Internetsperre gegen Kinderpornografie "Büchse der Pandora wird geöffnet"
Die Internetgemeinde hat ein neues Feindbild: die Familienministerin mit dem neuen Kinderpornografie-Bekämpfungsgesetz. Einer der prominentesten deutschen Blogger und "Zensursula"-Aktivist Markus Beckedahl bekräftigt im Interview mit tagesschau.de seine Kritik: Durch das neue Gesetz werde keinem Kind geholfen.
tagesschau.de: Sie kommen direkt von einer Mahnwache gegen das Kinderpornografie-Bekämpfungsgesetz vor dem Berliner Reichstag. Was passt Ihnen nicht am neuen Gesetz?
Markus Beckedahl: Es ist das falsche Werkzeug für das richtige Ziel. Wir sind natürlich auch für die Bekämpfung von Kinderpornographie. Aber das rechtfertigt nicht die Errichtung einer Internetzensur-Infrastruktur. Das ist ein massiver Kollateralschaden für die digitale Gesellschaft.
tagesschau.de: Was meinen Sie mit "Internetzensur-Infrastruktur"?
Beckedahl: Durch das neue Gesetz wird die Büchse der Pandora geöffnet. Es ist absehbar, dass die Sperrungen auch auf andere Bereiche ausgedehnt werden.
tagesschau.de: Gerade das bestreitet aber die Regierungskoalition. Das neue Gesetz soll ein "Extra-Gesetz" sein, das sich ausschließlich mit der Kinderpornographie befasst. Alle anderen Bereiche sind davon explizit ausgenommen.
Markus Beckedahl, geboren 1976, arbeitet als Unternehmer, Blogger und Aktivist für digitale Freiheiten in Berlin. Er gilt als einer der deutschen Pioniere der politischen Internet-Kommunikation. Beckedahls 2002 gegründeter Blog netzpolitik.org ist der meistverlinkte Blog in Deutschland. Er erhielt in den vergangenen Jahren mehrere Auszeichnungen.
Beckedahl: Ich will gar nicht in Abrede stellen, dass viele Politiker im Moment tatsächlich noch guten Glaubens sind. Aber Gesetze können verändert werden - und die Wunschliste der Politiker ist lang. Einige Mitglieder der CDU-/CSU-Fraktion nehmen zum Teil kein Blatt vor den Mund. Sie fordern eine Ausweitung auf Glücksspiele oder Gewaltvideos. Die Liste lässt sich beliebig fortsetzen.
Unabhängige Kontrollen nur "heiße Luft"?
tagesschau.de: Nach dem Gesetzentwurf sollen die vom Bundeskriminalamt (BKA) erstellten Sperrlisten von einem unabhängigen Gremium kontrolliert werden, das beim Bundesdatenschutzbeauftragten angesiedelt ist. Beruhigt Sie das nicht?
Beckedahl: Diese unabhängige Kontrolle ist ein Witz. Sie soll im Nachhinein erfolgen und der Bundesdatenschutzbeauftragte selbst ist davon nicht überzeugt. Dem BKA werden im laufenden Prozess alle Möglichkeiten gegeben, die Gewaltenteilung aufzuheben. Es ist auf der einen Seite die Exekutive und kann gleichzeitig entscheiden, was gesperrt wird. Eine nachträgliche Kontrolle, die alle paar Monate mal darüber schaut, kann keine effektive Kontrolle sein - das ist nichts anderes als heiße Luft.
tagesschau.de: Sie fordern, Kinderporno-Seiten zu löschen anstatt sie zu sperren. Dieser Vorsatz "Löschen vor Sperren" steht jetzt auch im Gesetzentwurf. Sind Sie damit zufrieden?
Beckedahl: Viel mehr als Augenwischerei ist das doch auch nicht. Im Moment wird die Löschung von kinderpornographischen Internet-Seiten doch nur sehr ineffektiv betrieben. Wir fragen uns schon lange: Warum ist es im Bankensektor möglich, "Passwort-Fishing-Seiten" innerhalb von Stunden aus dem Netz zu löschen? Und warum verbleiben Kinderporno-Seiten bis zu zwei Monaten oder noch länger im Netz? Da muss man ansetzen, statt eine im Moment noch unwirksame Sperrung zu forcieren. Die Löschung solcher Seiten muss effektiver werden.
Sperren lassen sich schnell und einfach umgehen
tagesschau.de: Wieso unwirksam?
Beckedahl: Die jetzt geplanten DNS-Sperren sind selbst von technisch nicht versierten Internet-Nutzern sehr einfach und schnell zu umgehen. Jeder, der bewusst Kinderpornographie sucht, wird einen Weg daran vorbei finden. Vermutlich wird das auch das Ergebnis einer künftigen Evaluation des neuen Gesetzes sein. Unsere Angst ist jetzt: Um wirksamer Seiten sperren zu können, wird die Internetzensur dann technisch viel besser ausgestattet werden - wie jetzt schon im Iran oder China.
tagesschau.de: Wie könnte den aus Ihrer Sicht ein effektiver Schutz vor Kinderpornographie aussehen?
Beckedahl: Im Moment sind die Dienstwege noch viel zu lang. Das BKA meldet verdächtige Seiten an Europol, - und Europol wiederum an Interpol und die wiederum an andere ausländische Sicherheitsbehörden. Dann erst werden die Provider informiert. Das dauert einfach lange. Auch hier ist der Bankensektor ein Vorbild. Die arbeiten mit den Sicherheitsbehörden sehr viel enger zusammen und agieren dementsprechend schneller. Da liegt noch viel Potenzial.
"Viel Populismus im Spiel"
tagesschau.de: Immer wieder ist die Argumentation zu hören: wenn nur ein Fall von Kinderpornographie durch das neue Gesetz vermieden werden kann, hat es sich schon gelohnt. Können Sie das nachvollziehen?
Beckedahl: Es hilft keinem Kind, wenn eine Zensur-Infrastruktur aufgebaut wird. Wir müssen die Quellen trocken legen und aus dem Netz entfernen. Das kriegt man nicht durch Wegsehen und Einrichten von Schutzwällen. Das Internet darf zwar kein rechtsfreier Raum sein, es darf aber auch kein bürgerrechtsfreier Raum sein. Jetzt mit unsern verfassungsmäßigen Grundrechten zu spielen, ist sehr gefährlich. Das ist von Seiten der Politik schon eine Menge Populismus im Spiel.
tagesschau.de: Der Bundestag wird das Gesetz heute aller Voraussicht nach beschließen. Wie geht es jetzt für Sie weiter?
Beckedahl: Wir werden natürlich weitermachen. In nicht mal drei Monaten haben wir Bundestagswahl und wir wollen SPD und CDU schon deutlich machen, dass sie mit ihrem Gesetz eine gefährliche Richtungsentscheidung gegen das Internet getroffen haben. Außerdem sondieren wir momentan noch verschiedene Wege, wie man das Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht zu Fall bringen kann.
Das Interview führte Niels Nagel, tagesschau.de