Interview

Flüchtlinge und Extremismus Verführbar, wenn die Perspektive fehlt

Stand: 11.09.2015 21:31 Uhr

Sind Flüchtlinge empfänglich für radikalislamische Ideen - womöglich für die Verlockungen des "Islamischen Staats"? Die Extremismusforscherin Claudia Dantschke hält die Gefahr für gering. Im Interview mit dem ARD-Hauptstadtstudio warnt sie aber auch: Migranten brauchen eine Perspektive - sonst werden sie verführbar.

Michael Stempfle: Es gibt ja in diesen Tagen eine gute Nachricht. Wenn man Nachrichtendiensten glauben darf, Politikern, auch der Stiftung Politik und Wissenschaft, dann sind die Flüchtlinge, die hierher kommen, keine Dschihadisten. Deckt sich das mit ihrer Erfahrung? 

Claudia Dantschke: Ja, das deckt sich mit meiner Erfahrung. Vielleicht ist unter den Flüchtlingen auch der eine oder andere desillusionierte Rückkehrer, der versucht, vom radikalen sogenannten  Islamischen Staat wegzukommen und nur in dieser Flucht eine Chance sieht. Aber das sind Einzelfälle. Wir können sagen: Die Flüchtlinge und die Dschihadisten sind zwei getrennte Themen.

Zur Person
Claudia Dantschke ist Extremismus-Expertin und arbeitet am Zentrum Demokratische Kultur für eine Beratungsstelle, die Angehörigen von militanten Dschihadisten sowie Aussteigern zur Seite steht. Nach ihrem Studium der Arabistik arbeitete sie als freie Journalistin, unter anderem für eine deutsch-türkische Fernsehanstalt.

Stempfle: Besteht dennoch die Gefahr, dass Flüchtlinge, wenn sie hier in Deutschland sind, empfänglich sind für radikale Ideen von Islamisten, die hier sind?

Dantschke: Wir haben natürlich viele sunnitische Muslime aus Syrien, die vor Assad geflohen sind. Sie haben aber auch nicht mit dem Islamischen Staat sympathisiert haben und fallen dann hier in ein Loch. Und wenn sich hier der Aufnahmeprozess sehr lange hinzieht - wir wissen ja, wie problematisch teilweise die Zustände sind - sind sie eventuell schon empfänglich für solche Ideen. Da müssen wir sehr aufpassen.

Stempfle: Das heißt: Der Staat muss dafür sorgen, dass es mit der Aufenthaltsgenehmigung, den Unterkünften nicht ewig dauert?

Dantschke: Die Flüchtlinge und vor allem die Jugendlichen dürfen hier nicht in ein Loch fallen. Sie kommen ja alle mit Traumata. Diese Flucht ist ein Trauma. Das, was sie in Syrien oder auch in anderen Ländern erlebt haben, sind Traumata. Um sie muss man sich also intensiv kümmern und ihnen eine Perspektive eröffnen. Wenn das nicht passiert und dann radikalsalafistische Anwerber kommen - dann sind sie natürlich durchaus offen.

Stempfle: Gibt es bestimmte Gruppen unter den Flüchtlingen, die vielleicht eher empfänglich sind als andere?

Dantschke: Es sind vor allen Dingen unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, die vielleicht keinen sozialen Halt haben, weil ihnen die Familie fehlt. Die sind sehr gefährdet. Aber vor allem männliche Jugendliche, junge Erwachsene zwischen 16 und 24, 25 Jahren sind gefährdet.

Stempfle: Kann man präventiv durch ihre Arbeit einschreiten?

Dantschke: Ich glaube, wir brauche eine Sensibilisierung der Akteure, die die Flüchtlingsheime betreuen und dort arbeiten. Natürlich gibt es im Moment ein wahnsinniges ehrenamtliches Engagement. Und das ist ja gut. Auch viele Muslime und muslimische Verbände engagieren sich. Und das ist positiv. Man muss aber auch sensibel sein - da könnten eventuell die einen oder anderen darunter sein, die vielleicht eine eigene Agenda haben, weswegen sie sich engagieren.

Integration nicht nur fordern

Stempfle: Wenn der Staat es nicht schafft, die Ehrenamtlichen stärker zu unterstützen als bislang, was könnte dann geschehen?

Dantschke: Das ehrenamtliche Engagement ist wichtig für die Willkommenskultur. Das ist etwas Emotionales. Es signalisiert den Flüchtlingen: Ihr seid hier willkommen. Wir freuen uns auf Euch. Aber das Grundsätzliche, die Logistik, das Personal, die Ressourcen, muss der Staat stellen. Die Ankündigung von Bundeskanzlerin Merkel und anderer, jetzt schnell auch einen Integrationsweg zu eröffnen, zeigt, dass zumindest auf der politischen Ebene das Wissen da ist, dass es nichts bringt, nur Integration zu fordern. Der Staat muss da finanziell handeln.

Stempfle: Für wie groß halten Sie das Problem der Anwerbung von Jugendlichen?

Dantschke: Es ist schwierig, das zu quantifizieren, weil nicht alles nach außen dringt. Wir kennen es von bestimmten salafistischen Akteuren. Pierre Vogel ist wieder mit seiner ganzen Kampagne durch die Presse gegangen, wie erfolgreich er ist. Aber natürlich stellen sie sich selber immer erfolgreicher dar, als sie wirklich sind. Wir wissen aus Berlin, dass es einzelne Versuche gegeben hat. Aber wir wissen auch, dass man da auch schon sensibel ist und dagegen wirkt. In Hamburg gab es Hinweise. Im Moment ist es ein überschaubares Problem. Ich glaube, es ist erkannt worden, dass es da eventuell ein Problem geben könnte und man reagiert schon.

Stempfle: Haben Sie das Gefühl, dass auch muslimische Helfer oder Verbände sich der Gefahr bewusst sind, dass die Flüchtlingssituation ausgenutzt werden könnte und es dadurch zu einer Radikalisierung kommt?

Dantschke: Bei den muslimischen Verbänden, die jetzt aktiv sind, ist das nicht das primärere Ziel. Ihr Ansatz lautet: "Das sind notleidende Menschen. Und wir sind von unserem Glauben her moralisch und ethisch verpflichtet, zu helfen." Das heißt: Die Verbände richten sich auch nicht ausschließlich nur an ihre Glaubensbrüder.