Nach US-Rückzug aus Atomabkommen Irans neue Freunde
Seit dem Rückzug der USA aus dem Atomabkommen verschlechtert sich die wirtschaftliche Lage im Iran zusehends. Einziger Ausweg: neue Allianzen. Damit könnten die USA nicht nur sich selbst schaden.
Anfang der Woche haben Streiks den Großen Basar von Teheran sowie Märkte in zahlreichen anderen Städten lahmgelegt. Händler riefen regimekritische Parolen. Sie forderten die Regierung auf, die Landeswährung Rial zu stützen und ermahnten die politische Führung, die heimische Wirtschaft zu stärken, anstatt Geld in Syrien, dem Irak und im Jemen auszugeben.
Tatsächlich steht die iranische Wirtschaft vor gigantischen Problemen. Offiziell liegt die Arbeitslosigkeit derzeit bei zwölf Prozent. Inoffiziell dürfte sie doppelt so hoch sein. Binnen weniger Monate hat der iranische Rial fast 50 Prozent an Wert verloren. Mehr als der Hälfte der gut 30 iranischen Banken droht aufgrund fauler Kredite der Zusammenbruch. Seit Jahresanfang sollen gut 30 Milliarden Dollar aus dem Iran ins Ausland abgeflossen sein. Wuchs das Bruttosozialprodukt Irans im vergangenen Jahr offiziellen Angaben zufolge um 5,2 Prozent, droht für das laufende Jahr eine Verlangsamung auf unter zwei Prozent.
Streiks und Proteste legten den Großen Basar von Teheran lahm.
Trump-Administration erhöht Druck
Die Gründe für die dramatische Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage sind vielschichtig. Neben systemimmanenter Misswirtschaft und einer nach wie vor ausufernden Vetternwirtschaft spielt die politische Großwetterlage eine herausragende Rolle. Dass sich US-Präsident Donald Trumps aus dem Atomabkommen zurückzog und dabei "härteste Sanktionen" gegen den Iran ankündigte, hat die Stimmung im Iran massiv eingetrübt.
Der iranische Nation werde sich nicht brechen lassen, so Irans Präsident Hassan Rouhani.
Vergangenen Dienstag wandte sich Präsident Hassan Rouhani an sein Volk und erklärte im Staatsfernsehen trotzig, Amerika werde es durch seine psychologische, wirtschaftliche und möglicherweise auch militärische Kriegsführung niemals gelingen, die iranische Nation zu brechen.
Mitte der Woche erhöhte die Trump-Administration den Druck auf Teheran: Erste ausgesetzte Sanktionen wurden wieder in Kraft gesetzt. Zudem fordert die US-Regierung seine Verbündeten auf, vom 4. November dieses Jahres an kein iranisches Öl mehr einführen. Wer sich Washington nicht fügt, läuft Gefahr, selbst Opfer amerikanischer Strafmaßnahmen zu werden. Die Türkei erklärte noch am selben Tag, weiterhin iranisches Öl einführen zu wollen. Indien aber, nach China Irans zweitgrößter Ölkunde, deutete an, Washingtons Aufruf Folge zu leisten.
"Sanktionen nicht effektiv"
Gegenwärtig exportiert der Iran rund 2,7 Millionen Fässer Öl pro Tag. Der Ölverkauf ist zwar der wichtigste Devisenbringer der Islamischen Republik, aber die Ölbranche trägt nur gut 13 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt des Landes bei. Irans Wirtschaft ist vergleichsweise breit aufgestellt. Umso schmerzhafter sind die Folgen von Trumps Ausstieg aus dem Atomvertrag.
Nach dessen Abschluss im Juli 2015 und der Aufhebung zahlreicher Sanktionen hatte Teheran fest damit gerechnet, wieder Teil der globalen Wirtschaft zu werden. Die iranische Führung hoffte auf Auslandsinvestitionen in Höhe von 60 Milliarden Dollar jährlich, und sie hoffte auf Technologietransfer vor allem aus Europa. Beides ist nur in bescheidenem Maße eingetreten.
Eine Besserung ist jetzt umso weniger in Sicht, analysiert der iranische Wirtschaftsexperte Bijan Khajehpour: "Große europäische Firmen, die ihr Engagement im Iran angekündigt, aber gleichzeitig enge Verbindungen zu den USA haben, werden nicht kommen." Das Risiko sei zu hoch, Opfer amerikanischer Sanktionen zu werden.
Die Trump-Administration setzt auf einen Regimewechsel in Teheran. Der wichtigste Hebel dafür sind Wirtschaftssanktionen. Die Rechnung werde aber kaum aufgehen, das iranische Regime auf diese Weise in die Knie zu zwingen, warnt Bijan Khajehpour. "Ich habe während der Sanktionsjahre von 2011 bis 2015 immer wieder gesagt: Die Sanktionen haben Effekte, aber sie sind nicht effektiv."
Russische Flugzeugbauer könnten massiv davon profitieren, dass Airbus und Boeing den Iranern nicht die verabredeten rund 200 Passagierjets liefern.
Engere Bindung an Russland?
Eine der Folgen dürfte sein, dass Teheran sich noch enger Richtung Peking und Moskau wendet. China ist mit mehr als 12 Milliarden Dollar Irans wichtigster Handelspartner und gleichzeitig größter Abnehmer iranischen Öls. Russland taucht aufgrund der europäischen Zurückhaltung präsenter denn je im iranischen Markt auf. Russische Flugzeugbauer, so prognostiziert der Wirtschaftsexperte Khajehpour, könnten massiv davon profitieren, dass Airbus und Boeing den Iranern nicht die verabredeten rund 200 Passagierjets liefern. Russland könnte auch einen Großteil iranischen Öls abnehmen und mit Waren, Technologie und Dienstleistungen bezahlen.
Der Iran besitzt riesige Erdgasvorkommen.
Der Iran und Russland besitzen die weltweit größten Erdgasvorkommen. Moskau ist sehr daran gelegen, dass der Iran sein Gas an Kunden in Südostasien verkauft. Teheran ist aber auch am lukrativen europäischen Markt interessiert. Verfolgt die EU nicht konsequent ihre eigenen Interessen im Iran aufgrund der von Trump aufgezwungenen Politik, droht ihr nicht nur eine Beschneidung ihrer politischen, sondern auch ihrer wirtschaftlichen Möglichkeiten.
Im Iran mit seinen gut 80 Millionen Einwohnern drängen jedes Jahr mehr als 800.000 junge Menschen auf den Arbeitsmarkt. Um für sie Jobs zu schaffen, sind Investitionen von etwa 50 Milliarden Dollar nötig. Teherans Staatskasse ist zu klamm, um das leisten zu können. Die wirtschaftlich begründete Unzufriedenheit dürfte bei vielen Iranern noch erheblich zunehmen.