10.05.2024 09:21 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk Kultur am 10. Mai 2024 um 07:09 Uhr.