Interview

Interview zu Clintons Sieg in Pennsylvania "Aufschub für eine kranke Patientin"

Stand: 23.04.2008 12:33 Uhr

Mit ihrem Sieg bei den Vorwahlen in Pennsylvania hat Clinton den Rückstand zu ihrem demokratischen Rivalen Obama verkürzt. Doch was ist ihr Sieg wert und werden nicht am Ende die Republikaner von dem Machtkampf profitieren? Tagesschau.de hat den US-Politologen Jeremy Mayer befragt.

Mit ihrem Sieg bei den Vorwahlen in Pennsylvania hat Hillary Clinton den Rückstand zu ihrem demokratischen Rivalen Obama verkürzt. Doch was ist ihr Sieg wert und werden nicht am Ende die Republikaner von dem Machtkampf profitieren? Tagesschau.de hat dazu den US-Politikwissenschafler Jeremy Mayer befragt.

tagesschau.de: Herr Mayer, wie nahe ist Hillary Clinton ihrer Nominierung zur Präsidentschaftskandidatin gestern gekommen?

Jeremy Mayer: Der Sieg ist nur teilweise eine gute Nachricht für Hillary Clinton. Vergleichen Sie ihre Kampagne mit einer kranken Patientin, die eine schlechte Aussicht auf Genesung hat: Sagen wir, sie hat eine Überlebenschance von fünf Prozent und die Vorwahlen in Pennsylvania haben ihr Leben um einen weiteren Monat verlängert. Ihr Sieg ist nicht deutlich genug, um sich in der Nominierungsfrage durchzusetzen. Sie bleibt lediglich am Ball und kann nur darauf hoffen, dass Obama einen schweren Fehler macht.

Zur Person

Jeremy Mayer lehrt an der George Mason University in Washington DC Politik. Er veröffentlichte unter anderem Arbeiten über schwarze Politiker im amerikanischen Wahlkampf, die USA nach den Anschlägen des 11. September 2001 sowie das Verhältnis der US-Medien zur Macht.

tagesschau.de: Wie wichtig sind die verbleibenden Vorwahlen?

Mayer: Die Schlüsselwahlen sind die in Indiana. Dort liegt Clinton in den Umfragen vor Obama. Aber wenn er dort gewinnt, ist es aus für Clinton. Sollte Clinton in North Carolina gewinnen, könnte es noch leichte Verschiebungen geben. Aber keine der restlichen Vorwahlen ist entscheidend genug, um das grundsätzliche Stimmenverhältnis zu verändern.

Wenn der letzte Wähler seinen Stimmzettel abgegeben hat, wird Obama die meisten der Delegiertenstimmen, der abgegeben Stimmen und Staaten gewonnen haben. Dann ist es an den Superdelegierten, den Gewinner zu küren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine große Gruppe weißer Eilte-Demokraten einem schwarzen Mann die Nominierung vorenthält, der die meisten Delegiertenstimmen gewonnen hat.

tagesschau.de: Wann erwarten Sie eine offizielle und endgültige Entscheidung bei den Demokraten für Obama oder Clinton?

Mayer: Vermutlich wird dies am 15. Juni geschehen, wenn Obama genügend Superdelegierte überzeugt hat, für ihn zu stimmen. Nach Pennsylvania ist es unwahrscheinlich geworden, dass Clinton aufgibt, bevor sie in Indiana verliert. Die Superdelegierten bekommen Druck von Parteichef Howard Dean: Der Zeitpunkt, sich festzulegen, rückt näher. Wenn sie bis zum 1. Juli keinen Kandidaten nominiert haben, sinken die Chancen, im November die Präsidentschaftswahlen zu gewinnen.

tagesschau.de: Von Europa aus gesehen wirkt der Vorwahlkampf sehr lang. Wenn Sie einmal zurückschauen, ist die lange Suche nach einem Präsidentschaftskandidaten wirklich ein einmaliger Fall in der Geschichte?

Mayer: Das hängt davon ab, wie weit sie zurückgehen. Blickt man auf die amerikanische Parteiengeschichte, zeigt sich, dass die meisten Kandidaten auf den Parteitagen im Spätsommer gewählt wurden. 1976 dauerte der Kampf bis zur allerletzten Vorwahl - sogar eine Woche vor dem Parteitag versuchte Ronald Reagan, Delegierte von Gerald Ford auf seine Seite zu ziehen. 1984, 1988 und 1992 dauerten die Vorwahlen bei den Demokraten bis in den Juni hinein. Die letzten Vorwahlen waren eher ein innerparteilicher Test, ob die Partei hinter ihrem Kandidaten steht. Ungewöhnlich in diesem Jahr ist, dass das Rennen zwischen Clinton und Obama so knapp ist. Das gab es zuletzt 1976 bei den Republikanern, bei den Demokraten noch nie.

tagesschau.de: In Anbetracht der langen Vorwahlzeit - kennen wir die Kandidaten jetzt besser als noch im Dezember?

Mayer: Ja. Es gibt nur zwei Dinge, die im amerikanischen Wahlsystem besser sind als im europäischen. Erstens, unser System gibt Außenseitern, die nicht die Wahl der Parteispitze sind, eine größere Chance. Zweitens, wir lernen die Kandidaten während dieser unglaublich langen Vorwahlperiode kennen. Wir haben jetzt beispielsweise gesehen, wie Obama auf Angriffe reagiert.

tagesschau.de: Profitert der republikanische Kandidat John McCain von dem parteiinternen Kampf der Demokraten?

Mayer: Bislang noch nicht, aber wenn das Rennen noch länger andauert, kann das passieren. Bislang hat diese Situation den Demokraten mehr geholfen als geschadet. Einige der Aussagen von Clinton über Obama werden sicherlich in Anzeigen der Republikaner wieder auftauchen, sollte Obama Kandidat werden.

Wichtiger ist aber die Zahl der Wählerregistrierungen unter den Demokraten in Pennsylvania und anderen Vorwahlstaaten. Die Wahlbeteiligung in den USA ist niedrig, aber wer bei den Vorwahlen seine Stimme abgegeben hat, wird dies auch bei den Wahlen tun. Die Demokraten haben bei diesen Vorwahlen viele Rekorde gebrochen - anders als die Republikaner.

tagesschau.de: Wie sehr sind die demokratischen Wähler wirklich gespalten?

Mayer: Interessanterweise ist es in diesem Jahr eine demografische und keine ideologische Frage. Bisher konnten die Demokraten bei den Vorwahlen zwischen liberal und gemäßigt entscheiden. In diesem Jahr gibt es fast keinen ideologischen Unterschied zwischen den Kandidaten. Es ist eher eine Frage der Gesamtsumme und der entscheidenen Unterstützer. Obamas Wähler sind schwärzer, jünger, besser ausgebildet und wohlhabender.

tagesschau.de: Gegen wen hat McCain eine Chance: Obama oder Clinton?

Mayer: Die Demokraten werden wohl siegen. Die Umfragen zeigen McCain zwar Kopf an Kopf mit den Demokraten, aber 1992 sahen die Umfragen zu diesem Zeitpunkt auch Clinton an dritter Stelle hinter Bush und Perot.

Wenn die Amerikaner ihre Aufmerksamkeit auf die Präsidentschaftswahl richten, dann werden sie einen unpopulären Krieg, eine von der Rezession bedrohte Wirtschaft und einen Präsidenten wahrnehmen, dessen Umfragewerte so tief wie kaum zuvor im Keller sind. McCain ist momentan der hartknäckigste Kämpfer in der amerikanischen Politik, man darf ihn nicht unterschätzen. Aber ich denke, dass die Demokraten in diesem Jahr das Rennen machen, wen immer sie nominieren.

Das Interview führte Christian Radler, tagesschau.de