Interview

Der neue Präfekt der Glaubenskongregation "Im Vatikan arbeiten Menschen, nicht nur Engel"

Stand: 13.07.2012 01:31 Uhr

Der bisherige Regensburger Erzbischof Ludwig Müller ist der neue Präfekt der Glaubenskongregation im Vatikan. Im Interview mit ARD-Hörfunkkorrespondent Stefan Troendle erklärt er seine Positionen - unter anderem zum Vatileaks-Skandal und dem jüngsten Streit mit dem Satiremagazin Titanic.

ARD-Hörfunkstudio Rom: Herr Erzbischof, Sie haben jetzt ein Amt inne, das das letzte von Josef Ratzinger war, bevor er zum Papst gewählt wurde. Wie fühlt es sich an, einem Ratzinger zu folgen? Mit wie viel Respekt übernimmt man so eine Aufgabe?

Erzbischof Ludwig Müller: Kardinal Ratzinger - jetzt unser Papst - hat ja als Präfekt ein großes Maß vorgegeben und auch viele Weichen gestellt. Deshalb ist es für mich natürlich eine große Ehre, aber auch gleichzeitig eine Riesenherausforderung, daran gemessen zu werden. Als er mich ernannt hat, hat er sich sicher etwas dabei gedacht und mir etwas zugetraut. Ich möchte versuchen, dem gerecht zu werden.

Zur Person
Der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller lehrte jahrelang an der Münchner Ludwig-Maximilians Universität Dogmatik. Seit 2007 ist er Mitglied der Glaubenskongregation in Rom. Papst Benedikt XVI. hatte ihn jüngst zu deren neuem Präfekten ernannt.

ARD: Sie haben ja Benedikt XVI. auch anderweitig beerbt und seine alte Wohnung übernommen. Laufen Sie eigentlich künftig dann auch jeden Morgen quer über den Petersplatz zur Arbeit?

Müller: Ja, das ergibt sich notwendigerweise - es bleibt keine andere Möglichkeit und es war ja sogar ein bisschen archetypisch: Diese Bilder vom Kardinal Ratzinger, der mit seiner Aktentasche über den Petersplatz gelaufen und von vielen Leuten angesprochen worden ist. Insofern macht das auch deutlich, dass es auch ein öffentliches Amt für die Kirche ist.

ARD: Ihr direkter Vorgänger Kardinal Levada war von außen gesehen eher zurückhaltend. Was werden Sie anders machen als er?

Müller: Ich möchte mich natürlich nicht im Verhältnis zu anderen definieren, das könnte leicht wie Lob oder Kritik aussehen. Jeder hat das Recht und die Möglichkeit, sich so zu entfalten, wie er auch ist. Aber jetzt kommen auch noch neue Aufgaben hinzu, denen man sich stellen muss. Es geht auch darum, Ideologisierungen von rechts und links zu überwinden und Grundlagen des Glaubens zu finden. Die Kirche ist ja keine von Menschen gemachte Ideologie, sondern wir haben den Glauben von Gott her empfangen - in Jesus Christus. Es geht um das Heil der Menschen und darum, dass die Kirche der ganzen Menschheit einen großen Dienst leistet: Was die Einheit der Menschen angeht, was den Frieden angeht. Frieden auch unter den Religionen und zwischen den verschiedenen Lebensentwürfen.

Stefan Troendle, S. Troendle, ARD Rom, 13.07.2012 00:07 Uhr

"Es gibt auch Primadonnen unter den Theologen"

ARD: Wie wird denn der Präfekt der Glaubenskongregation künftig mit den sogenannten "schwierigen" Theologen umgehen? Wie viel Spielraum lässt er?

Müller: Wenn man selbst aus der Professorenschaft kommt, weiß man natürlich auch, dass es da 'Primadonnen' gibt, bei denen nicht immer das Fachliche im Mittelpunkt steht. Aber das ist eben auch meine Aufgabe, das Fachliche vom Persönlichen zu trennen. Innerhalb der katholischen Theologie gibt es einen Spielraum, eine Bandbreite, eine Pluralität, aber die darf natürlich die Grundlage nicht verlassen, auf der wir stehen. Katholisch ist nicht einfach ein Kollektivbegriff - 'tutti frutti' für alles Mögliche, sondern wir haben da klare Vorgaben aus der Offenbarung Gottes, wie sie in der Heiligen Schrift dargelegt sind. Letztendlich bilden das Lehramt des Papstes und der Bischöfe, des Konzils, die letzte Entscheidung. Das muss man natürlich akzeptieren, um sich katholisch zu nennen.

ARD: Werden wir mal konkreter und fragen den, flapsig gesagt, obersten Währungshüter der Kirche. Abendmahl für Geschiedene: Warum geht das eigentlich nicht, wenn doch sogar der Papst Herrn Seehofer die Kommunion erteilt hat? Könnte nicht im Sinne der Nächstenliebe, oder der Achtung der Gläubigen, das nicht so genaue Hinschauen eine inoffizielle Lösung dieses Problems sein - auch wenn es offiziell bei der bekannten Haltung bleibt?

Müller: Ich glaube, aus einzelnen Fällen, in denen einfach jemand zur Kommunion hinzu tritt, kann man nicht auf ein Prinzip schließen. Konkret an der Kommunionsbank können sich keine Auseinandersetzungen abspielen. Insofern kann man sich hier nicht auf den Papst berufen. Es geht ja um die grundsätzliche Frage, was eigentlich die Heilige Kommunion bedeutet. Das ist ja nicht eine Belohnung für Wohlverhalten, sondern es ist die Gemeinschaft mit Christus und der Kirche, die eben bestimmte Voraussetzungen hat. Es gibt ja auch andere Lebenssituationen, in denen man als Katholik nicht zur Kommunion gehen kann. Hier müssen wir eben davon ausgehen, dass es nicht eine kirchliche Überstrenge oder eine mangelnde Angepasstheit an die Situation von heute ist, sondern dass Christus selbst die Ehe unauflöslich gemacht hat.

Die kirchliche Autorität ist unverhandelbar

ARD: Sie sind ja ein Häretiker, wenn man den Piusbrüdern glaubt. Als jetzt auch neuer Chef von Ecclesia Dei: Glauben Sie, dass es noch zu einer Einigung kommt? Oder wird sich die Piusbruderschaft möglicherweise aufspalten?

Müller: Ich kann natürlich nicht vorhersehen, wie man sich dort entscheidet. Aber die Linie der katholischen Kirche ist klar. Das Zweite Vatikanische Konzil gehört zu den gültigen und legitimen Konzilien. Es hat auch keinen Bruch gebracht mit der Tradition, wie es von dieser oder jener Seite befürchtet oder behauptet wird. Aber klar ist, dass für jede Richtung, woher sie auch kommen mag, die Anerkennung der kirchlichen Autorität eine Voraussetzung ist.

Deshalb liegt die Entscheidung bei dieser Bruderschaft. Es wird immer behauptet, von uns aus wäre die Strategie gefahren worden, da eine Spaltung rein zu bringen. Nein! Es geht um die Einheit mit der Kirche und um die Wahrheit des katholischen Glaubens.

ARD: Wagen Sie eine Prognose?

Müller: Ich glaube, die Prognose ist schwer zu stellen, weil es ideologische Verfestigungen gibt, jedenfalls aus meiner Sicht. Das ist ja immer eine Konsequenz, wenn sich bestimmte Gruppierungen abgeschottet haben, da laufen dann gruppendynamische Prozesse ab. In der Kirche ist aber viel Platz - auch für unterschiedliche Individuen.

"Titanic - von solchen Leuten lassen wir uns nicht verletzen"

ARD: Eine Frage zum aktuellen medialen Aufreger, der Attacke des deutschen Satiremagazins Titanic auf den Papst, gegen die die Kirche jetzt rechtlich vorgeht. War das nur eine persönliche Beleidigung oder werden da auch religiöse Gefühle verletzt?

Müller: Das ist vielleicht die Absicht. Aber von solchen Leuten lassen wir uns nicht verletzen, weil wir uns unserer Sache viel zu sicher sind. Es geht hier, glaube ich aber, nicht um religiöse Gefühle, es geht hier um bürgerliche Rechte. Unser Grundgesetz beginnt, nach den furchtbaren Erfahrungen, die wir vorher gemacht haben, mit dem Satz: 'Die Würde des Menschen ist unantastbar.' Daran muss sich jeder halten, der demokratisch ist.

Auch Würdenträger der katholischen Kirche, vom Papst bis zu jedem Priester, haben den Anspruch darauf, dass sie in ihrer Würde geachtet werden. Und das ist eben hier meines Erachtens auf schwere Weise verletzt worden. Insgesamt meine ich, in Deutschland muss sich der Ton etwas ändern. Pressefreiheit, klar, das ist Meinungsfreiheit. Aber zur freien Meinung gehört nicht, dass man andere Menschen in ihrer Persönlichkeit verletzen darf. Meines Erachtens steht hinter diesen Verbalinjurien oder diesen Diskreditierungen eigentlich nur der Mangel an argumentativer Fähigkeit, sich auseinanderzusetzen.

ARD: Der sogenannte Vatileaks-Skandal war ja der Auslöser dafür. Wo vermuten Sie die Ursachen dafür, oder anders gefragt - wie viel hat so was eigentlich mit persönlichen Interessen, beziehungsweise mit vatikanischen Intrigen zu tun?

Müller: Solche Vorgänge wie hier, die gibt es überall. In jedem Wirtschaftsunternehmen, in jeder Regierung gibt es immer mal einzelne, die sich als Spione betätigen, die Industriespionage betreiben. Leider kommt so etwas vor. Daher ist das auch hier möglich, weil hier eben auch Menschen und nicht nur Engel tätig sind.

ARD: "Der Müller": Sie haben ja sicher die Reaktionen auf Ihren Weggang mitbekommen. Die waren nicht immer nur freundlich. In Deutschland gelten Sie als Vertreter der 'ganz harten' Linie. In Rom jedoch, auch wegen Ihrer guten Kontakte nach Südamerika und zu Befreiungstheologen, sind Sie in der öffentlichen Meinung eher ein Liberaler. Erklären Sie uns doch mal diesen Widerspruch.

Müller: Der Widerspruch liegt natürlich nicht darin, dass man mich unterschiedlich charakterisiert. Wir leiden ja unter ideologischen Frontverhärtungen. Da gibt es die, die mich in Deutschland konservativ oder erzreaktionär nennen. Erstens kennen die mich nicht, man überspielt das einfach, indem die Person charakterisiert und psychologisiert. Das berührt mich wenig, weil das wenig über mich aussagt und mich auch nicht in meiner Arbeit behindern kann. Wir haben einfach den Glauben zu bewahren.

Dass man auch eine soziale Einstellung hat, das ist nicht irgendwie ein Liebäugeln mit Kommunismus - ich bin auch schon Kommunist genannt worden. Es gehört vielmehr integral zum katholischen Glauben und zu unserer Weltverantwortung, sich für eine gerechte und solidarische Gesellschaft auch einzusetzen. Der rechte Glaube kann sich nur im rechten Tun äußern.

ARD: Wie sehen ihre Verbindungen nach Südamerika denn heute aus?

Müller: Ich habe Kontakte nach Südamerika und ich habe auch weiter welche nach Peru, einfach, weil ich dort gearbeitet habe und mit vielen Menschen pastoral und sozial zusammengekommen bin. Ich bin übrigens nicht mit einer ideologischen Vorgabe dorthin gegangen und habe gedacht: 'Das macht sich vielleicht gut in der Biographie, um meinen ramponierten Ruf als Konservativer etwas aufzumöbeln'. Das gehört für mich ganz einfach zu meinem Lebenselixir, auch als Bischof.

ARD: Wie lange sind Sie denn noch Bischof?

Müller: Bischof bleibe ich ja immer ...

ARD: ... aber Sie wissen wie die Frage gemeint ist.

Müller: Das hängt vom Papst ab. In der Regel wird der Präfekt der Glaubenskongregation schon Kardinal, aber das ist für mich keine vorrangige Frage. Es geht ja nicht um mich als Person, sondern um den Dienst, der mir hier aufgetragen worden ist.

Das Interview führte Stefan Troendle, ARD-Hörfunkstudio Rom.

Das Interview führte Stefan Troendle, SWR