Fragen und Antworten Werden die Krankenkassen in Zukunft teurer?
Zunächst soll sich bei der Krankenversicherung wenig ändern, ab 2011 dann aber vielleicht ganz viel: Union und FDP planen eine Art Kopfpauschale. Was bedeutet das? Ist das neue System gerechter? Wird es teurer? Bei vielem sind sich die Koalitionäre selbst uneinig - tagesschau.de gibt einen Überblick.
"Langfristig wird das bestehende Ausgleichssystem überführt in eine Ordnung mit mehr Beitragsautonomie, regionalen Differenzierungsmöglichkeiten und einkommensunabhängigen Arbeitnehmerbeiträgen, die sozial ausgeglichen werden. Weil wir eine weitgehende Entkoppelung der Gesundheitskosten von den Lohnzusatzkosten wollen, bleibt der Arbeitgeberanteil fest. Zu Beginn der Legislaturperiode wird eine Regierungskommission eingesetzt, die die notwendigen Schritte dazu festlegt."
Dieser vage Satz steht auf Seite 78, Zeile 3909 des schwarz-gelben Koaltionsvertrags. Wie wohl kein anderer in dem 124-Seiten Dokument führt er zu Diskussionen - gerade auch unter den schwarz-gelben Autoren des Dokuments selbst. Die geplante Regierungskommission soll nun die Details klären. Nur: Auch Details zur Kommission selbst sind unbekannt - das einzige, was klar ist: Sie setzt sich erst im kommenden Jahr zusammen.
Welche grundlegende Änderung plant Schwarz-Gelb?
Das bisherige System wird zunächst in jedem Fall bestehen bleiben. Damit bleibt zunächst auch der umstrittene Gesundheitsfonds mit seinem Einheitsbeitrag von derzeit 14,9 Prozent - sieben Prozent zahlen die Arbeitgeber, 7,9 Prozent die Arbeitnehmer. "Wir haben über die Jahreszahl, wie lange das jetzige Gesundheitssystem gilt, nichts gesagt", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel. "Erst einmal bleibt es bei dem bestehenden Gesundheitssystem".
Je nach Ergebnissen der Kommission könnte es ab 2011 grundsätzliche Änderungen geben: Der Arbeitgeberanteil würde erstens eingefroren, um die Lohnzusatzkosten stabil zu halten. Streit gibt aber zweitens vor allem wegen eines Projektes: dem "einkommensunabhängigen Arbeitnehmerbeitrag", der dem umstrittenen Modell einer "Kopfpauschale" nahe käme. Der bisherige Beitrag, dessen Höhe sich nach dem Arbeitseinkommen richtet, würde dann womöglich teilweise auf eine Pauschale umgestellt. Ein kompletter Umbau des Systems ist wohl aber nicht geplant. Im Klartext: Alle Versicherten zahlten so im Prinzip den selben Pauschalbeitrag - unabhängig davon, was sie verdienen. Gesundheitsminister Philipp Rösler stellte nun klar, dass es einen "automatischen Sozialausgleich" für Pflichtversicherte mit geringem Einkommen geben soll. Dies werde durch Steuern finanziert.
Wie genau das System künftig aussehen soll, ist bei den schwarz-gelbe Koalitionären aber höchst umstritten. Wegen der sehr vagen Formulierung im Koalitionsvertrag gibt es viel Raum für Interpretationen. Eine Privatisierung des Gesundheitswesen werde es nicht geben, sagt der bayerische Gesundheitsminister Söder - eine Position, die CSU-Chef Horst Seehofer teilt. "Wir machen Evolution, nicht Revolution", sagt auch der CDU-Gesundheitspolitiker Spahn. "Und über die Details sollten wir jetzt reden."
Wer zahlt?
Was auch immer am Ende passiert - vermutlich wird es für die Versicherten teurer. Denn erstens soll der Arbeitgeberanteil ja eingefroren werden - was im Umkehrschluss heißt, dass nur noch der Arbeitnehmeranteil stiege. Da die Kosten des Gesundheitswesens wegen der alternden Bevölkerung und neuer Therapien weiter steigen werden, würden die Kassen sie wohl den Arbeitnehmern aufbürden.
Zweitens hätte vermutlich auch die Umstellung auf eine - wie auch immer geartete - Kopfpauschale für Viele grundsätzlich steigende Beiträge zur Folge. Bislang zahlt ein Geringverdiener mit 1000 Euro im Monat darauf 7,9 Prozent Arbeitnehmeranteil - also 79 Euro. Bei einem Einkommen von 3500 Euro sind es 276,50 Euro. Bei einer Pauschale wäre der Betrag für alle Einkommensklassen gleich - und er wird mit Sicherheit nicht im Bereich dessen liegen, was heute ein Geringverdiener zahlt. Diese würden zwar aus Steuergeldern entlastet. Nur: Wie genau dies wiederum aussehen soll - wer zum Beispiel unter die Kategorie Geringeverdiener fiele und wie hoch die Zuschüsse wären - steht eben auch noch in den Sternen.
Vor allem gibt es bei diesen Zuschüssen aber ein massives Finanzierungsproblem: Die Frage, woher die Steuermittel angesichts leerer Kassen kommen sollen, ist unbeantwortet. Das wiederum könnte der eigentliche Knackpunkt sein. Die Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt werden nämlich auf satte 15 bis 20 Milliarden Euro geschätzt - Geld, das angesichts der Wirtschaftskrise extrem schwer zu beschaffen sein dürfte.
Was ist mit der Familienversicherung?
Bislang sind Familienmitglieder in der gesetzlichen Krankenversicherung beitragsfrei mitversichert. Gesundheitsminister Rösler kündigte Mitte November an, dass dies auch bei der Einführung der geplanten Gesundheitsprämie so bleiben solle.
Ist das neue System gerechter als das bisherige Ausgleichssystem?
Bislang zahlen Gutverdiener mit ihren höheren Beiträgen einen Teil der Gesundheitskosten für Geringverdiener mit - allerdings nur dann, wenn sie in einer gesetzlichen und nicht in einer privaten Krankenkasse sind. Lediglich den Steuerzuschuss, den die gesetzliche Krankenversicherung schon jetzt in kleinem Umfang erhält, finanzieren alle - also auch ein gut verdienender Anwalt, der privat krankenversichert ist. Dieser von allen bezahlte Steuerzuschuss könnte in Zukunft größer werden - denn er soll ja für Geringverdiener gezahlt werden, die eine Kopfpauschale nicht aufbringen können.
Allerdings gibt es auch die Befürchtung, dass mit dem neuen System noch mehr junge, gesunde und gut verdienende Menschen in die private Krankenversicherung wechseln könnten. Das könnte für die gesetzlichen Kassen zum ernsten Problem werden.
Wann ist ein Wechsel zu einer privaten Kasse möglich?
Der Wechsel zu einer privaten Krankenkasse soll künftig wieder nach einmaligem Überschreiten der Versicherungspflichtgrenze möglich sein. Derzeit ist dies nur möglich, wenn das Einkommen mindestens drei Jahre lang diese Obergrenze überschreitet.
Was wird mit der bisherigen Praxisgebühr von zehn Euro im Quartal?
Sie soll durch eine neue Regelung ersetzt werden. Wie diese genau aussehen wird, ist aber ebenfalls noch nicht bekannt. Der Koalitionsvertrag gibt ein "unbüroktatisches Erhebnungsverfahren" vor.
Zeitungsberichten zufolge könnte es künftig zu einer geringeren Gebühr kommen, die dann aber bei jedem Arztbesuch fällig würde. Ziel der jetzigen Praxisgebühr ist es, das Kostenbewusstsein der Versicherten zu steigern und den Kassen vom Beitragssatz unabhängige Einnahmen zu sichern. Diese Steuerungswirkung, so kritisierten Gesundheitsexperten wiederholt, habe die Praxisgebühr aber verfehlt.
Kommt die elektronische Gesundheitskarte?
Für die umstrittene Karte, die die bisherige Krankenkassenkarte ablösen sollte, ist einer "Bestandsaufnahme" der bisherigen Erfahrungen in den Testregionen vereinbart. Danach solle entschieden werden, ob die Karte sinnvoll ist, hieß es im Entwurf des Koalitionsvertrages.
Diese Formulierung führte bei den Kassen zu einer Vollbremsung - sie stoppten die Verteilung einer ersten Kartenversion in der Pilotregion Nordrhein. Dort sollten bis Jahresende eigentlich 100.000 Karten ausgegeben werden. Zur Begründung fügten sie an, dass das Projekt wegen der anstehenden Überprüfung zu unsicher geworden sei
Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler will aber die weitere Verteilung sicherstellen. Seinem nordrhein-westfälischen Amtskollegen Karl-Josef Laumann schrieb er, der Ausgabe in der Region Nordrhein solle nichts im Weg stehen.
Was geschieht mit der Honorarreform?
Die umstrittene Honorarreform für niedergelassene Ärzte, die zum Jahresbeginn in Kraft trat und für heftige Proteste sorgte, soll korrigiert werden. Ziel ist laut Koalitionsvertrag ein "einfaches, verständliches Vergütungssystem", das regionale Unterschiede berücksichtigt.