Interview zu Libyen-Angriffen "Militäreinsatz ohne jedes politische Konzept"
Angesichts der militärischen Erfolge Gaddafis diskutiert die internationale Gemeinschaft über Waffenlieferungen an die Rebellen. Das wäre ein Verstoß gegen die UN-Resolution, meint Sicherheitsexperte Walther Stützle. Im Interview mit tagesschau.de kritisiert er den Militäreingriff als konzeptlos.
tagesschau.de: Die internationale Gemeinschaft diskutiert darüber, die libyschen Rebellen zu bewaffnen. Wäre solch ein Vorgehen von der UN-Resolution gedeckt?
Stützle: Ganz klar nein. Von der UN-Resolution sind drei Sachen gedeckt: die Einrichtung einer Flugverbotszone, das Waffenembargo und die Konfiszierung des Privatvermögens von Gaddafi und seiner Entourage. Mehr nicht.
tagesschau.de: Nun reicht das offenbar aber nicht - die Aufständischen müssen herbe Niederlagen erleiden, Gaddafis Truppen rücken auf dem Boden weiter vor. Was ist zu tun?
Stützle: Wir müssen zuerst einmal festhalten: Der Militäreinsatz hat begonnen, angeführt durch Frankreich und Großbritannien, ohne einen politischen Prozess zu versuchen.
tagesschau.de: War das übereilt?
Stützle: Das war eine Schnellschuss-Politik, eine Politik ohne Konzept, ohne Antwort auf die Frage nach dem politischen Ziel und möglichen libyschen Gesprächspartnern. Und die EU-Staats- und Regierungschefs haben öffentlich Gaddafis Amtsverzicht gefordert - also einen Regimewechsel - und sich damit politische Verhandlungsoptionen verbaut.
tagesschau.de: Aber konnte die internationale Gemeinschaft länger zusehen, wie Gaddafis Truppen unschuldige Menschen morden und ein ganzes Volk unterdrücken?
Stützle: Aus diesem Grunde hat ja der UN-Sicherheitsrat die Resolution für eine Flugverbotszone verabschiedet, um das Morden durch die Lufttruppen zu stoppen. Weiter reicht das Mandat nicht - und das gilt es zu respektieren.
tagesschau.de: Der libysche Übergangsrat selbst wünscht sich Waffenlieferungen. Muss man das nicht ernst nehmen?
Stützle: Der Rat besteht überwiegend aus Seitenwechslern, aus ehemaligen Günstlingen Gaddafis, und es ist keineswegs sicher, dass sie glaubwürdige Gesprächspartner für einen Verständigungsprozess in Libyen sind. Auch welche Ziele die Rebellen verfolgen, kann derzeit niemand beantworten. US-Außenministerin Clinton hat zu Recht erklärt, dass es mehr ungeklärte Fragen über die Rechtmäßigkeit und die Ziele der Aufständischen gibt als verlässliche Antworten. In dieser Situation militärisch einzugreifen, ist politisch unverantwortlich und hochriskant.
tagesschau.de: Was wäre die Alternative angesichts der von Ihnen beschriebenen Situation?
Stützle: In Libyen herrscht ein Bürgerkrieg. Er kann nicht durch Intervention von außen mit Waffen beendet werden, sondern nur durch politische Einwirkung auf die, die noch etwas zu sagen haben, um einen Waffenstillstand zu erreichen. Man kann den unterschiedlichen Gruppen in Libyen durch Gesprächsangebote behilflich sein. Lösen können das Problem nur die Libyer selbst.
tagesschau.de: Wer könnte diese Rückkehr zu Verhandlungen initiieren und leiten?
Stützle: Zum Beispiel der frühere UN-Generalsekretär Kofi Annan oder der frühere finnische Staatspräsident und Friedensnobelpreisträger Martti Ahtisaari, der sich durch viele politische Konfliktlösungen ausgezeichnet hat. Es müssen Persönlichkeiten sein, die neutral sind und großes internationales Ansehen genießen. Und es ist schon bemerkenswert, dass weder der Generalsekretär der Vereinten Nationen noch der Generalsekretär der Arabischen Liga, noch sonst eine international bedeutende Persönlichkeit bisher mit dem Versuch beauftragt worden sind, zu einem politischen Dialog zu kommen. Und das ist doch die wichtige Frage derzeit: Wie kommen wir weg vom Krieg hin zu einem Waffenstillstand und zu einem politischen Prozess.
Das Interview führte Simone von Stosch, tagesschau.de