Bundestagswahl 2017 Vom Stimmzettel zum Ergebnis
Ankreuzen und einwerfen: So sieht für die meisten Bürger der Wahlgang aus. Doch erst danach wird aus vielen Stimmzetteln ein Wahlergebnis. Dieser Prozess ist genau geregelt und hat dennoch Schwachstellen.
Stimmzettel
Bundestagswahlen werden in Papierform durchgeführt. Der Ablauf ist durch das Bundeswahlgesetz und die Bundeswahlordnung geregelt. Mit der Wahlberechtigungskarte oder einem gültigen Ausweis erhält der Bürger im Wahllokal seinen amtlichen Stimmzettel und darf wählen.
Voraussetzung für die Abgabe der Stimme im Wahllokal ist, dass der Name des Wählers im Wählerverzeichnis eingetragen ist. Dafür sorgt in Deutschland in der Regel die Gemeindebehörde mit den jeweils aktuellen Meldedaten. Im Gegensatz zu anderen Ländern, wie beispielsweise den USA, muss man sich hierzulande für die Stimmabgabe nicht eigens registrieren lassen. Im Wählerverzeichnis sind dann die Namen der Wahlberechtigten, das Geburtsdatum und die Anschrift vermerkt. Spätestens am Tag vor der Wahl wird das Wählerverzeichnis geschlossen. Dabei wird dann auch die Zahl der Wahlberechtigten des Wahlbezirks festgestellt.
Nachdem der Schriftführer im Wahllokal die Wahlberechtigung geprüft hat, darf der Stimmzettel in die Wahlurne. Die Stimmabgabe wird dann in einem ausgedruckten Wählerverzeichnis im Wahllokal handschriftlich vermerkt, um eine potenzielle zweite Stimmabgabe durch dieselbe Person zu verhindern.
Die Wahlzeit ist festgelegt und dauert in der Regel von acht bis 18 Uhr.
Wahlcomputer verfassungswidrig
Während in anderen Ländern auch Computer zur Stimmabgabe zugelassen sind, entschied das Bundesverfassungsgericht 2009: Die Verwendung von Wahlcomputern bei der Bundestagswahl 2005 war verfassungswidrig. Damals hatten mehr als eine Million Menschen ihre Stimme per Computer abgeben dürfen. Die Entscheidung begründete das Gericht mit dem Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl. Dieser Grundsatz sei bei den eingesetzten Computern nicht gewährleistet gewesen.
Die Richter entschieden damals generell: Der Einsatz elektronischer Wahlgeräte setze voraus, dass "die wesentlichen Schritte der Wahlhandlung und der Ergebnisvermittlung vom Bürger zuverlässig und ohne besondere Sachkenntnis überprüft werden können". Die Bauzulassung für Wahlgeräte liegt in der Zuständigkeit des Bundesinnenministeriums und wurde durch die sogenannte Bundeswahlgeräteverordnung geregelt. Aber auch die war aus Sicht des höchsten deutschen Gerichts verfassungswidrig, "weil sie nicht sicherstellt, dass nur solche Wahlgeräte zugelassen und verwendet werden, die den verfassungsrechtlichen Voraussetzungen des Grundsatzes der Öffentlichkeit genügen".
Welche Sicherheitsprobleme der Einsatz von Wahlcomputern mit sich bringt, wurde zuletzt auf der Technikkonferenz Def Con in Las Vegas deutlich. Dort durften erst im Juli Hacker die Sicherheit von 30 unterschiedlichen auf dem Markt erhältlichen Wahlcomputern testen. Das Ergebnis: Alle 30 Wahlcomputer und Systeme zur elektronischen Wählerregistrierung wurden von den Def-Con-Teilnehmern gehackt, wie beispielsweise die "Zeit" berichtete.
Stimmenzählung
Noch im Wahllokal werden die abgegebenen Stimmzettel ausgewertet: Die Auszählung übernimmt der gesamte Wahlvorstand, bestehend aus Wahlvorsteher, Schriftführer und den Beisitzern. Wegen des Grundsatzes der Öffentlichkeit hat darüber hinaus jeder das Recht, bei der Auszählung der Stimmen dabei zu sein - sofern er dabei nicht die Auszählung behindert oder stört.
Zunächst wird die Stimmabgabe-Liste mit der Anzahl abgegebener Stimmen in der Wahlurne verglichen. Danach werden die Stimmzettel in unterschiedliche Stapel sortiert und dann ausgewertet. Zwischensummen und das Wahlergebnis eines Wahllokals werden schließlich durch den Schriftführer in die sogenannte Wahlniederschrift eingetragen. Alle Mitglieder des Wahlvorstandes müssen die Niederschrift ihres Wahllokals unterzeichnen.
Auf welche Art die in einem Wahllokal abgegebenen Stimmzettel ausgewertet werden sollen, ist genau geregelt. So beschreibt das folgende Erklärvideo des Bundeswahlleiters für Wahlhelfer, wieviele Stapel zu bilden sind und in welcher Reihenfolge diese ausgewertet und die Zwischenergebnisse schriftlich zu vermerken sind.
Neben der Wahlniederschrift wird das Ergebnis zudem auf ein Formular für die Schnellmeldung eingetragen. Darin festgehalten sind unter anderem die Zahl der Wahlberechtigten, die Zahl der gültigen und ungültigen Stimmen und der Name des Bewerbers, der demnach als direkt gewählt gelten kann.
Auch für die Auszählung der Briefwahlunterlagen gibt es mindestens einen Wahlvorsteher und einen Wahlvorstand für jeden Wahlkreis. Damit nicht erkennbar ist, wie einzelne Wahlberechtigte abgestimmt haben, sollen auf einen Briefwahlvorstand mindestens 50 Wahlbriefe entfallen. Auch die Stimmzettel der Briefwahl werden gemeinschaftlich ausgewertet und das Ergebnis notiert.
Schnellmeldung
Die im Wahllokal ermittelten Ergebnisse müssen nach Auszählung schnellstmöglich weitergegeben werden. Wie das zu geschehen hat, regeln die Paragraphen 70 und 71 der Bundeswahlordnung. Diese Regeln betreffen am Wahltag Tausende Helfer in etwa 70.000 Wahllokalen, 299 Wahlkreisen, die 16 Landeswahlleiter und den Bundeswahlleiter, Dieter Sarreither.
Eingetragen werden die Wahlergebnisse in die offizielle Wahlniederschrift - und für das vorläufige Ergebnis, in ein sogenanntes Schnellmeldungsformular. Auf diesem Formular ist auch festgehalten, an wen das Wahlergebnis weiterzuleiten ist. Zum Übertragungsweg heißt es dort schlicht: "auf schnellstem Wege (z.B. telefonisch oder auf sonstigem elektronischen Wege)".
Zunächst wird das lokale Ergebnis vom Wahlvorsteher zur Gemeindebehörde übermittelt. Wie der Bundeswahlleiter auf Anfrage des ARD-faktenfinder erklärte, erfolgt diese Schnellmeldung "in der Regel telefonisch". Von dort wird das Gemeindeergebnis dem Kreiswahlleiter gemeldet. Hierbei kommen demnach "unterschiedliche teschnische Lösungen zum Einsatz, in der Regel innerhalb von Behördennetzen". So meldet der Kreiswahlleiter das vorläufige Wahlergebnis dann auch an den Landeswahlleiter. "Verschlüsselt im abgeschotteten Verwaltungsnetz des Bundes" übermittelt dieser die eingehenden Wahlkreisergebnisse an den Bundeswahlleiter - sofort und laufend. Für alle Ebenen ist dabei eine zusätzliche Rückkopplung vorgesehen, um die übermittelten Ergebnisse zu überprüfen. Aus den übermittelten Ergebnissen der Landeswahlleiter ermittelt der Bundeswahlleiter das vorläufige Wahlergebnis.
Wahl-Software mit Sicherheitslücken
Während Wahlcomputer zur Stimmabgabe in Deutschland verboten sind, kommen spätestens ab der Wahlkreisebene auch bei der Bundestagswahl Computer und Software zum Einsatz - zur Erfassung, Organisation und Übertragung der Daten. Darüber hinaus auch bei der Auswertung der Ergebnisse. Wie die "Zeit" zuerst berichtete, führte eine Untersuchung von Informatikstudent Martin Tschirsich zu der Erkenntnis, wie unsicher die Übertragung zum Beispiel mit dem Programm "PC-Wahl" tatsächlich ist. Experten des Chaos Computer Club (CCC) konnten diese Sicherheitslücken nachvollziehen und fanden dabei zusätzliche Probleme.
Die Hacker des CCC veröffentlichten ihre Erkenntnisse in einem Bericht. Darin belegten sie detailliert die Schwachstellen der Software "PC-Wahl". In einer Chat-Sendung des Computermagazins "Heise" sagte Linus Neumann, Sprecher des Chaos Computer Club:
Was uns hier ein bisschen erschüttert: Wir haben die ganzen Institutionen in Deutschland und wollen Verschlüsselungsstandort Nummer 1 werden, wir leisten uns ein Bundesamt für die Sicherheit in der Informationstechnik und dann das hier. Es tut keine Not, das auf diese Weise abzuhandeln. (...) Es ist wirklich traurig.
Wie der Bundeswahlleiter mitteilte, wurde das Unternehmen hinter "PC-Wahl", die Vote IT GmbH, durch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zu einer "Behebung der bekannten Schwachstellen gedrängt". Das Unternehmen veröffentlichte zuletzt zwei Updates, wie ein Blick in die Update-Historie zeigt, die online einsehbar ist: Zunächst am 5. September und dann am 13. September. Laut Chaos Computer Club "ein erfolgloser Versuch, das größte Einfallstor für Angreifer zu schließen".
Um zur Bundestagswahl dennoch eine Verbesserung zu erreichen, spendete der Verein "eine funktionierende Möglichkeit zur digitalen Signatur von 'PC-Wahl'-Updates und Wahlergebnissen". CCC-Sprecher Neumann teilte dazu mit:
Durch unsere Veröffentlichung wollten wir den Hersteller dazu bewegen, sich endlich kompetenten Rat zu suchen. Resigniert stellen wir nun fest, dass es dem Hersteller nicht nur am Willen, sondern an Kompetenz und inzwischen auch an der notwendigen Zeit fehlt, seine Probleme nachhaltig in den Griff zu bekommen.
Die Vote IT GmbH teilt die Sorgen des CCC nicht und stellte per Pressemitteilung fest: "Die Bundestagswahl ist nicht manipulierbar. (...) Die Verantwortung für sämtliche Übertragungswege und die sichere Übermittlung der vorläufigen Wahlergebnisse tragen die Anwender." Auf das kostenfreie Angebot des Clubs zur Verbesserung der Sicherheit ging das Unternehmen nicht ein.
Neben der Software "PC-Wahl" werden zur Bundestagswahl noch weitere Software-Produkte eingesetzt - darunter teilweise in den Ländern selbst programmierte Software, als auch weitere kommerzielle Programme wie IVU.elect oder Vote Manager. Einen Überblick über die in Deutschland eingesetzten Software-Produkte bei der Bundestagswahl hat "Spiegel Online" veröffentlicht.
Der Chaos Computer Club geht davon aus, dass auch diese Produkte Schwachstellen haben. Denn bei der Übertragung von Wahlergebnissen gibt es auch Schwächen im Prozess, die in den Vorgaben der Statistischen Landesämter begründet sind, wie der CCC kritisiert. Diese betreffen demnach primär die Tatsache, dass die übermittelten Daten "nicht signiert" - also gegen Veränderung der Inhalte oder Fälschung des Absenders - geschützt sind.
Möglicherweise wird es Veränderungen für den Einsatz von Software bei künftigen Wahlen geben. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik sprach sich dafür aus, dass "künftig nur noch vom BSI zertifizierte Software-Produkte eingesetzt werden". Auch der Bundeswahlleiter sieht Optimierungsbedarf:
Nach der Wahl erfolgt wie immer eine umfassende Evaluierung der Abläufe einschließlich Empfehlungen des Bundeswahlleiters an das Bundesinnenministerium. [...] Der Einsatz von Wahlsoftware auf allen Ebenen wird dabei mit Sicherheit eine Rolle spielen.
Vorläufiges Ergebnis
Der Bundeswahlleiter tritt am Wahltag in der Regel zwei Mal vor die Presse: Zunächst veröffentlicht er einen Zwischenstand zur Wahlbeteiligung bis 14 Uhr. In den Stunden nach Schließung der Wahllokale teilt der Bundeswahlleiter auf seiner Website dann alle bei ihm eingegangenen Wahlkreis- und Länderergebnisse mit, unmittelbar nachdem er sie von den Landeswahlleitern empfangen und geprüft hat. Erst nach Eingang des letzten Wahlkreis-Ergebnisses veröffentlicht er dann in der Wahlnacht das vorläufige amtliche Ergebnis.
Diese Ergebnisse fließen dann auch in die Medienberichterstattung zur Wahl ein. Mit der Veröffentlichung der Prognosen um 18 Uhr - beispielsweise in der ARD - hat der Bundeswahlleiter dagegen nichts zu tun. Die Prognose ermitteln Umfrageinstitute durch die Befragung von Tausenden Wählern am Wahltag nach der Stimmabgabe in ausgewählten Wahllokalen. In die danach veröffentlichten Hochrechnungen werden dann Nachwahlbefragungen, Beobachtungen bei der Auszählung in ausgewählten Wahllokalen und bereits bekannte vorläufige Auszählungsergebnisse einbezogen.
Endgültiges amtliches Ergebnis
Bis zur Veröffentlichung des amtlichen Endergebnisses vergehen mehrere Wochen. In dieser Zeit werden die Wahlniederschriften aus den Wahllokalen in Papierform an die Gemeinden und Kreiswahlleiter geschickt. Dort werden die Ergebnisse zu Kreisergebnissen zusammengefasst und vom Kreiswahlausschuss bestätigt. Generell gilt, dass für das endgültige Ergebnis nicht die in der Wahlnacht übermittelten Schnellmeldungen herangezogen werden sollen.
Das endgültige Ergebnis des Wahlkreises ist nicht nach den Schnellmeldungen, sondern aus den geprüften und gegebenenfalls berichtigten Ergebnissen in den Abschnitten 4 der Wahlniederschriften (Anlagen 29 und 31 BWO) zusammenzustellen.
Das Kreiswahlergebnis wiederum wird schriftlich an den zuständigen Landeswahlleiter verschickt. Dort erfolgt die offizielle Zusammenfassung der Ergebnisse zum Landeswahlergebnis, das wiederum vom Landeswahlausschuss bestätigt werden muss.
Erst dann tagt auch der Bundeswahlausschuss - in diesem Jahr voraussichtlich am 12. Oktober. Dort wird die Zusammenfassung der Landeswahlergebnisse und damit das offizielle endgültige Ergebnis der Bundestagswahl festgestellt. Dieses wird vom Bundeswahlleiter dann auch veröffentlicht - zuletzt geschah das im Europasaal des Deutschen Bundestages.
Überprüfung der Ergebnisse
Für den Fall möglicher Beschwerden wegen Wahlmanipulation oder bei Auffälligkeiten durch Plausibilitätsprüfungen werden die einzelnen Stimmzettel einer Wahl aufbewahrt: Die Stimmzettel und Wahlscheine werden in der Gemeindebehörde gelagert, bis die Vernichtung der Wahlunterlagen zugelassen ist. Dies ist in der Regel erst 60 Tage vor der nächsten Wahl der Fall.
Die Pakete werden nur nach Aufforderung dem Kreiswahlleiter zugänglich gemacht und dann gegebenenfalls neu ausgezählt. Diese Option ist in Deutschland aus Sicht aller Beteiligten der wirksamste Schutz vor einem Wahlbetrug. So teilte der Bundeswahlleiter auf Anfrage mit:
Das endgültige Wahlergebnis basiert auf den schriftlichen Wahlniederschriften der einzelnen Wahlorgane. Eine Manipulation ist nach Auffassung des Bundeswahlleiters nicht möglich.