Interview

Anklage gegen Fußballprofi Naki in der Türkei "Ich denke nicht daran abzuhauen"

Stand: 07.10.2016 08:35 Uhr

Dem ehemaligen Bundesliga-Profi Deniz Naki drohen in der Türkei bis zu fünf Jahre Haft. Vorwurf: Er habe PKK-Propaganda verbreitet. Im Interview mit tagesschau.de erklärt Naki, warum er nicht nach Deutschland zurückkommt, sondern sich dem Prozess stellen will.

tagesschau.de: Warum sind Sie angeklagt?

Deniz Naki: Ich habe auf Facebook einige Sachen gepostet, in denen ich angeblich Propaganda für die PKK mache. Es geht um sieben Einträge, für die ich bis zu fünf Jahre ins Gefängnis soll.

Deniz Naki
Zur Person
Deniz Naki, geboren 1989 in Düren, spielte in der Jugend bei Bayer Leverkusen und in den DFB-Nationalmannschaften. Von 2009 bis 2012 war er beim FC St. Pauli, danach in Paderborn. 2013 wechselte Naki in die Türkei, wo er mittlerweile bei Amed SK in Diyarbakır spielt.

tagesschau.de: Es geht dabei laut türkischen Medienberichten auch um "Hetze" - unter anderem um ein Foto von einem verzweifelten Vater, der neben seinen toten Kindern sitzt. Dieses Foto haben Sie laut Anklage geteilt und behauptet, die Kinder seien bei einem Angriff der türkischen Armee getötet worden. Tatsächlich stamme das Bild aber aus dem Gazakrieg 2009. Was sagen Sie zu dem Vorwurf?

Naki: Ich hatte angenommen, es habe sich um ein Bild aus Cizre gehandelt, nach einem Angriff der türkischen Armee. Wie ich jetzt mitbekommen habe, soll das Bild aus den Palästinensergebieten kommen. Okay. Allerdings wurden in Cizre auch Zivilisten vom Militär umgebracht. Wäre es besser gewesen, wenn ich Bilder aus Cizre gepostet hätte, auf denen Leichen zu sehen sind? Frauen und Kinder waren unter den Toten. Hätte ich davon Bilder gepostet - das wäre wohl noch schlimmer gewesen.

Deniz Naki

In der Anklage geht es unter anderem um diesen Facebook-Eintrag von Deniz Naki. (Screenshot, Gesichter der getöteten Kinder unkenntlich gemacht)<br/>

tagesschau.de: Waren Sie in Cizre?

Naki: Ich habe mehrere Familien dort besucht, mich mit ihnen unterhalten und Geld für sie gespendet. Ich habe eine Familie getroffen, deren Kind getötet wurde - und sie konnten es wegen der Ausgangssperre nicht begraben. Es wurde dann vorübergehend in einer Kühltruhe aufbewahrt.

tagesschau.de: Ist der Prozess gegen Sie bereits terminiert?

Naki: Am 8. November muss ich vor Gericht erscheinen. Bereits vor einem Monat war ich bei der Staatsanwaltschaft und habe ausgesagt, dass ich die betreffenden Postings veröffentlicht habe - und wenn es jemand anderes veröffentlicht hätte, würde ich dennoch dazu stehen. Bislang stand nicht fest, ob das Verfahren eingestellt wird, doch nun weiß ich, dass ich vor Gericht muss.

Karte: Diyarbakir, Cizre

"Ich weiß, dass ich im Recht bin"

tagesschau.de: Was erwarten oder befürchten Sie bei dem Prozess?

Naki: Viele Freunde aus Deutschland raten mir, ich solle zurückkommen. Aber ich denke gar nicht daran abzuhauen. Ich habe nichts falsch gemacht. Ich möchte Frieden, egal welche Nationalität oder Religion die Menschen haben. Bei Kurden heißt es aber sehr schnell, man sei Staatsfeind und sympathisiere mit der PKK. Aber ich weiß, dass ich im Recht bin - und daher habe ich keine Angst. Allerdings sind bereits viele Menschen wegen angeblicher Terrorpropaganda im Gefängnis gelandet - oder sogar gestorben. Und das kann auch mir passieren. Das ist mir bewusst. Doch wenn ich abhauen würde, könnte das als ein Zeichen dafür gedeutet werden, dass ich doch etwas falsch gemacht hätte.

tagesschau.de: Wie nehmen Sie die Atmosphäre in der Türkei wahr - vor allem seit dem gescheiterten Putsch?

Naki: Es ist eine sehr angespannte Atmosphäre. Beispielsweise bei der Polizei gibt es ein großes Durcheinander, weil niemand weiß, wer der Bewegung von Fethullah Gülen angehört. Ähnlich ist es beim Militär. Es herrscht überall großes Misstrauen und Verunsicherung. Dazu kommt die PKK, die aktiv ist. Man weiß nie, wann irgendwo irgendetwas passiert. Das Volk ist sehr vorsichtig geworden.

Türkische Soldaten in Cizre, im kurdischen Südosten des Landes.

Türkische Soldaten in Cizre, im kurdischen Südosten des Landes.

"Deutschland könnte etwas bewegen"

tagesschau.de: Sie sind in Düren geboren und deutscher Staatsbürger. Wie bewerten Sie die Rolle Deutschlands in dem Konflikt zwischen Kurden und Türken?

Naki: Das kurdische Volk erhofft sich mehr Hilfe von Deutschland. Seien es Waffenlieferungen an die kurdischen Kämpfer in Syrien, die gegen den "Islamischen Staat" kämpfen - oder sei es mehr Einsatz für eine politische Lösung in dem Konflikt zwischen Kurden und Türken. Da müsste Deutschland den NATO-Partner Türkei deutlicher machen, dass es so wie jetzt nicht geht. Deutschland ist ein Vorbild, was Menschenrechte angeht. Jeder Mensch, der schon einmal in Deutschland gelebt hat, würde dort wieder hingehen. Daher glaube ich, Deutschland müsste als starkes Land, das für Menschenrechte einsteht, mehr Druck machen. Und die deutsche Politik sollte sich auch mit kurdischen Politikern der HDP, die immer für eine politische Lösung eintritt, treffen und ihre Positionen verstehen. Deutschland ist ein Land, das etwas bewegen könnte.

tagesschau.de: Sie haben auf Facebook geschrieben: "Der Unterdrücker und der Unterdrückte werden niemals eins." Klingt nicht gerade nach Annäherung. Gibt es für Sie eine Lösung des Konflikts außer einen kurdischen Staat?

Naki: Es geht in dem Konflikt zwischen Türken und Kurden nicht darum, dass sich die Kurden einen eigenen Staat hier aufbauen. Das ist nicht die Priorität der Kurden. Sie wollen in Frieden leben. Und sie wollen Gleichberechtigung und Gerechtigkeit.

tagesschau.de: Bei dem Testspiel zwischen dem FC St. Pauli, ihrem ehemaligen Club, und Werder Bremen gestern Abend gab es große Solidaritätsbekundungen für Sie. Die St. Pauli-Spieler liefen mit der Nummer 23 auf, Ihrer alten Rückennummer. Auf dem Spielberichtsbogen trugen fast alle Spieler den Nachnamen Naki. Was bedeuten solche symbolischen Bekundungen angesichts der schwierigen Lage überhaupt?

Naki: Als ich 19 Jahre alt war, habe ich meine Heimatstadt Düren verlassen und bin nach Hamburg gegangen. Mein damaliger Trainer bei St. Pauli, Holger Stanislawski, war wie ein Ersatzvater. Ich kannte dort zuerst niemanden. Der Trainer und die älteren Spieler haben sich um mich gekümmert. Die Fans, das Viertel, die Stadt - das alles bedeutet mir bis heute sehr viel. Der Verein ist einmalig. Dass viele St. Paulianer mit dem Herzen bei mir sind, gibt mir Kraft. Ich kann mich nur bedanken.

Das Interview führte Patrick Gensing, ARD-aktuell

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 11. Oktober 2016 um 11:30 Uhr.