Todesumstände des libyschen Ex-Diktators unklar Wie kam Gaddafi ums Leben?

Stand: 21.10.2011 14:41 Uhr

Widersprüchlich sind die Angaben über die Todesumstände des ehemaligen libyschen Diktators Gaddafi. Der Übergangsrat berichtet, er sei gefangen genommen und kurz vor Ankunft im Krankenhaus an Blutverlust gestorben. Videos zeigen, dass Gaddafi lebend in die Hände von Aufständischen fiel.

Einen Tag nach dem Tod des früheren libyschen Machthabers Muammar al Gaddafi ist unklar, unter welchen Umständen er starb beziehungsweise getötet wurde. Der Vorsitzende des Übergangsrates, Mustafa Abdul Dschalil, erklärte, Gaddafi sei zunächst gefangen genommen worden. Der Pritschenwagen, mit dem der gefangene Gaddafi in die Küstenstadt Misrata gebracht werden sollte, sei dann unter Beschuss durch Anhänger des langjährigen Diktators geraten. Dabei sei Gaddafi schwer verletzt worden, so Dschalil. Er sei kurz vor der Ankunft im Krankenhaus von Misrata an dem schweren Blutverlust gestorben.

Ein Kämpfer der Nationalrats-Milizen stützt diese Darstellung. Er war nach eigenen Angaben bei Gaddafis Festnahme dabei. Dem Nachrichtensender Al Dschasira sagte er, dass sich Gaddafi nach einem heftigen Feuergefecht am Zugang zu dem Abwasserrohr, in dem er sich versteckt gehalten habe, ohne weitere Schwierigkeiten festnehmen ließ. Man habe ihn dem Sicherheitskomitee übergeben. "Doch dann brach ein Gefecht zwischen den Gaddafi-Loyalisten und den Revolutionären aus", erklärte er. Gaddafi sei dabei durch Schüsse an Kopf und Brust getroffen worden. "Wir legten ihn in einen Ambulanzwagen, ein Arzt machte Wiederbelebungsversuche, aber er starb."

Kursierende Videos zeigen eine andere Version

Diese offizielle Version wird allerdings durch kursierende Fotos und Videos nicht gedeckt. In einem Video ist zu sehen, dass Gaddafi in Syrte noch lebend in die Hand der Aufständischen fiel. In dem von Al Arabija ausgestrahlten Video ist ein verwundeter Gaddafi zu sehen. Er wird von der Kühlerhaube eines Fahrzeugs gezogen und von Milizionären umringt, die ihn wegzerren. Gaddafi steht dabei noch auf eigenen Beinen und wankt. Er spricht und bewegt seine rechte Hand. Auf späteren Bildern ist Gaddafi tot mit einer Wunde im Kopf zu sehen. Es könnte sich dabei um eine Schusswunde handeln.

Nach Angaben eines Arztes des Krankenhauses von Misrata, in das Gaddafi von Syrte aus gebracht worden war, starb er an Schussverletzungen. Gaddafi sei am Kopf und am Bauch von Schüssen getroffen worden, sagte der Arzt dem Sender Al Dschasira. Der Sender Al Arabija zitiert einen Arzt, Gaddafi sei durch "Schüsse aus nächster Nähe in Kopf und Bauch" gestorben. Dies könnte auf eine Hinrichtung nach der Gefangennahme hindeuten.

NATO bestätigt Luftangriff auf Fahrzeugkonvoi

In früheren Berichten hatte es geheißen, Gaddafi könnte bei der Flucht aus Syrte durch einen NATO-Luftangriff getötet worden sein. Die NATO bestätigte zwar den Angriff auf einen Fahrzeugkonvoi, betonte aber, man wisse nicht, wer dabei getötet worden sei. In einer Mitteilung, die die NATO am Tag nach Gaddafis Tod veröffentlichte, heißt es, von den NATO-Flugzeugen sei ein Konvoi von etwa 75 Militärfahrzeugen in der Nähe der Stadt Syrte entdeckt worden. Zunächst sei ein einziges Fahrzeug beschossen worden, "um die Bedrohung zu verringern". Daraufhin habe sich der Konvoi aufgeteilt, die gepanzerten Fahrzeuge seien in verschiedene Richtungen gefahren. Sie seien mit "einer erheblichen Menge von Waffen und Munition beladen" gewesen.

Eine Gruppe von 20 Fahrzeugen sei dann mit hoher Geschwindigkeit in Richtung Süden gefahren. NATO-Flugzeuge hätten daraufhin auf diese Fahrzeuge geschossen und etwa zehn davon zerstört. "Zur Zeit des Angriffs wusste die NATO nicht, dass sich Gaddafi in dem Konvoi befand", heißt es in der NATO-Mitteilung. Man habe erst später "durch offene Quellen und durch Aufklärung von Verbündeten erfahren, dass sich Gaddafi im Konvoi befand und der Angriff wahrscheinlich zu seiner Gefangennahme beigetragen hat".

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (ai) forderte eine Untersuchung der Todesumstände. Es sei wichtig, dass dem libyschen Volk durch eine unabhängige Untersuchung alle Fakten offenbart würden. Auch die Vereinten Nationen verlangten nach Aufklärung. "Wir wissen nicht, wie er gestorben ist. Dazu muss es eine Untersuchung geben", sagte der Sprecher des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte, Rupert Colville. Die Amateuraufnahmen, die Gaddafi nach seiner Festnahme verwundet aber am Leben zeigen, bezeichnete er als "sehr beunruhigend". Der UN-Menschenrechtsrat hatte immer darauf bestanden, dass im Konflikt in Libyen alle Seiten die Menschenrechte einhalten müssen. Dazu gehöre auch das Verbot willkürlicher Hinrichtungen.

Beerdigung um einige Tage verschoben

Der Chef der Übergangsregierung, Mahmud Dschibril, erklärte inzwischen, dass die Beerdigung Gaddafis um einige Tage bis zum Abschluss von Untersuchungen zu den Todesumständen verschoben werden soll. Der Internationale Strafgerichtshof hatte zuvor die Libyer gebeten, Gaddafi vorerst nicht zu begraben, damit der Leichnam untersucht werden könne. Gaddafi soll an einem unbekannten Ort nach islamischem Ritus begraben werden.