Interview

Interview zu Google Street View "Das ist ein politischer Schaukampf"

Stand: 18.08.2010 12:18 Uhr

Die Debatte um Street View scheint zu belegen, dass viele nicht genug über das Web wissen. Das biete Politikern die Chance, sich als Beschützer der Bürger zur profilieren, sagt die Informatikerin Simon, Mitglied der Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" des Bundestages, im Interview mit tagesschau.de. Doch damit werde von anderen Themen abgelenkt.

tagesschau.de: Dass Google seinen Dienst Street View starten will, ist lange bekannt. Hätte die Politik nicht eher reagieren können oder müssen? Oder hat man vielleicht sogar darauf gehofft, dass es erst gar nicht dazu kommt?

Nicole Simon: Wer glaubt, dass Street View nicht kommt, der ist naiv. Dafür ist dieses Thema für Googles Strategie viel zu wichtig. Die Aufregung über Street View ist aber eine sehr publikumsträchtige. Es gibt viele andere Themen, wo Politiker sich viel intensiver auseinandersetzen sollten.

Die Datenschützer haben schon lange zu Recht vor Street View gewarnt, und zwar vor der Art und Weise, wie die Daten genutzt werden. Die meisten Menschen wissen gar nicht, wie tief Firmen Daten kombinieren können, um dann Aussagen zu treffen wie zum Beispiel: "Ihre Nachbarn in der gleichen Altersgruppe haben diese Artikel gekauft". Jeder muss entscheiden, ob er das möchte oder nicht. Das Interessante ist: Viele wollen solche Dienste benutzen und davon profitieren, aber sie wollen nichts dazu beitragen. Das eine geht aber nicht ohne das andere. Google ist da natürlich die große Datenkrake, genauso wie Facebook. Das sage ich als eine Person, die diese Dienste selber intensiv nutzt. Das aber, was die Politik im Moment anstellt, ist eher ein Schaukampf.

Zur Person
Nicole Simon berät Unternehmen, wie sie das Internet und die sogenannten Social-Media-Dienste wie Facebook und Twitter für sich nutzen können. Seit dem Frühjahr ist die Wirtschaftsinformatikerin Mitglied der Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" des Deutschen Bundestages. Projektgruppen der Kommission beschäftigen sich zum Beispiel mit Fragen des Datenschutzes, der Netzneutralität oder des Urheberrechtes.

tagesschau.de: Warum entdeckt die Politik Themen wie Google Street View für sich?

Simon: Für die Politik ist das eine Möglichkeit, sich als Beschützer des Bürgers zu profilieren. Man kann den Bürger damit aufregen und in dieser Aufregung davon ablenken, dass er eigentlich schon viel stärker durch bereits existierende Gesetze überwacht wird. Ich will nicht bestreiten, dass Google Street View tatsächlich in einem gewissen Maß Einblicke erlaubt. Man kann Häuser und Straßenzüge in einer Detailliertheit ansehen, als würde man dort zu Fuß hingehen. Das ist eine Fülle von Information. Aber wenn ich mir ansehe, welche Möglichkeiten - und das ist nur ein kleiner Auszug - die elektronische Gesundheitskarte und biometrische Merkmale auf Pässen bieten oder Datentauschabkommen wie Swift und Elena, dann ist Street View eher überschaubar.

"Diskussion schaukelt sich durch Unkenntnis hoch"

tagesschau.de: Geht die Politik in der Diskussion über Street View auch auf Stimmenfang?

Simon: Gute Frage. Vielleicht. Ich glaube, die Diskussion schaukelt sich hoch durch viel Unkenntnis. Der Bürger selbst ist in vielen Fällen unbedarft. Viele scheinen zu glauben, Street View sei so etwas wie eine 24-Stunden-Videoüberwachung, was es natürlich nicht ist. Es ist sicher nicht verkehrt, bewusst darüber zu entscheiden, ob das Bild meines Hauses online gestellt wird oder nicht. Aber es gibt weitere Bereiche, über die man dann derart bewusst entscheiden sollte. Das würde dann das konsequente Löschen des Online-Lebens bedeuten. Wer "a" sagt, der muss auch "b" sagen. Und das wird in der heutigen Welt schwierig.

tagesschau.de: Ist das Wissen übers Internet und seine Möglichkeiten parteispezifisch verteilt?

Simon: Nein, ich habe den Eindruck, dass parteiübergreifend dieses Wissen nicht ausreichend vorhanden ist. Internet wird immer noch als eine zusätzliche Qualifikation verstanden, die man vielleicht lernen sollte. Insgesamt aber greift Internet, vor allem das mobile Internet, derart tief in unseren Alltag und unsere Gesellschaft ein, dass es notwendig ist, sich mehr als nur marginal mit diesem Themenbereich auseinanderzusetzen. Es scheint aber so, dass Politik vor allen Dingen im Bundestag eine persönliche Angelegenheit von Angesicht zu Angesicht ist und damit komplett konträr zu dem liegt, wie das Netz funktioniert.

Die Diskussion um die Netzsperren hat gezeigt, dass bei vielen Politikern das notwendige Grundverständnis nicht da ist. Es geht nicht darum, einzelne Werkzeuge zu verstehen oder zu verwenden, sondern grundsätzliche Zusammenhänge und Abhängigkeiten. Und nicht nur das, was einem die jeweilige Parteilinie oder Tagesagenda gerade vorgibt. Ein Beispiel: Jahrzehntelang haben die Verlage mehr Geld genommen für das Hardcover als für das Taschenbuch. Jetzt wollen sie Geld für den Download, weil auf einmal der Inhalt zählt, was grundsätzlich richtig ist. Aber der Gesamtzusammenhang für Bücher und Texte hat sich verändert. Auch deshalb sollte man auch kein spezielles Gesetz für Google machen, weil dieses Gesetz eben nur den Einzelfall aufgreifen würde.

tagesschau.de: Was kann die Enquete-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" des Bundestages in diesem Zusammenhang leisten?

Simon: Die Enquete-Kommission versucht, Themen außerhalb des Alltagsgeschäftes aufzugreifen. Das ist problematisch, denn die Entwicklung stellt in kürzester Zeit zum Teil jahrhundertealte Traditionen auf den Kopf. Folglich stehen wir vor der Herausforderung, bei einem Formel-1-Rennwagen in voller Fahrt Entwicklung für neue Reifen zu betreiben. Das ist schwierig, aber nicht hoffnungslos. Die Kommission wird dann den größten Effekt haben, wenn sie zeigt, wie man parteiübergreifend zusammen arbeiten kann, um Impulse für die Zukunft bereit zu stellen.

Die Fragen stellte Ute Welty, tagesschau.de.