Geheimdienste Wenn Staaten heimlich töten
Flugzeuge explodieren, Schiffe versinken - und aktuell explodieren Tausende Pager scheinbar ohne Grund. Immer wieder geraten Geheimdienste in den Verdacht, gezielte Tötungen durchgeführt zu haben.
Der vermeintlich kurze Abschied von seiner Verlobten für wenige Minuten war ein Abschied für immer. Als der Journalist und Regierungskritiker Jamal Khashoggi im Oktober 2018 Unterlagen für seine geplante Hochzeit im saudischen Konsulat in Istanbul abholen möchte, ist das sein Todesurteil. Noch im Konsulat wird er von einer Spezialeinheit des saudischen Geheimdienstes getötet, dann zerstückelt.
Ein Doppelgänger zieht seine Kleidung an und verlässt die Botschaft, es ist ein schlecht gemachtes Ablenkungsmanöver. Denn Khashoggi hat plötzlich andere Schuhe an. Monate später muss Saudi Arabien unter weltweitem Druck den Mord eingestehen, spricht von einer eigenmächtigen Operation des Geheimdienstes. Ausgerechnet Kronprinz Mohammed bin Salman, der selbst als Auftraggeber gilt, leitet die Untersuchung. Sie endet mit fünf Todesurteilen.
"Dark Matters - Geheimnisse der Geheimdienste" gibt es in der ARD-Audiothek und überall, wo es Podcasts gibt.
"Lizenz zum Töten"
Durch die aktuelle Diskussion über die explodierenden Pager im Libanon bekommen diese Fälle eine große Aktualität. Allerdings sind solche Operationen längst Alltag derjenigen Geheimdienste, die in ihren Ländern mit der "Lizenz zum Töten" ausgestattet sind.
Der israelische Auslandsnachrichtendienst Mossad gehört seit Jahrzehnten dazu. Entführungen, gezielte Tötungen oder technische Sabotagen werden durchgeführt, häufig aber nicht öffentlich kommentiert. Darunter sind in der Vergangenheit auch Anschläge gewesen, bei denen präparierte Mobiltelefone explodiert sind.
Auch Frankreich und Großbritannien kennen diese Befugnis, machen aber vergleichsweise selten davon Gebrauch. In Frankreich sorgte allerdings 1985 ein Sprengstoffanschlag des französischen Geheimdienstes auf das Greenpeace-Schiff "Rainbow Warrior" in Neuseeland für einen innenpolitischen Skandal - auch, weil bei der Operation ein Besatzungsmitglied des Schiffs getötet wurde.
Die USA wenden häufig "targeted killings", also gezielte Tötungen, an. Aus der Luft, beispielsweise mit Drohnen im Kampf gegen Anführer diverser Terrororganisationen, oder am Boden wie bei der Tötung des Al Kaida-Anführers Osama Bin Laden durch die Spezialeinheit US Navy Seals im pakistanischen Abbottabad im Mai 2011.
Russische Operationen auch in Deutschland
Das Portfolio russischer Operationen ist noch weit größer und schließt den Einsatz von - eigentlich geächteten - Nervenkampfstoffen und Vergiftungen oder sogar das Sprengen von Flugzeugen mit ein. Wie bei dem offiziell ungeklärten Absturz des Söldner-Führers Jewgeni Prigoschin im August 2023, der zunächst mit seiner Wagner-Gruppe gegen die russische Militärführung vorgegangen war und dann - trotz einer angeblichen Versöhnung mit der Präsident Putin - mit einem Teil seines Stabes durch den Flugzeugabsturz starb.
Aus deutscher Sicht bemerkenswert ist der Mord im Kleinen Tiergarten in Berlin 2019. Eine gezielte Tötungsoperation des russischen Geheimdienstes an einem unliebsamen Regimegegner - ein "nasser Job", also eine Operation, bei der Blut fließt. Nicht nur die kaltblütige Tötung am helllichten Tag mitten in Berlin durch einen russischen Agenten machte diese Tat besonders. Auch der erklärte Wille Russlands, den verurteilten Mörder wieder nach Russland zu holen, um ihn dort zu belobigen, spricht Bände.
Deutschen Behörden strikt verboten
Strikt verboten sind all diese Operationen übrigens allen deutschen Sicherheitsbehörden. Der Schutz des Lebens im Grundgesetz steht über jeder Staatsräson. Das gilt auch für den Bundesnachrichtendienst (BND), den deutschen Auslandsdienst. Er gilt deshalb auch als "der Vegetarier" in der Welt der internationalen Geheimdienste.