Rechtsanwalt zum BGH-Urteil "Google wird Autocomplete-Funktion abschalten müssen"
Nach der BGH-Niederlage könnte auf Google wegen der Autocomplete-Funktion eine Beschwerde-Welle zurollen. Der Konzern werde die Suchhilfe "kurzfristig abschalten" müssen, sagt Rechtsanwalt Solmecke im tagesschau.de-Interview.
tagesschau.de: Wie bewerten Sie das Urteil des Bundesgerichtshofs?
Christian Solmecke: Ich bin überrascht, weil es anders als die Vorinstanzen sagt: Allein durch die Google-Suchwortergänzungsvorschläge können Persönlichkeitsrechte verletzt werden.
tagesschau.de: Laut Google gab es bisher acht Urteile zum Thema, die dem Suchmaschinen-Betreiber recht gegeben haben. Warum sieht der BGH den Fall anders?
Solmecke: Beim BGH kann man sich nie sicher sein, wie er entscheidet. Das Gericht hat seinen eigenen Kopf und hat nicht immer was mit den Vorinstanzen zu tun. Die Richter prüfen noch einmal sehr genau. Wenn ein Fall zum BGH gebracht wird, kann es immer zu Überraschungen kommen.
"Einzelfall-Prüfung ist schwierig"
tagesschau.de: Sehen Sie denn jetzt eine Klagewelle auf Google zurollen?
Solmecke: Erstmal müssen sich Nutzer ja nur bei Google melden, wenn sie sich durch die Autocomplete-Funktion in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt sehen. Nur wenn Google dann nicht handelt, können die Nutzer Abmahnungen durch Anwälte verschicken lassen. Erst wenn Google auch darauf nicht reagiert, kann geklagt werden.
tagesschau.de: Dennoch, das Urteil ist eine Niederlage für Google. Wie wird der Konzern damit umgehen?
Solmecke: Google hat jetzt zwei Möglichkeiten: Entweder prüft der Konzern jetzt jede Anfrage von Einzelpersonen und Unternehmen, um dann im Einzelfall zu entscheiden, ob die Autovervollständigung angezeigt wird oder nicht. Oder sie schalten die Funktion ab. Da ich die Einzelfallprüfung für nicht praktikabel halte, gehe ich davon aus, dass Google relativ kurzfristig die Autocomplete-Funktion abschaltet.
tagesschau.de: Warum halten Sie eine Einzelfall-Prüfung für so schwierig?
Solmecke: Es gibt Tausende Unternehmen, die sich darüber ärgern, wie sie in der Autocomplete-Funktion dargestellt werden. Wenn die jetzt alle Beschwerden einreichen, hat Google eine Menge Arbeit. Ob Persönlichkeitsrechte verletzt werden, ist eine diffizile Frage, die durch Abwägung aller Umstände ermittelt werden muss. Diese Prüfung kann mehrere Tage dauern. Dafür müsste eine Heerschar von Juristen beschäftigt werden.
tagesschau.de: Das klingt auch nach ziemlich hohen Kosten ...
Solmecke: In der Vergangenheit hat der Konzern immer auf technische Lösungen gesetzt. Wie zum Beispiel Wortfilter. Das wird in diesem Fall aber schwierig. Google kann ja nicht einfach einen Wortfilter Scientology einsetzen. Alles andere würde den Einsatz von Manpower bedeuten - das ist eigentlich nicht Googles Art.
tagesschau.de: Rechnen Sie denn mit einer großen Zahl von Beschwerden?
Solmecke: Möglicherweise werden es weniger als man denkt. Denn das Beschwerdeformular ist gut versteckt. Es soll angeblich eines geben, doch ich habe es noch nicht gefunden. Weil die Kontaktaufnahme zu Google prinzipiell schwierig ist, könnte der Konzern das jetzt auch einfach aussitzen und sagen: Versucht doch uns zu kontaktieren, schreibt an info@google.de und guckt was passiert. Die paar Klagen, die da kommen, die nehmen wir hin. Das ist auch eine vorstellbare Variante.
tagesschau.de: Welche Auswirkungen hat das BGH-Urteil auf den Prozess von Bettina Wulff, die ja ebenfalls gegen Googles-Autocomplete-Funktion klagt?
Solmecke: Das Landgericht Hamburg muss nun darüber entscheiden, ob die konkrete Wortwahl, wie in diesem Fall "Escort" und "Rotlicht" in Verbindung mit ihrem Namen, das Persönlichkeitsrecht von Frau Wulff verletzt. Muss dadurch ein unbedarfter Nutzer davon ausgehen, dass Frau Wulff etwas mit dem Rotlicht-Milieu zu tun hat? Ich gehe davon aus, dass das Landgericht Hamburg zu dieser Erkenntnis kommen wird.
tagesschau.de: Welche Erfahrungen haben Sie mit Beschwerden über die Autocomplete-Funktion gemacht?
Solmecke: In der Vergangenheit haben sich etwa ein Dutzend Menschen bei unserer Kanzlei gemeldet und sich erkundigt, welche Möglichkeiten sie haben, gegen die Autocomplete-Funktion vorzugehen. Wir konnten bislang nur auf die komplizierte Rechtslage hinweisen. Deshalb waren die Anrufer nicht bereit, gegen einen Giganten wie Google vorzugehen. Ich glaube, dass jetzt einige Prominente und Unternehmen mit Google Kontakt aufnehmen werden.