Vor dem Treffen von Bund und Ländern "Der Bildungsgipfel droht, zum Basar zu verkommen"
Kanzlerin und Länderchefs wollen bei dem Spitzentreffen am Nachmittag ihr Versprechen bekräftigen: Von 2015 an sollen zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Bildung und Forschung fließen. Ex-Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn bezweifelt im Interview mit tagesschau.de, ob dies gelingt: "Es wird getrickst und getäuscht."
tagesschau.de: Macht ein Bildungsgipfel Sinn?
Edelgard Bulmahn: Ein Bildungsgipfel macht Sinn, wenn er konkrete Ergebnisse hat. Wenn Kanzlerin und Ministerpräsidenten sich darüber einigen, wie sie die 25 Milliarden Euro Mehrbedarf für unser Bildungssystem aufbringen und wer wie viel davon übernimmt. Kurz: Ross und Reiter müssen genannt werden.
tagesschau.de: Sie rechnen damit, dass der Gipfel mit leeren Ankündigungen zu Ende gehen wird. Wie kommen Sie zu dieser Einschätzung?
Bulmahn: Weil ich aufgrund der bisherigen Vorgespräche sehr skeptisch bin. Statt festzulegen, wie die Länder 25 Milliarden Euro zusätzlich aufbringen sollen, wird getrickst und getäuscht. Auf einmal wird nur noch über 13 Milliarden geredet, die Pensionen für das Lehrpersonal werden plötzlich zur zusätzlichen Bildungsinvestition. Als ob damit zusätzlich Lehrer finanziert werden könnten.
Aber es kommt noch besser: Nun sollen auch die Schulen und Hochschulen selbst als zusätzliche Bildungsinvestitionen gewertet werden. Glaubt denn wirklich jemand, dass das den Studierenden hilft, die mit 100 oder 200 Kommilitonen in einer Veranstaltung sitzen? Wenn so das Ergebnis des Bildungsgipfels aussieht, dann wird das eine Show-Veranstaltung, bei der nur heiße Luft produziert wird.
"Es war falsch, den Bund aus dem Bildungsbereich herauszudrängen"
tagesschau.de: Ein Problem besteht offensichtlich darin, dass der Bund seit der Föderalismusreform 2006 so gut wie keine Möglichkeiten hat, in die Bildungspolitik einzugreifen. Ihre Nachfolgerin im Amt als Bundesbildungsministerin, Annette Schavan (CDU), hat das sogenannte Kooperationsverbot, das im Grundgesetz die Zusammenarbeit von Bund und Ländern verbietet, als "Crash" bezeichnet. Behindert die Kleinstaaterei ein effizientes Bildungssystem?
Bulmahn: Ich halte es für falsch, dass der Bund rigoros aus dem Bildungsbereich herausgedrängt wurde. Aber als darüber verhandelt wurde, vertrat Frau Schavan leider noch die Position, dass der Bund in der Bildungspolitik nichts zu suchen habe. Sie gehörte als Kultusministerin von Baden-Württemberg zu denjenigen, die selber dazu beigetragen haben, dass der Bund jetzt draußen bleiben muss.
Der Bildungsgipfel kann die Verfassung nicht ändern. Aber er kann eine ausreichende Finanzierung der Bildung sicherstellen und konkrete Beschlüsse fassen, wie 25 Milliarden Euro zusätzlich für Bildung aufgebracht werden. Dazu müssen die Steuersenkungen fallen, die die schwarz-gelbe Koalition will. Sie sind volkswirtschaftlich falsch und zerstören gleichzeitig die finanziellen Voraussetzungen der Länder und Kommunen, mehr in Bildung zu investieren.
"Bildung wird zum Spielball"
tagesschau.de: Glauben Sie, dass der Bildungsgipfel ein Besänftigungsgipfel wird, um den Ministerpräsidenten das Ja für die schwarz-gelbe Steuerreform im Bundesrat schmackhaft zu machen?
Bulmahn: Der Bildungsgipfel droht zum Basar zu verkommen, auf dem der Bund vor allem um die Zustimmung der Länder zur Steuersenkung feilscht. Bildung wird dabei zum Spielball.
tagesschau.de: Inwiefern sollte die Bundesregierung den Ministerpräsidenten Ihrer Meinung nach finanziell entgegenkommen?
Bulmahn: Die Länder müssen einen höheren Anteil an der Mehrwertsteuer erhalten, andernfalls können sie die Bildungsausgaben nicht finanzieren. Es hilft nichts, wenn man in Sonntagsreden den Stellenwert von Bildung beschwört, dann aber bei den konkreten, finanziellen Entscheidungen kneift - sonst ist ein Bildungsgipfel für die Katz. Schließlich geht es darum, jährlich zusätzlich 25 Milliarden Euro in die Bildung zu investieren.
tagesschau.de: Sollte das Grundgesetz erneut geändert werden, um den finanziellen und politischen Spielraum des Bundes zu erweitern?
Bulmahn: Ja, aber dafür gibt es keine politischen Mehrheiten. Das Kooperationsverbot im Grundgesetz muss fallen, das wäre wirklich ein Fortschritt (Anm. d. Red.: Der Artikel 104b im Grundgesetz schließt Finanzhilfen des Bundes "für besonders bedeutsame Investitionen der Länder und der Gemeinden" dann aus, wenn für diese Bereiche - wie bei der Bildung - ausschließlich die Länder Gesetzgebungskompetenz haben.).
Sinnvoll wäre zum Beispiel ein zweites großes Ganztagsschulprogramm. Und ein großes zehnjähriges Lehrpersonalprogramm für die Hochschulen. Der Bund sollte mehr Kompetenzen im Hochschulbereich erhalten. Denn viele der Probleme an den Hochschulen hängen damit zusammen, dass die ärmeren Länder nicht in der Lage sind, sie so auszustatten, wie es geboten wäre. Das gilt erst recht, wenn 40 oder 50 Prozent eines Jahrgangs eine Hochschule besuchen.
Das Interview führte Jörn Unsöld für tagesschau.de.