Vor Abstimmung zu Fiskalpakt und ESM Lammert rät vorsichtshalber zu Zweidrittelmehrheit
Bundestagspräsident Lammert plädiert dafür, den Euro-Rettungsschirm mit einer Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat zu verabschieden. Wie der Fiskalpakt solle auch der ESM diese breite Rückendeckung erhalten. Angesichts drohender Klagen würde das die verfassungsrechtliche Sicherheit erhöhen.
Bundestagspräsident Norbert Lammert rät dazu, neben dem Fiskalpakt auch den Euro-Rettungsschirm ESM mit einer Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat zu verabschieden. Er empfehle, das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts darauf zu prüfen, ob neben dem Fiskalpakt nicht auch der ESM eine "indirekte Verfassungsrelevanz" habe, sagte der CDU-Politiker dem "Tagesspiegel am Sonntag".
Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat die Regierung die Abgeordneten nicht früh genug in die Verhandlungen zum dauerhaften Euro-Rettungsschirm eingebunden. Damit habe sie die Informationsrechte des Parlaments verletzt. Im Kern ging es darum, dass der ESM bewusst außerhalb des EU-Rahmens entworfen und verhandelt worden war - er ist ein zwischenstaatlicher Pakt von 17 Mitgliedern der Euro-Zone. An Verhandlungen zu solchen völkerrechtlichen Verträgen zwischen souveränen Staaten ist der Bundestag nicht beteiligt.
Lammert vertritt die Ansicht, dass eine Zweidrittelmehrheit die verfassungsrechtliche Sicherheit für den ESM erhöhen würde. Die Abstimmung über den Rettungsschirm ist mit der über den Fiskalpakt verknüpft. Für die Billigung des ESM ist im Gegensatz zum Fiskalpakt rechtlich betrachtet aber keine Zweidrittelmehrheit notwendig.
Zweidrittelmehrheit könnte Gesetz gegen Klagen schützen
Schwarz-Gelb hat das Votum über die Verträge aber aus politischen Erwägungen miteinander verbunden und drängt darauf, beide Vorhaben noch vor der Sommerpause unter Dach und Fach zu bringen. Die Bundesregierung hält eine Zweidrittelmehrheit in der Abstimmung über den ESM nicht für nötig.
Die Frage, mit welcher Mehrheit ein Gesetz verabschiedet wird, könnte für die Zukunft eine Rolle spielen. Denn für den Fall, dass das Gesetzes-Doppelpack der Regierung wie geplant am 29. Juni beschlossen werden sollte, haben die Linkspartei und eine Bürgerinitiative um die frühere Justizministerin Herta Däubler-Gmelin Verfassungsklagen angekündigt. Und das Bundesverfassungsgericht hat den Bundespräsidenten bereits darum gebeten, deshalb mit seiner Unterschrift unter die beiden Euro-Gesetze noch zu warten. Der Zeitplan der Regierung ist daher wohl ohnehin nicht zu halten.
Neue Kritik wegen möglicher Verzögerung
SPD und Grüne kritisierten erneut die Krisenpolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel. "Die Bundesregierung hechelt den Ereignissen hinterher. Immer größere Rettungsschirme werden gespannt, ohne dass sich strukturell etwas ändert", sagte SPD-Chef Sigmar Gabriel der "Passauer Neuen Presse". Merkel warf er vor, die Verabschiedung des Fiskalpakts für mehr Haushaltsdisziplin in Europa verschleppt zu haben.
Der Grünen-Parteivorsitzende Cem Özdemir sprach von einer Peinlichkeit für Merkel. "Man hätte sich das alles sparen können. Die Verknüpfung zwischen ESM und Fiskalpakt ist ja zustande gekommen wegen Problemen innerhalb der Koalition", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. "Wir hatten angeboten, den ESM deutlich früher zu beschließen." Es sei kein gutes Signal, wenn die größte Volkswirtschaft in Europa bei der Ratifizierung des Rettungsschirms in Zeitdruck gerate. Sowohl Gabriel als auch Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin kündigten nach der Telefonschaltkonferenz mit Merkel an, dass sie ihren Abgeordneten für das Bundestagsvotum am Freitag die Zustimmung empfehlen werden.
"Deutschland hat Vorbildfunktion"
Ähnlich äußerte sich Niedersachsens Finanzminister Hartmut Möllring. Deutschland habe als stärkste Volkswirtschaft und einwohnerstärkstes Land in Europa eine Vorbildfunktion - "ob uns das passt oder nicht", sagte der CDU-Politiker der Deutschen Presse-Agentur. Kleinere Länder wie Irland würden sich sonst veralbert vorkommen, weil die Menschen dort schon in einer Volksabstimmung den Fiskalpakt beschlossen hätten.
Merkel informiert Spitzen von Koalition und Opposition
Nach dem gestrigen Vierergipfel in Rom hat Merkel die Spitzen von Koalition und Opposition in einer Telefonkonferenz über die Ergebnisse informiert. Im Mittelpunkt hätten die Agenda für Wachstum und Beschäftigung sowie die Finanztransaktionssteuer gestanden, teilte Regierungssprecher Steffen Seibert mit. Auch Finanzminister Wolfgang Schäuble nahm an der Telefonkonferenz teil.
Die Staats- und Regierungschefs aus Italien, Frankreich, Spanien und Deutschland wollen ein Wachstumspaket in Höhe von 130 Milliarden Euro zur Eindämmung der Eurokrise auf den Weg bringen. Außerdem sprachen sie sich bei ihrem Treffen für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer aus.