Der Vernetzer geht in den Ruhestand "Meine Mail-Adresse lautete zorn@germany"
Diese Mail war ein Ereignis: Am 2. August 1984 saß Werner Zorn vor seinem Computer an der Universität Karlsruhe und empfing einen Willkommensgruß aus dem US-amerikanischen Wissenschaftsnetz CSNET. Es war die erste E-Mail, die Deutschland erreichte. Damit hatte auch die Bundesrepublik Teil an einer Revolution, die die Kommunikation massiv beeinflussen sollte. Werner Zorn, der Mann, der mit seinem Team die erste Internet-Verbindung nach Deutschland zustande brachte, geht jetzt in den Ruhestand.
tagesschau.de: Sie haben die erste Internet-Verbindung nach Deutschland aufgebaut: Am 2. August 1984 empfingen Sie die erste E-Mail, die je an eine deutsche Adresse gesendet wurde. Wie kompliziert war das damals?
Werner Zorn: Von der Idee bis zum Zeitpunkt als die E-Mail tatsächlich gesendet wurde, hat es etwa ein Jahr gedauert. Wir brauchten ein Vierteljahr, um das Projekt in Deutschland zu beantragen, noch ein Vierteljahr, um in den USA einen geeigneten Partner zu finden - wir haben das damals mit CSNET gemacht - und dann nochmal ein halbes Jahr, um das ganze technisch und administrativ hinzukriegen.
tagesschau.de: Konnten Sie die E-Mail einfach so öffnen, wie man das heute macht?
Zorn: Ja, auch damals gab es schon einfache Editoren, mit denen man Mails lesen und beantworten konnte. Man konnte sich ja bereits über lokale Netze elektronische Nachrichten schicken - und es gab natürlich schon Werkzeuge, um mit diesen Mails zu hantieren. Und diese Werkzeuge haben wir benutzt, um auch die erste Mail zu öffnen, die über eine externe Verbindung kam.
"Willkommen bei CSNET"
tagesschau.de: Und was stand in dieser E-Mail?
Zorn: "Willkommen bei CSNET" oder so ähnlich. Es war sogar auf Deutsch übersetzt: "Wilkommen" – mit einem "l". Ich fand das sehr nett (lacht). Und meine Mail-Adresse lautete damals zorn@germany. Das "de" gab es noch nicht - es war die "Vor-Domain-Zeit".
tagesschau.de: Wie lange dauerte damals die Übertragung?
Zorn: Die Übertragungsgeschwindigkeit liegt ja an den Leitungen. Heute gibt es in der Regel hochleistungsfähige Standleitungen, die eine blitzschnelle Übertragung ermöglichen. Mitte der 80er Jahre war das nicht so. Es funktionierte ähnlich wie bei der Post: Sie bringen einen Brief zum Postamt, der wird dann mit vielen anderen gesammelt und über verschiedene Stellen geleitet, bis er am Ende im Briefkasten des Empfängers landet. So ähnlich war das auch mit den Mails. Sie wurden virtuell gesammelt und dann weitergeleitet. Eine Mail aus den USA konnte durchaus 30 Minuten oder länger brauchen, bis sie in Deutschland ankam.
tagesschau.de: Konnte man damals schon Attachments anhängen?
Zorn: Nicht so wie das heute möglich ist. Man hat die Texte einfach als Klartext hinten an die Mail angehängt.
"Es hatte etwas Geheimnisumwittertes"
tagesschau.de: Wie war damals die Resonanz in der Öffentlichkeit?
Zorn: Bei uns an der Fakultät war die Resonanz natürlich sehr groß, obwohl wir keine Sektkorken haben knallen lassen. In der Öffentlichkeit hatte es etwas Geheimnisumwittertes, weil der normale Mensch damals ja kaum Zugang zu vernetzten Rechnern hatte. Das war ja weitgehend auf Einrichtungen in Universitäten beschränkt. Die Zeitungen haben darüber berichtet, aber es lief eher unter dem Label "Exotenwissenschaft" - wohlwollend weil man offenbar auf der Höhe der Zeit war, aber eben auch mit einem großen Fragezeichen, was das wohl für den Durchschnittsmenschen bringen könnte.
tagesschau.de: Hatten Sie damals eine Vorstellung davon, wie bedeutend der elektronische Datenverkehr einmal werden würde?
Zorn: Nein, sonst wäre ich heute Multimillionär, weil ich mein Geld damals entsprechend investiert hätte. Wir waren Missionare, und haben das kostenlos gemacht. Was uns aber sofort klar war, war, dass der E-Mail-Verkehr für den Wissenschaftsbetrieb von enormer Bedeutung sein würde. Wenn man früher eine internationale Konferenz organisierte, musste man Wochen auf die Antworten der angefragten Teilnehmer warten. Mit der elektronischen Post ging das blitzschnell.
Kommunikation hat an Niveau verloren
tagesschau.de: Wie hat die E-Mail Ihrer Meinung nach die Kommunikation beeinflusst?
Zorn: Ich schreibe kaum mehr normale Briefe, und ich denke, das geht vielen so. Die schriftliche Kommunikation hat sicher an Niveau verloren. In Mails herrscht generell ein lockererer Ton als im Brief. Ein Stück schriftlicher Mitteilungskultur ist auf der Strecke geblieben.
tagesschau.de: Und man hat mit Fluten von E-Mails zu kämpfen. Früher bekam man nicht so viel Post.
Zorn: Das ist richtig. Auf der anderen Seite konnte man auch nicht so viele Aufgaben in kürzester Zeit erledigen. Die Effizienz ist gigantisch gestiegen. Aber der Stress hat sich auch erhöht. Wenn früher eine Nachricht am erwarteten Tag nicht eintraf, hatte man einen Tag Ruhe. Heute ist das nicht mehr so. Mails kommen immer an. Dem ist man schutzlos ausgeliefert.
Das Interview führte Sabine Klein, tagesschau.de