Gespräche gehen in eine neue Runde Der ewige Streit um Irans Atomprogramm
Die internationale Gemeinschaft und der Iran verhandeln einmal mehr über Teherans Atomprogramm - in Istanbul ging es vor allem darum, zu welchen Bedingungen der Iran bereit ist, die Urananreicherung zu stoppen. Der Konflikt, der in den vergangenen Monaten an Brisanz gewonnen hat, schwelt seit gut zehn Jahren.
Vom Ulrich Pick, SWR
In das Bewusstsein der Weltöffentlichkeit rückte das iranische Atomprogramm im Jahr 2002, als die Internationale Atomenergieagentur (IAEA) durch Geheimdienstberichte darauf hingewiesen wurde, dass Teheran eigenständig zwei Nuklearanlagen betreibe: Eine Urananreicherungsanlage in Natans und eine Schwerwasseranlage in Arak. Die Lage wurde zum internationalen Politikum, als die Inspektoren der IAEA wenig später Spuren angereicherten Urans fanden. Der damalige Präsident, Mohammad Chatami, betonte, sein Land strebe keinesfalls den Bau von Nuklearwaffen an und wolle das Zusatzprotokoll zum Atomsperrvertrag zu unterzeichnen, welches auch unangemeldete Kontrollen erlaubt.
Ahmadinedschad setzt auf Konfrontation
Die Auseinandersetzung nahm an Schärfe zu, als im Frühsommer 2005 Mahmud Ahmadinedschad Staatspräsident wurde. Er stemmte sich erfolgreich gegen die noch nicht vorgenommene Ratifizierung des Zusatzprotokolls und machte das Atomprogramm zu einem Grundpfeiler seiner Politik: "Wir akzeptieren nur unser Recht im Rahmen des Atomsperrvertrages - nicht mehr und nicht weniger."
Dieser Satz markiert die iranische Argumentation bis heute. Denn der Atomwaffensperrvertrag, den Iran im Gegensatz zu Pakistan, Indien und Israel unterzeichnet hat, garantiert im Artikel vier das unveräußerliche Recht, "die Erforschung und Verwendung der Kernenergie für friedliche Zwecke zu entwickeln." Zudem wird allen Unterzeichnern des Dokuments eingeräumt, an einem "weitest möglichen Austausch von Ausrüstung, Material und Information" teilzuhaben. Teheran aber wurde - besonders auf Betreiben der USA - von diesem Austausch ausgeschlossen. Deshalb besorgte sich Teheran sein nukleares Know-how auf verborgenen Kanälen, und zwar über Pakistan.
2006 schließt der Iran den Brennstoffkreis
Während Irans Staatsoberhaupt Ajatollah Ali Chamenei im August 2005 ein religiöses Gutachten (Fatwa) verfasste, das "die Produktion, den Besitz und den Gebrauch von Nuklearwaffen" verbietet, setzte Präsident Ahmadinedschad auf Konfrontation. Er entfernte Anfang 2006 eigenmächtig die Kontrollsiegel der IAEA an der Urananreicherungsanlage in Natanz und gab im Frühjahr 2006 bekannt, iranischen Technikern sei es erstmals gelungen, selbständig den nuklearen Brennstoffkreis zu schließen. Mit Hilfe einer Kaskade von 164 Zentrifugen habe man Natur-Uran angereichert auf einen Gehalt von 3,5 Prozent Uran-235-Isotopen, welche spaltbar sind.
Da sich Iran wiederholt weigerte, der IAEA bei ihren Inspektionen alle gewünschten Informationen seines Nuklearprogramms zu geben, verwies die Wiener Atombehörde die Angelegenheit im Februar 2006 an den Sicherheitsrat. Bis heute verabschiedete das höchste UNO-Gremium in dieser Sache sieben Resolutionen (1696, 1737, 1747, 1805, 1835, 1887, 1929), in denen der Iran wiederholt dazu aufgefordert wird, sämtliche Aktivitäten einzustellen. Teheran ignoriert aber diese Beschlüsse und treibt sein Atomprogramm weiter.
Westen besonders über Anlage in Fordo besorgt
Internationales Aufsehen gab es abermals im September 2009, als bekannt wurde, dass der Iran eine zweite Urananreicherungsanlage baute. Sie befindet sich auf einem ehemaligen Militärgelände in Fordo bei Ghom, in einem von Tunneln durchzogenen Felsmassiv rund 80 Meter unter der Erde. Durch ihre unterirdische Lage ist sie vor militärischen Angriffen geschützt, mit denen Teheran offensichtlich rechnet. Hintergrund ist, dass Israel, Irans Gegenspieler in der Region, bereits zweimal oberirdische Atomanlagen in Irak und Syrien zerstört hat.
Bei den jetzigen Atomverhandlungen ist die Anreicherungsanlage in Fordo für den Westen von besonderer Wichtigkeit. Denn man ist besorgt, dass Teheran dort die Produktion von Uran betreibt, das auf 20 Prozent Spaltmaterial angereichert ist. Diese Prozedur gelang der Islamischen Republik erstmals Mitte 2010. Der Schritt gilt für Experten als entscheidende Marke, weil damit die schwierigsten technischen und chemischen Schritte auf dem Weg zu waffenfähigem Uran mit einem Anreicherungsgrad von 90 Prozent zurückgelegt sind.
20-Prozent-Marke geknackt
Das auf Proliferationsfragen spezialisierte "Institute for Science and International Security" (ISIS) schätzt, dass der Iran mit Hilfe neuer leistungsfähiger Zentrifugen möglicherweise noch in diesem Jahr genug auf 20 Prozent angereichertes Uran haben wird, um nach weiteren Anreicherungsschritten Kernwaffen bauen zu können. Die Zahl der momentan arbeitenden Zentrifugen gibt die IAEA mit knapp 9000 an.
Im September 2011 ging Irans erstes Kernkraftwerk in Buschehr ans Netz. Der 1000-Megawatt-Leichtwasserreaktor war nach über 35-jähriger Bauzeit im August 2010 fertiggestellt, sein Hauptrechner dann aber durch den Computervirus Stuxnet infiziert und beeinträchtigt worden.
Auch nach zehn Jahren bleiben viele Fragen offen
Als weiterer Konfliktpunkt gilt die Militäranlage Parchin rund 30 Kilometer südöstlich von Teheran, zu der Inspektoren Anfang dieses Jahres zweimal der Zutritt verweigert wurde. In ihrem Bericht vom vergangenen November spricht die IAEA davon, dass auf dem Gelände eine große Explosionskammer errichtet worden sei und nun besonders geschützt wird. Möglicherweise, so heißt es, könnten hier Zündmechanismen getestet worden sein, die bei Nuklearwaffen Anwendung finden.
Dass die IAEA auch nach nunmehr zehnjährigen Inspektionen immer noch offene Fragen hat, zeigt, welche hohe internationale Brisanz das iranische Nuklearprogramm hat. Hierauf scheint auch der Umstand zu verweisen, dass in den vergangenen Jahren mindestens fünf Iraner, die in die atomare Entwicklungen ihres Landes eingebunden waren, auf mysteriöse Weise ums Leben kamen oder umgebracht wurden.