Interview

Experte zu Waffenlieferungen in den Irak "Unklar ist, was mit den Waffen passiert"

Stand: 15.08.2014 11:48 Uhr

In der Debatte über Waffenlieferungen in den Irak warnt Rüstungsexperte Pieter Wezeman: In Krisengebieten gelangten Waffen oft in falsche Hände. Im Gespräch mit tagesschau.de sagt er, es geschehe immer wieder, dass sie erbeutet, verkauft oder Rebellen überlassen würden.

tagesschau.de: Gegen Waffenlieferungen an die Kurden im Irak wird immer wieder das Argument angeführt, die Waffen könnten in falsche Hände gelangen. Wie groß ist diese Gefahr?

Pieter Wezeman: Das passiert leider immer wieder vor allem in instabilen Regionen und immer dann, wenn verschiedene Gruppen in einen Konflikt involviert sind. In solchen Regionen ist es deshalb sehr wichtig, vorher eine sehr genaue Risikoanalyse zu machen. Im Irak beispielsweise war absehbar, dass das Risiko relativ hoch sein würde, die Armee war überhaupt nicht gut genug ausgebildet, um sich in dieser Situation verteidigen zu können. Trotzdem hat sie viele Waffen aus den USA und Russland bekommen und auch einige aus Deutschland.

Zur Person

Pieter D. Wezeman, Jahrgang 1969, ist Politologe am Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) und Seniorforscher im Forschungsprogramm zum internationalen Waffenhandel. Seine Forschungsschwerpunkte sind Waffenembargos und die globale Verbreitung konventioneller Waffen und ihre Auswirkungen. Zuvor arbeitete Wezeman als Analyst für das niederländische Verteidigungsministerium.

Und jetzt ist die Situation eingetreten, dass die IS-Kämpfer sehr viele dieser Waffen erbeutet haben - ob allerdings auch deutsche Waffen darunter sind, kann ich nicht sagen. Da die Deutschen aber eher größeres Gerät wie beispielsweise Kampfhubschrauber geliefert haben, ist das nicht so einfach. Die IS hat keine Piloten, die solche Hubschrauber fliegen könnten.

tagesschau.de: Auf welchen Wegen gelangen Waffen in die Hände von Terrorgruppen?

Wezeman: Es gibt meistens zwei Möglichkeiten: Entweder die Terroristen erobern die Waffen, indem sie die Regierungstruppen überrennen. Die andere Möglichkeit ist, dass es innerhalb von Regierungstruppen Soldaten gibt, die desertieren oder Waffen verkaufen. Dieses Problem gab es nicht so sehr im Irak, sondern eher in anderen Ländern wie Somalia. Da geht es vor allem um Gewehre und Munition: es ist sehr schwierig, die Kontrolle darüber zu behalten, wo die hingelangen. Ein Kampfpanzer hingegen kann nicht so einfach wegkommen oder verkauft werden.

Waffenlieferungen können Gewaltspirale befeuern

tagesschau.de: Können Sie ein paar Beispiele nennen, wo das in der Vergangenheit passiert ist?

Wezeman: In Somalia beispielsweise haben wir schon sehr lange einen Konflikt: Die Regierung kämpft gegen militante Islamisten. Die internationale Gemeinschaft unterstützt die Regierung, weil sie am ehesten Stabilität im Land garantieren kann. Deutschland und die EU haben beispielsweise Soldaten ausgebildet. Ob man in diesen Konflikt Waffen liefern sollte, ist aber sehr fraglich, denn in der Vergangenheit haben Soldaten immer wieder Waffen weggegeben, verkauft oder sind zu den Milizen übergelaufen.

Ein anderes Beispiel ist der Bürgerkrieg in Libyen. Dort haben die Franzosen und andere Länder die Rebellen unter anderem mit Waffen unterstützt. Das Land war ohnehin bereits mit Waffen überschwemmt. Man geht davon aus, dass ein Teil der gelieferten Waffen in die Hände von Islamisten in Mali gelangt ist. Und diese Waffen haben vermutlich die Gewaltspirale noch weiter befeuert und ermöglichen diesen Konflikt erst.

Menschenrechtsverletzungen mit westlichen Waffen

tagesschau.de: Wie groß sind die Risiken bei Lieferungen an vermeintlich stabile Regierungen?

Wezeman: Wir haben bei Waffenlieferungen in bestimmte Länder oder Regionen immer das Problem, nicht genau zu wissen, ob mit diesen Waffen nicht Menschenrechtsverletzungen passieren. Deutschland ist beispielsweise beteiligt an Waffenlieferungen an Saudi-Arabien. Diese wurden 2009 im Jemen im Krieg gegen die Huti-Rebellen eingesetzt und verschiedene Organisationen haben kritisiert, dass sie sehr unbedacht damit umgegangen sind und beispielsweise bei Bombardements mit Kampfflugzeugen auch den Tod zahlreicher Zivilisten und Unschuldiger in Kauf genommen haben. Es ist ein Verdacht, aber es gibt starke Anhaltspunkte dafür.

Auch Algerien ist für Deutschland zu einem Waffenexportmarkt geworden. Dabei hatten wir dort bis vor etwa zehn Jahren einen Bürgerkrieg, in dem von Regierungsarmee und von Rebellen auch Menschenrechtsverletzungen begangen wurden. Und die Regierungsarmee ist im Prinzip immer noch die gleiche. Wir können also nicht genau wissen, ob die Algerier sich mit den Waffen in Zukunft an die internationalen Richtlinien halten oder nicht. Und wir wissen auch nie, ob eine Regierung, an die wir heute Waffen liefern, nicht vielleicht ein halbes Jahr später schon eine andere ist, siehe Ägypten.

Einzige Chance, um noch größeres Blutbad zu vermeiden?

tagesschau.de: Müsste man vor diesem Hintergrund von Waffenlieferungen an die Kurden im Irak absehen?

Wezeman: Das kann ich schwer beurteilen. Die Amerikaner liefern jetzt Waffen an die Kurden, weil sie sagen, die seien viel besser organisiert und ausgebildet. Und womöglich ist das die einzige Chance, um ein noch größeres Blutbad im Irak zu vermeiden. Hoffentlich liegen ihnen wirklich genügend Informationen vor, auf deren Grundlage sie diese Entscheidung treffen. Ein anderes Land, das diese Informationen womöglich nicht hat, sollte sehr vorsichtig sein.

tagesschau.de: Gibt es nicht bei den Kurden auch die Gefahr, dass die Waffen beispielsweise in die Hände der PKK gelangen könnten?

Wezeman: Ja, es ist eine Gratwanderung, man kann es eben nie genau wissen. Deswegen ist eine sehr genaue Abwägung von Für und Wider sehr wichtig. Schlimm ist es meist, wenn solche Entscheidungen schnell gefällt werden. Dann reicht die Zeit nicht für eine genaue Risikoanalyse.

Deutschlands Exportpraxis ist nicht konsequent

tagesschau.de: Haben Sie den Eindruck, dass die deutsche Exportpraxis diesen Anforderungen genügt?

Wezeman: Deutschland ist im Vergleich mit Ländern wie den USA oder Frankreich restriktiv, aber handelt von Fall zu Fall verschieden. Nach Somalia liefert man kategorisch nicht, nach Algerien und Saudi Arabien aber schon, obwohl diese Länder an bewaffneten Konflikten beteiligt sind. In der jetzigen Debatte wird immer betont, Deutschland muss sich an die bestehenden Richtlinien halten und liefert nicht in Krisenregionen. Das stimmt aber einfach nicht. 2011/2012 hat man entschieden, Kampfhubschrauber in den Irak zu liefern, ein Land, in dem Bürgerkrieg herrscht. Und wir wissen natürlich auch nicht genau, auf welcher Grundlage diese Entscheidungen getroffen werden und wie stark die ökonomischen Interessen dabei sind.

Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 15. August 2014 um 08:30 Uhr.