ARD-DeutschlandTrend September 2008 Starkes Comeback für Müntefering – Ypsilanti bricht ein
Der Flirt der hessischen SPD-Landeschefin Ypsilanti mit der Linkspartei stößt beim Wähler auf wenig Gegenliebe. 72 Prozent der Befragten lehnen laut ARD-DeutschlandTrend einen Machtwechsel mit Unterstützung der Partei Die Linke ab. Positiv dagegen wird die Rückkehr Münteferings beurteilt, der auch SPD-Chef Beck in den Schatten stellt.
Von Jörg Schönenborn, WDR
Neun Monate hatte er sich von der politischen Bühne zurückgezogen, jetzt feiert Franz Müntefering demoskopisch ein starkes Comeback. Er wird von den Wählern so gut bewertet wie nie zuvor: 62 Prozent sind mit seiner politischen Arbeit zufrieden. Dabei ist die Zustimmung unter den SPD-Wählern mit 74 Prozent und sogar unter den Wählern der Union mit 69 Prozent besonders hoch.
In der Reihe der wichtigsten deutschen Spitzenpolitiker werden nur Außenminister Frank-Walter Steinmeier (67 Prozent unter allen Befragten) und Kanzlerin Angela Merkel (63 Prozent) noch besser eingeschätzt. Das ist eines der wirklich überraschenden Ergebnisse des ARD-DeutschlandTrends. Es zeigt, wie wichtig für die großen Parteien Führungsfiguren sind, die bei den Wählern als vertrauenswürdig gelten.
Demoskopisches Debakel für Ypsilanti
Allerdings erlebt die SPD mit einer anderen prominenten Politikerin derzeit auch das genaue Gegenteil - ein demoskopisches Debakel. Unter hessischen Wählern ist die SPD-Landesvorsitzende Andrea Ypsilanti regelrecht eingebrochen. Im Januar vor der Landtagswahl waren noch 56 Prozent der Befragten in Hessen mit ihrer Arbeit zufrieden, jetzt sind es nur noch 25 Prozent.
Der Grund ist klar: Sowohl in Hessen als auch bundesweit lehnt eine große Mehrheit der Wählerinnen und Wähler die Pläne Ypsilantis ab, mit Unterstützung der Linkspartei eine Regierung zu bilden. In Hessen liegt die Ablehnung bei 72 Prozent, bundesweit bei 69 Prozent, wobei die SPD-Anhänger mit 65 Prozent fast genauso skeptisch sind wie die übrigen Befragten.
Hessen: Mehrheit befürwortet Neuwahlen
In Hessen wünscht sich eine Mehrheit von 57 Prozent Neuwahlen. Und die würden, in Kenntnis der veränderten Koalitionsabsichten der SPD, ganz anders ausgehen als die Landtagswahlen am 27. Januar. Der große Verlierer wäre dann die SPD, die derzeit nur noch mit 28 Prozent (Landtagswahl 36,7) rechnen kann. Die Union wäre mit 39 Prozent (36,8) wieder unangefochten stärkste Partei.
Zusammen mit einer bei 12 Prozent liegenden noch stärkeren FDP (9,4) könnte das sogar für eine kleine schwarz-gelbe Koalition reichen. Auch die Grünen schneiden mit 11 Prozent (7,5) deutlich besser ab. Die Linkspartei hätte mit 7 Prozent (5,1) gute Chancen, erneut in den Landtag einzuziehen. Neuwahlen fürchten muss also im Grunde nur die SPD, alle anderen Parteien würden profitieren.
Unklare Verhältnisse belasten die SPD
Das ungeklärte Verhältnis zur Linkspartei belastet die Sozialdemokraten auch auf Bundesebene. Die SPD gewinnt zwar in der Sonntagsfrage zwei Punkte, bleibt aber mit 26 Prozent im demoskopischen Keller. Die Union kann davon weiterhin nicht profitieren. Sie steht unverändert bei 36 Prozent. Die Partei Die Linke mit 13 Prozent (-1), FDP mit 11 Prozent (-1) und Grüne mit 10 Prozent (-1) verlieren zwar leicht, bleiben aber zweistellig und damit verhältnismäßig stark.
Münte überholt Beck
Aus Sicht der Wähler erscheint die Kanzler-Frage bei den Sozialdemokraten nach der Rückkehr von Müntefering in neuem Licht. Auch wenn ihm diese Absicht kaum jemand ernsthaft unterstellt, wäre er für 36 Prozent die Person mit den größten Chancen gegen Merkel. Steinmeier steht mit 41 Prozent nur leicht besser da. SPD-Parteichef Beck ist nur für 10 Prozent der Befragten die aussichtsreichste Lösung.
Noch knapper ist das Ergebnis übrigens unter SPD-Anhängern: da führt Steinmeier gegen Müntefering nur mit 40 zu 38 Prozent. Parteichef Beck droht unter den prominenten SPD-Führungsfiguren also zur Nummer drei zu werden.
Angst vor Armut, Teuerung - und Datenmissbrauch
Jenseits der Politik haben die Bundesbürger aber ganz andere Sorgen. An der gesellschaftlichen Grundstimmung hat sich nämlich seit Jahresbeginn wenig geändert. Fast zwei Drittel (64 Prozent) sind der Ansicht, dass es in Deutschland alles in allem ungerecht zugeht.
Zu dieser Wahrnehmung tragen vor allem die steigenden Preise bei. Auf der Problemskala steht dieses Thema für die Deutschen ganz oben: 87 Prozent geben an, dass die Preisentwicklung ihnen "sehr große Sorgen" bereitet. Es folgen Armut in Deutschland (85 Prozent) und - deutlich nach oben gerückt - der Missbrauch von Daten mit 78 Prozent. Hier sieht die Mehrheit den Staat in der Pflicht. 56 Prozent fordern, der Gesetzgeber möge den Datenschutz verbessern, während 23 Prozent der Ansicht sind, zuallererst müsse jeder Einzelne mehr dazu beitragen, mit seinen Daten sorgsam umzugehen.
Wie vertrauenwürdig ist Russland?
Trotz der Kaukasus-Krise bleiben die Deutschen in Sachen äußerer Sicherheit vergleichsweise gelassen: 50 Prozent machen sich Sorgen um den Frieden in Europa. Allerdings werden sowohl Russland als auch die USA und Polen jetzt kritischer gesehen als noch im Frühjahr. Nur noch 26 Prozent halten Russland für "einen Partner, dem man vertrauen kann" (-9), bei Polen denken das 43 Prozent (-6) und bei den USA 48 Prozent (-5). Das engste Vertrauensverhältnis empfinden die Deutschen unverändert zu ihren französischen Nachbarn. 85 Prozent halten das Land für einen vertrauenswürdigen Partner (-5).
Grundgesamtheit: Wahlberechtigte Bevölkerung in Deutschland ab 18 Jahren
Stichprobe: Repräsentative Zufallsauswahl / Randomstichprobe
Erhebungsverfahren: Computergestützte Telefoninterviews
Fallzahl: 1000 Befragte (700 West / 300 Ost)
Erhebungszeitraum: 01. bis 02. September 2008
Fehlertoleranz: 1,4 bis 3,1 Prozentpunkte
Sonntagsfrage: 1500 Befragte
Erhebungszeitraum: 01. bis 03. September 2008
Fehlertoleranz: 1,1 bis 2,5 Prozentpunkte
Müntefering: 500 Befragte
Erhebungszeitraum: 02. bis 03. September 2008
Fehlertoleranz: 1,9 bis 4,4 Prozentpunkte