Wer stützt die Übergangsregierung? Ägyptens Generäle haben neue Freunde
Die USA überweisen Milliarden an Hilfsgeldern nach Kairo, dennoch ist der Einfluss Obamas begrenzt. Die eigentlichen Unterstützer der Militärregierung am Nil sind die reichen Golfmonarchien, sagt Ex-Diplomat Gunter Mulack im tagesschau.de-Interview. Und die verfolgen ihre eigene Agenda.
tagesschau.de: Herr Mulack, können oder wollen die USA - trotz Milliarden an Hilfsgeldern - keinen Einfluss auf die ägyptische Regierung ausüben?
Gunter Mulack: Die USA halten sich im Moment aus taktischen Gründen zurück und vermeiden es deshalb, die Menschenrechtsverletzungen offen anzuprangern. Der Grund ist, dass Obama den Gesprächsfaden zur ägyptischen Führung nicht abreißen lassen will. Dadurch möchte er den Einfluss auf den wichtigsten Verbündeten in der Region wahren. Man darf nicht vergessen, dass Ägypten nach Israel der zweitgrößte Empfänger bilateraler Wirtschaftshilfe seitens der USA ist.
Gunter Mulack leitete als deutscher Botschafter die Auslandsvertretungen u.a. in Syrien, Kuwait und Bahrain. Auch in der Botschaft in Kairo war er als Attaché tätig.
Seit September 2008 ist er Direktor des Deutschen Orient-Instituts in Berlin.
tagesschau.de: Führende US-Politiker wie Ex-Präsidentschaftskandidat McCain fordern bereits, die Hilfszahlungen einzustellen. Welche Auswirkungen hätte ein Stopp?
Mulack: Das sind vor allem taktische Spielchen mit symbolischer Wirkung. Es wäre eine Absage an das ägyptische Militär, das damit in der öffentlichen Wahrnehmung die Unterstützung der USA verlieren würden. Wirkliche Folgen hätte die Maßnahme aber eher nicht: Die ägyptischen Generäle können auch ohne Obama. Denn die weitaus größere finanzielle Unterstützung kommt aus Golfmonarchien wie Saudi-Arabien. Das weiß auch Obama, und deshalb wird er dem Druck, der zweifelsohne von den Republikanern ausgeübt wird, wohl auch widerstehen.
Israel setzt auf das Militär
tagesschau.de: Israel hat sich bislang zurückgehalten im innerägyptischen Machtkampf, lässt aber Sympathien erkennen. Wie blickt Tel Aviv auf den Konflikt?
Mulack: Wir wissen ja, dass sich Ex-Präsident Mursi mit seiner Unterstützung der Palästinenser nicht sehr beliebt gemacht hat in Israel. Dort hatte man befürchtet, solche Äußerungen könnten den jahrelangen Frieden zwischen beiden Ländern gefährden. Deshalb ist Tel Aviv wohl eher froh, wenn das Militär in Ägypten übernimmt. Die Armee kennt man, und die sieht man als Garant einer Stabilität auch gegenüber Israel.
Saudi-Arabien verfolgt eigene Agenda
tagesschau.de: Neben Saudi-Arabien kommt auch Unterstützung aus den Arabischen Emiraten. Wieso schlagen sich diese Staaten auf die Seite des ägyptischen Militärs?
Mulack: Die Länder befinden sich in unmittelbarer Nähe zu Ägypten und wollen deshalb Ruhe und Ordnung. Sie haben kein Interesse an einem dauerhaften Krisenherd Ägypten und trauen anscheinend dem Militär am ehesten zu, eine stabile Regierung zu bilden.
Es gibt aber auch einen wichtigen innenpolitischen Grund. Das Königshaus in Saudi-Arabien etwa hat kein Interesse an einem demokratischen Musterstaat im arabischen Raum. Die Muslimbrüder in Ägypten sind sehr gut organisiert in vielen Ländern. Das könnte Begehrlichkeiten der Bevölkerung in den reichen, aber wenig demokratischen Golfmonarchien wecken und die Staaten in einen "arabischen Frühlingstaumel" stürzen. Das wollen die Herrscherhäuser um jeden Preis verhindern und das erklärt auch die enorme Menge von rund zwölf Milliarden Dollar, die in den vergangenen Monaten nach Kairo geflossen sind.
tagesschau.de: Allerdings haben auch die Muslimbrüder Verbündete - woher kommt die Unterstützung für Ex-Präsident Mursi und seine Anhänger?
Mulack: Zu den Muslimbrüdern halten natürlich Staaten wie Tunesien, wo der Arabische Frühling seinen Anfang genommen hat und wo mit der Ennahda auch eine islamistische Partei die Regierung stellt. Auch die Türkei, die zwar geografisch am Rande der arabischen Welt liegt, aber dennoch enorm wichtig ist für diese Weltregion, hat das Vorgehen des ägyptischen Militärs aufs Schärfste kritisiert. Und dann ist da noch das kleine Scheichtum Katar, das schon immer die Muslimbrüder unterstützt hat. Katar ist nicht nur wegen seiner enormen finanziellen Möglichkeiten wichtig, sondern auch weil dort der Sender Al Dschasira sitzt, der ja eine große Bedeutung für die Meinungsbildung im arabischen Raum hat.
tagesschau.de: Warum ist gerade Katar auf Seiten der Muslimbrüder?
Mulack: Katar ist zwar auch ein sehr konservativer Staat, will sich aber vor allem von Saudi-Arabien unterscheiden, dem übermächtigen Nachbarn. Insofern hat das kleine Scheichtum immer versucht eine eigenständige Außenpolitik zu betreiben.
Verbot der Muslimbrüder wäre "fatal"
tagesschau.de: Die vom Militär eingesetzte Übergangsregierung in Kairo erwägt ein Verbot der Muslimbrüder. Welche Folgen hätte eine solche Maßnahme?
Mulack: Es wäre fatal, eine politische Gruppe komplett aus dem politischen Prozess auszuschließen - zumal, wenn diese Gruppe die Unterstützung von knapp einem Drittel der gesamten Bevölkerung genießt. Das ist ja schon einmal unter Gamal Abdel Nasser passiert und es hat schon damals nicht funktioniert. In dem Fall wären die Muslimbrüder gezwungen in den Untergrund zu gehen und würden höchstwahrscheinlich zu terroristischen Mitteln wie Anschlägen greifen. Das würde das gesamte System unterminieren und ein stabiles und sicheres Ägypten unmöglich machen.
Militär baut auf den "Tiefen Staat"
tagesschau.de: Wenn ein so großer Teil der Bevölkerung mit den Muslimbrüdern sympathisiert - auf welche gesellschaftlichen Gruppen stützt sich dann das Militär?
Mulack: Die Generäle bauen vor allem auf den sogenannten "Tiefen Staat", also die ehemaligen Mubarak-Anhänger, die heute noch in Verwaltung, in der Justiz und bei der Polizei zu finden sind. Diese Gruppen, die seit der Revolution viel Macht und auch Geld verloren haben, pochen schon seit geraumer Zeit auf eine Restauration. Und die hoffen nun auf einen neuen Regierungschef, eine Art "Mubarak Light".
tagesschau.de: Sie sprechen von einer Gegen-Revolution, die gerade stattfindet.
Mulack: Ja, denn wir beobachten gerade ganz klar die Rückkehr der alten Eliten. Noch halten sie sich im Windschatten des Militärs, aber sie wollen die alten wirtschaftlichen Verhältnisse wieder herstellen. Und jetzt kommt es drauf an: Will das Militär wirklich nur Weg für eine neue zivile Ordnung ebnen, wie es mehrfach angekündigt hat? Dann müsste ein fester Fahrplan vorgelegt werden, und dann müssen alle dran mitwirken können, auch die Muslimbrüder.
Das Interview führte Alexander Steininger, tagesschau.de.