Interview zum EuroPride 2010 "Ich erwarte ein Signal an die polnische Politik"
Bei der Schwulen- und Lesben-Parade EuroPride in Warschau haben Tausende für Toleranz geworben. Unter den Demonstranten war auch der Grünen-Politiker Beck. tagesschau.de hat mit ihm vor der Parade über die Situation von Homosexuellen in Osteuropa gesprochen.
tageschau.de: Was erwarten Sie vom "EuroPride 2010" in Warschau?
Volker Beck: Ich erwarte ein Signal an die polnische Politik, und auch an die Politik in ganz Europa zur Bekämpfung von Homophobie und der Diskriminierung von Lesben und Schwulen. Die Demonstration macht hoffentlich auch auf ein konkret deutsch-polnisches Problem aufmerksam. Die schwarz-gelbe Bundesregierung verhindert nämlich, dass eine Diskriminierungsrichtlinie im europäischen Zivilrecht verabschiedet wird. Die würde Lesben und Schwulen in Polen aber unmittelbar helfen, weil für sie dann der Schutz vor Diskriminierung bestehen würde, den wir in Deutschland schon haben.
tagesschau.de: Warum verhindert die Bundesregierung diese Richtlinie?
Beck: Sie blockiert sie aus ideologischen Gründen. Sie hat bislang jeden Schritt beim Antidiskriminierungsrecht vorweg bekämpft.
Der Grünen-Politiker Volker Beck, Jahrgang 1960, ist seit den frühen 80er-Jahren in der unabhängigen Friedensbewegung aktiv, 1987 wird er Schwulenreferent der Grünen, 1991 Sprecher des Lesben- und Schwulenverbandes in Deutschland. Seit 1994 ist er im Bundestag. Beck ist Erster Parlamentarischer Geschäftsführer sowie menschenrechtspolitischer Sprecher der Grünen-Fraktion.
tagesschau.de: Sie sind selbst in Warschau. Was erwarten oder befürchten Sie für heute?
Beck: Es sind fünf Gegenveranstaltungen aus dem extrem rechten Spektrum angekündigt. Ich vertraue aber darauf, dass die polnische Polizei alles im Griff haben und die friedlichen schwul-lesbischen Demonstranten professionell vor eventuellen Übergriffen durch Rechtsextreme schützen wird. Der EuroPride 2010 ist im Vergleich zu dem verbotenen Marsch von 2005 ja eine offiziell genehmigte Veranstaltung und als europaweite Veranstaltung auch das Zentrum des Kampfs von Lesben und Schwulen in ganz Europa.
tageschau.de: Was fordern die Organisatoren der Veranstaltung konkret?
Beck: Die Organisatoren wollen, dass es endlich auch in Polen zu einer rechtlichen Anerkennung von schwul-lesbischen Lebensgemeinschaften kommt, dass der Diskriminierungsschutz ausgebaut wird und dass die Diffamierung von Lesben und Schwulen durch rechte Parteien und die Kirche aufhört.
tageschau.de: Wie hat sich Polens Gesellschaft und Politik generell beim Thema der Emanzipation von Schwulen und Lesben entwickelt?
Beck: Es gibt schon einen Teil in der polnischen Gesellschaft, der vehement antihomosexuell eingestellt ist. Außerdem hetzen die Kaczynski-Partei, die Rechtsextremen und der katholisch konservative Radiosender "Maryja" stark gegen Homosexuelle. Dennoch ist die Situation grundlegend anders als beispielsweise in den GUS-Staaten. Es gibt in Polen auch viele Menschen, die genauso liberal denken wie wir das tun. Europa ist bei der Emanzipation von Schwulen und Lesben sicherlich die Perspektive für die Entwicklung der polnischen Gesellschaft.
tageschau.de: Sie waren bereits 2005 auf dem damaligen "EuroPride" in Warschau. Wie war es damals im Vergleich zu heute?
Beck: Damals brauchte man schon ein bisschen Mut, um auf die Straße zu gehen. Man wusste, dass die Rechten genehmigte Veranstaltungen hatten. Jedem, der seine Zivilcourage trotzdem zeigen wollte, musste klar sein, es könnte auch böse ausgehen. Zum Glück hat die Polizei damals gewissenhaft reagiert und die Veranstaltung trotz des eigentlichen Verbots geschützt. Bis auf ein paar geworfene Eier passierte nichts. Heute sind die Verhältnisse schon ganz anders. Die polnischen Homosexuellen haben die Fackel aus dem mutigen Kampf des polnischen Volkes gegen den Kommunismus aufgenommen und kämpfen für ihre Freiheiten im gleichen Geist.
tageschau.de: Wie beurteilen Sie die Möglichkeiten der Homosexuellen-Bewegungen in östlichen Ländern insgesamt?
Beck: Da gibt es große Unterschiede. Man sieht, dass die Standards der Europäischen Union vor allem in Ländern mit großen Akzeptanzproblemen zu einer positiven Entwicklung führen. Länder außerhalb der EU wie Weißrussland oder Russland verzeichnen dagegen schon einen ziemlichen Stillstand. Die Demos haben zwar trotz der Verbote dazu geführt, dass in der Gesellschaft dieser Staaten etwas offener geredet wird. Der Großteil der Bevölkerung ist aber immer noch gegen die fundamentalen Rechte der Lesben und Schwulen. Es wird versucht, das Tabu mit staatlichen Repressionen weiter durchzusetzen. Das gelingt zwar immer schlechter, aber die Menschen stehen hier noch ganz am Anfang eines langen Entwicklungsprozesses.
Das Interview führte Max Biederbeck für tagesschau.de