Hintergrund

EHEC-Krisenmanagement in der Kritik Von Kompetenzen und Grenzen

Stand: 07.06.2011 15:40 Uhr

Das EHEC-Krisenmanagement ist in die Kritik geraten. Langsam, unkoordiniert, verwirrend - so die Vorwürfe. Die Verunsicherung durch die vielstimmigen Aussagen zur EHEC-Krise hat strukturelle Gründe. tagesschau.de erklärt, welche Behörde wofür zuständig ist - und warum es keine zentrale Instanz gibt.

Die Suche nach der Infektionsquelle für den gefährlichen Darmkeim geht weiter. Dabei sind diverse Stellen eingebunden: Das Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin ist für die EHEC-Infektionen bei Menschen zuständig, das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hingegen für die Proben in Lebensmitteln. Beide Institute versichern, man stehe im ständigen Austausch. Andreas Hensel vom BfR betont: "Wir haben eine enge Zusammenarbeit und eigentlich bisher keine Defizite."

Erschwert wird die Kooperation laut Kritikern dadurch, dass das RKI dem Bundesgesundheitsministerium unterstellt ist - das BfR hingegen dem Ressort für Verbraucherschutz. Zwischen den jeweiligen Ministerien gebe es durchaus auch Konkurrenz, verlautet es selbst aus den Instituten.

Aigner sieht keine Probleme

Das weisen die Ministerien weit von sich. Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner sieht das Land in der EHEC-Krise gut aufgestellt. In der ARD wies die Kritik am Krisenmanagement zurück: "Wir arbeiten in der jetzigen Situation alle zusammen. Es gibt keine Kompetenzrangeleien, überhaupt nicht."

Gesundheitsminister Daniel Bahr reagierte ähnlich: Er sehe "derzeit keinen Hinweis darauf, dass die Systeme und Regeln, die wir haben, nicht funktionieren", sagte er bei einem Besuch in in Hamburg.

"Keine Durchgriffsmöglichkeiten"

Dies bewertet die Opposition allerdings anders - und auch Fachleute zeigen sich wenig zufrieden. Der Ärztliche Direktor der Berliner Charité, Ulrich Frei, sagte in den tagesthemen, das RKI könne zwar beraten und vermitteln, habe aber keine Durchgriffsmöglichkeiten. Das RKI leiste im Prinzip gute Arbeit, nur sei das Ausmaß der Probleme nicht rechtzeitig erkannt worden.

RKI-Präsident Reinhard Burger räumte ebenfalls in der ARD ein, es könne hilfreich sein, wenn es eine direkte Zusammenarbeit gebe. Das föderale Prinzip sei aber eine "heilige Kuh". Nur durch eine politische Entscheidung könne das Vorgehen anders organisiert werden.

Der Ball liegt also bei der Politik. Denn für die Lebensmittelkontrollen sind die Bundesländer zuständig - das Ganze unter Koordination einer weiteren Bundesbehörde, nämlich dem Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL). Doch dieses stand bereits in der Kritik, beispielsweise im Skandal um Dioxin in Futter und Lebensmitteln.

Wegen der aufgeteilten Zuständigkeiten wurde bislang auch nicht zentral vor möglichen EHEC-Quellen gewarnt, sondern aus den Ländern verschiedene Verdachtsfälle gemeldet: Hamburg warnte vor Gurken aus Spanien, aus Schleswig-Holstein hieß es, eine heiße Spur führe nach Lübeck - und Niedersachsen warnte vor Sprossen aus dem Landkreis Uelzen. Andere Länder kündigten daraufhin an, eigene Kontrollen durchführen zu wollen. Doch keine der Spuren hat sich bislang bestätigt, gleichzeitig will sich verständlicherweise kein Land nachsagen lassen, beim Schutz vor EHEC zu spät reagiert zu haben.

Experten fordern mehr Kompetenzen für das RKI

Die Verwirrung bei den Bürgern scheint immens zu sein. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen hält das Vorgehen dementsprechend für "unglücklich". Sein Gesundheitsexperte Stefan Etgeton sagte: "Ich hätte mir gewünscht, die Information wäre vom Robert Koch-Institut ausgegangen."

Auch andere Experten heben strukturelle Defizite hervor: Die deutschen Behörden hätten "keine Ahnung", wie sie mit Epidemien umgehen müssten, betont der ARD-Journalist Klaus Weidmann im Gespräch mit tagesschau.de. Weidmann hatte bereits vor mehr als zehn Jahren das Krisenmanagement in Deutschland untersucht. Hier seien die Kompetenzen "fatalerweise auf die einzelnen Bundesländer übertragen worden".

Weidmann fordert, bei EHEC-Ausbrüchen müsse sofort eine Eingreiftruppe aus Mikrobiologen und Hygienikern ausrücken, um die Quelle der Infektion festzustellen. Wenn dies nicht geschehe, riskiere man Menschenleben. Der Fachjournalist verwies auf die USA, wo das zentral organisierte Centre for Disease Control (CDC) über große Befugnisse, entsprechendes Personal und auch Geld verfüge, um dem EHEC-Erreger bereits seit den 80er-Jahren auf die Spur zu kommen. Dies sei "sozusagen das amerikanische Robert Koch-Institut" - nur mit weiten Kompetenzen statt engen Grenzen.

Irritationen auch über Patienten-Befragung

Für Irritationen sorgte auch, dass die EHEC-Patienten nicht umgehend und einheitlich befragt wurden. Die Krankenhäuser beklagten, das RKI sei hier ohne Absprache mit den behandelnden Ärzten vorgegangen. Sein Klinikum habe erst spät Fragebögen für die Patienten bekommen, monierte Frei von der Berliner Charité.

Zudem müssen die Fragebögen wegen der verschiedenen Verdachtsfälle ständig angepasst werden. Das RKI verwies darauf, dass es bei der Befragung von Patienten von Beginn an nach dem Verzehr von Sprossen gefragt habe. In einem Fragebogen des RKI, der tagesschau.de vorliegt, tauchen Sprossen allerdings nicht auf.

Das RKI kündigte mittlerweile eine dritte "Fall-Kontroll-Studie" an, in der speziell der Verzehr von Salat-Zutaten, wie beispielsweise auch Sprossen, als möglicher Risikofaktor untersucht werde. Zugleich warnte das Bundesinstitut für Risikobewertung weiterhin vor dem Verzehr roher Tomaten, Salatgurken und Blattsalate. Diese Hinweise, die insbesondere auf in Norddeutschland erhältliche Ware abzielten, würden durch die Ergebnisse von zwei neuen epidemiologischen Studien des RKI bestätigt.

Abwarten und keine Gurken essen

In Hamburg und Münster sind derweil Wissenschaftler damit beschäftigt, Gene des aktuellen Erregers und eines früheren Stamms abzugleichen und nach wirksamen Gegenmitteln zu suchen. Die Forscher erhoffen sich davon "wertvolle Hinweise darüber, was den aktuellen Ausbruchsstamm so aggressiv macht", sagte Alexander Mellmann vom Institut für Hygiene in Münster.

Die Patienten und Bürger müssen sich also weiter gedulden, bis das Rätsel des EHEC-Keims sowie dessen Verbreitung gelöst werden könnte - falls dies überhaupt noch gelingt. Niedersachsens Landwirtschaftsminister Gert Lindemann befürchtet bereits, dass der EHEC-Nachweis möglicherweise nicht mehr erbracht werden könne. BfR-Präsident Hensel sprach von dem größten bakteriellen Ausbruch mit Escherichia coli, den es seit dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland gegeben habe. Auch er bat die Bevölkerung bei der Suche nach der Ursache um Geduld.