Referendum in Kroatien EU-Beitritt - Fluch oder Segen?

Stand: 22.01.2012 05:07 Uhr

Die Regierung in Zagreb hat den EU-Beitrittsvertrag bereits unterschrieben. Heute stimmen rund 4,5 Millionen wahlberechtigte Kroaten darüber ab. Die Meinung im Land ist gespalten - dennoch wird mit einem positiven Votum gerechnet.

Von Andreas Meyer-Feist, ARD-Hörfunkstudio Wien, zzt. Zagreb

Es ist das große Diskussionsthema in Kroatien: Lohnt sich die EU für uns? Oder werden wir uns noch sehr wundern, was da alles auf uns zu kommt? Viele wissen es nicht. Praktische und nüchterne Aufklärungsarbeit hat die kroatische Regierung nämlich vielfach vergessen vor lauter oft reichlich naiver EU-Euphorie, die sie in TV-Werbespots verbreitet. Die spielt folglich nicht den EU-Befürwortern, sondern ihren Gegnern in die Hände, die beim EU-Referendum eine ernstzunehmende Größe darstellen.

A. Meyer-Feist, ARD Wien zzt. Zagreb, 22.01.2012 05:44 Uhr

Viele hoffen auf ein Jobwunder

Damir Milcic, der mit seiner Familie ein Haus mit Garten in der Nähe von Zagreb bewohnt, ist ein Befürworter des viel beschworenen EU-Beitritts. Das hat mit seinem Job zu tun. Der Physiotherapeut hat ein neues Verfahren zur Biomagnetischen Resonanztherapie entwickelt: "Elf Jahre hat es gedauert, bis die neuen Geräte von den Behörden geprüft und abgenommen wurden", sagt er gegenüber der ARD. Für den EU-Einsatz seiner Therapie wurden zusätzliche Genehmigungen fällig. "Ist Kroatien in der EU, geht alles schneller", hofft Milcic.

Auch seine Frau Zanet und seine Kinder Lana und Marco, die beide studieren, glauben an die Vorteile eines baldigen Beitritts Kroatiens: Für junge Kroaten ist es schwer, einen festen Job zu bekommen. Jahresverträge sind für Berufsanfänger schon fast Luxusangebote. Ein größerer Arbeitsmarkt könnte die Lage entspannen, hoffen sie.

Tourismusbranche setzt auf den Beitritt

Im kroatischen Tourismus setzt man ebenfalls voll und ganz auf die EU. Nikola Zguric, der Verkaufschef des Hotels "TopTerme" in Topusko 65 Kilometer südlich von Zagreb erwartet mehr Kundschaft und Investitionen. Das 250-Betten-Haus hat wie durch ein Wunder die jugoslawischen Zeiten ebenso unbeschadet überstanden wie die Kriegswirren des kroatischen Ablösungsprozesses Anfang der 90er Jahre. Professionell kuren kann man hier samt Vollpension, Riesen-Thermalbad und Sportzentrum - für schlappe 40 Euro pro Tag. "Weil die Zimmer noch aus den frühen 1980er Jahren sind, versuchen wir mit tadelloser Sauberkeit, ausgesucht freundlichem Service und hervorragendem Essen zu punkten", sagt Zguric der ARD. Das zieht heute vor allem Kroaten an. Deutsche kommen so gut wie gar nicht. Das soll sich ändern, wenn Kroatien in der EU ist.

Mit viel Geschick ...

Geradezu euphorisch erwartet Kresimir Gulic den Beitritt Kroatiens zur EU. Seine kleine Gemeinde Bistra unweit von Zagreb verfügt über einen millionenschweren Etat. Gemeindeamt, Kulturzentrum, Straßen und Spielplätze wirken wie aus dem Ei gepellt. Das liegt an guter Planung, einer wohl situierten Bevölkerung, aber auch an bürokratischem Geschick. Gulic war lange Parlamentsabgeordneter der Partei HDZ, die den Beitrittsprozess vorbereitet hatte und wegen Korruptionsskandalen an der Parteispitze in die Opposition geschickt wurde.

... durch den EU-Beihilfe-Dschungel

Als Bürgermeister profitierte Gulic von seinen Erfahrungen mit der EU. Eine Referentin der Gemeinde wurde zur Schulung nach Brüssel entsandt, um den Beihilfe-Dschungel nutzen zu können. Beihilfen gibt es auch für Länder, die noch nicht in der EU sind. Herausgekommen ist eine neue Kanalisation: "Andere Gemeinden mussten dafür teure Subventionsberater von außen engagieren. Dabei bietet die EU kostenlose Seminare für Bürgermeister und Finanzreferenten an", sagt Gulic. Am Ende profitiere nicht nur die Gemeinde, sondern die EU, weil die Zuschüsse vernünftig und rationell investiert werden können. Bei ihm vermischt sich Dankbarkeit mit Zukunftsplänen: Bald soll eine Formel-1-Strecke mit Freizeit- und Kongresszentrum auf dem Gemeindegebiet entstehen. Dafür braucht er die EU nicht mehr. Doch private Investoren lassen sich mit einer EU-Perspektive vor allem für schwierige Projekte leichter gewinnen.

So leise die EU-Befürworter die Gunst der Stunde nutzen, so lautstark agieren die Gegner eines kroatischen EU-Beitritts. Im Internet kursiert dazu schon ein passender Can-Can-Song.

Die Ironie, mit der die allmähliche EU-Integration oft begleitet wird, ist typisch für die kroatische Debatte: Gegner und Befürworter des EU-Beitritts sind schwer auseinander zu halten. Viele halten mit Blick auf die Finanzkrise und auf die Schieflage einiger EU-Mitgliedsländer nichts davon. "Ohne EU kommen wir besser zurecht", meint Marjan Posavec gegenüber der ARD. Er hat eine kleine Kneipe in Zagreb und fürchtet, seinen selbst gebrannten Schnaps nicht mehr verkaufen zu können, weil er EU-Normen nicht erfüllen könnte. Auch ein Rauchverbot fürchtet er nach einem EU-Beitritt: "Dann kann ich gleich dicht machen. Kroatien wird zum Sklaven der EU, eine Kolonie!"  

Die EU als Kontrollinstanz für kroatische Politiker

Er sieht aber auch Positives: Immerhin könne die EU den kroatischen Politikern besser auf die Finger klopfen. Er spricht damit aus, was viele Kroaten denken. Das Ansehen der kroatischen Politiker ist auf einem Tiefpunkt angelangt. Die Skandale der langjährigen Regierungspartei HDZ unter Ivo Sanader, der auch Regierungsschef war, hat Spuren hinterlassen. Jetzt ist die HDZ nicht mehr an der Macht, Sanaders Nachfolgerin Jadranka Kosor hat die Kroaten mit ihren Reformbemühungen nicht überzeugen können. Das Misstrauen gegenüber der Politik ist geblieben, und sie belastet den EU-Integrationsprozess, den fast alle kroatische Parteien unterstützen.

Die Umfragen in Kroatien belegen nach wie vor: es gibt eine wenn auch knappe Mehrheit für den Beitritt. Ivana Handzic aus Zagreb gehört dazu:  "Ich bin jetzt 30. Ich war Verkäuferin. Vielleicht wird es einfacher mit der EU, wieder einen Job zu bekommen". Seit langem ist sie arbeitslos. Sie will für einen Beitritt stimmen: "Schon wegen der Bürokratie, die hier alles erstickt". In der EU sei das anders, glaubt sie. Rozalija Bartolic sieht das anders: "Wenn wir in der EU sind, werden unsere Renten gekürzt.", sagt sie gegenüber der ARD.

Bartolic gehört einer anderen Generation an. Ihr Mann ist im Kroatien-Krieg gestorben. Ihre Kinder musste sie alleine großziehen. Sie bekommt eine Witwenrente vom Staat, die höher ist als die Normalrente in Kroatien, weil ihr Mann als Soldat für Kroatien gekämpft hat.

Rentenkürzungen befürchtet

Auch Dragica Nikolic, die Vizepräsidentin eines Hinterbliebenen-Verbandes in Zagreb, befürchtet, dass ihre Renten in der EU beschnitten werden. Weil die nationale Vergangenheit keine besondere Rolle mehr spielt. Und weil Geld fehlt. Vor allem Menschen, die Leistungen vom Staat beziehen, befürchten Nachteile von einem EU-Beitritt, der mit dem Verlust von Souveränitätsrechten gleichgesetzt wird. Von einem Ausverkauf nationaler Interessen ist dann schnell die Rede.

EU-Normen sind bereits in vielen Betrieben Standard

Auf der anderen Seite bereitet sich die kroatische Wirtschaft offensiv auf einen EU-Beitritt vor. Auch hier ist die Stimmungslage aber ambivalent. Srdjan Oreb, Generaldirektor des 150 Jahre alten Spirituosenherstellers "Badel" in Zagreb, sieht Vor- und Nachteile: "Wir bekommen einen neuen Markt, aber auch neue Konkurrenz." Kein Problem bereitet der Wirtschaft die Übernahme der teils gelobten, teils viel gescholtenen EU-Normen. Mit einer Bewertung oder gar einer Kritik an der Fülle der EU-Vorschriften hält sich der kroatische Manager aber zurück: "Die haben wir eh schon lange erfüllt", sagt er.

Froh ist er aber über die eigene kroatische Währung Kuna - zwar ist sie an den Euro gekoppelt, verspricht aber doch eine gewisse Unabhängigkeit in der Euro-Krise. Auch Kroatien kämpft mit Problemen. Die Wirtschaft wächst kaum, die Arbeitslosigkeit steigt, der Durchschnittslohn liegt nach amtlichen Angaben weit unter 800 Euro im Monat.

Die einfache Mehrheit der Stimmen genügt

Die Volksabstimmung zur EU-Zukunft hat durchaus Gewicht. Gibt es mehr Nein- als Ja-Stimmen, dann kann sie nach frühestens einem Jahr wiederholt werden. Ändert sich nichts, wird auch nichts aus dem für den Sommer 2013 geplanten EU-Beitritt Kroatiens. Daran glauben aber nur wenige. Zumal es nicht darauf ankommt, dass eine Mehrheit der Wahlberechtigten mit ja stimmt, um einen Beitritt zu ermöglichen. Es genügt die einfache Mehrheit derjenigen, die überhaupt zum Referendum gehen.

"Wer ist so verrückt, heute noch in die EU zu wollen?"

Vedran Horvat, Mitarbeiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Zagreb, kritisiert die ungenügende Debatten-Kultur in Kroatien: "Es wird viel polemisiert, vernünftige Argumente dafür und dagegen blieben auf der Strecke." Den Umfragen traut er nicht, zumal die EU-freundlichen regierungsnah sind. Der EU-Skeptiker Tomislav Tosic hält Kroatien noch nicht reif für die EU und warnt vor den Lasten, die das Land für andere EU-Staaten mit tragen müsse: "Wer ist so verrückt, heute noch in die EU zu wollen?"

Kroatiens Außenministerin Vesna Pusic wirbt bis zur letzten Minute um ein Ja beim EU-Referendum: "Die EU-Mitgliedschaft bringt uns dauerhafte Stabilität, die Menschenrechte werden besser geschützt, Kroatien wird weltweit gestärkt, wenn das Land in der EU ist." Am Ende, hofft sie, wird noch einmal alles gut gehen.