Interview

Interview zum Rückzug von CDU-Vize Koch "Die Machtgewichte verschieben sich dramatisch"

Stand: 25.05.2010 14:31 Uhr

Erst Merz, dann Oettinger - und nun Koch: Die Liste der abtrünnigen, geschwächten oder abgeschobenen namhaften Unionspolitiker wird länger. Was bedeutet das für Merkel und die CDU? Koch-Biograf Hajo Schumacher sieht die Position der Kanzlerin nach Kochs angekündigtem Rückzug aus der Politik geschwächt. Und der CDU fehle ab sofort ein wichtiger Konservativer, vor allem aber auch ein starker Debattenanzettler, sagt er im Gespräch mit tagesschau.de.

tagesschau.de: Hat Sie die Entscheidung des hessischen Ministerpräsidenten, sich aus der Politik zurückzuziehen, überrascht?

Hajo Schumacher: Dass er von seinen Ämtern zurücktreten will, war für mich nicht überraschend - der Zeitpunkt allerdings schon. Wenn man einmal als Ministerpräsident wiedergewählt ist, ist kaum zu erwarten, dass die Wahlergebnisse besser werden. Koch hatte seit elf Jahren in gewisser Weise einen Karrierestillstand. Politik war und ist sein Leben, aber vielleicht brauchte er das Gefühl, in der zweiten Lebenshälfte etwas Neues anzugehen. Und dabei mehr Lebensqualität, Einkommen und ab und zu ein freies Wochenende zu haben. Koch ist als hessischer Ministerpräsident mit der Frankfurter Bankenwelt gut vernetzt: Deshalb ist es eine berechtigte Spekulation, dass er sich dort in Zukunft tummeln wird.

Zur Person

Hajo Schumacher arbeitet als freier Journalist und Publizist in Berlin (zuvor u.a. "Spiegel", "Max"). Unter anderem hat er Bücher über den hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch und Bundeskanzlerin Angela Merkel veröffentlicht und ist Co-Autor der Biographie des Berliner Bürgermeisters Klaus Wowereit.

tagesschau.de: Aber Koch galt als einer der mächtigsten Player in der Union und auch möglicher Nachfolger von Angela Merkel.

Schumacher: Er ist ohne Frage ein bedeutender Player in der Union, weil er den konservativen und wirtschaftsliberalen Flügel abdeckt. Aber es gab einige Vorgänger, die das auch taten: Friedrich Merz ist inzwischen im Exil, Günter Oettinger ist als EU-Kommissar zumindest weg aus Deutschland. Koch möchte nicht Schachfigur in einem Spiel sein, dafür ist er ein zu autonomer Charakter.

Wenn es aussichtsreiche Kandidaten für Merkels Nachfolge gab, wurden die relativ zügig dieser Position beraubt. Merkel umgibt sich im Wesentlichen mit Leuten, die ihr nicht gefährlich werden können. Insofern mag das sein, dass er ein gefühlter Nachfolger ist, aber sicherlich kein tatsächlicher.

tagesschau.de: Gibt es Parallelen zu Merz' Rückzug aus der Politik?

Schumacher: Eine gibt es jedenfalls nicht: Merz ist in einem ganz offenen Konflikt mit Merkel geschieden. Koch und Merkel haben in den letzten Jahren eher gut zusammengearbeitet. Koch war nicht der größte Gegner von Merkel, sondern eher ein stabilisierender Faktor.

Dass er sich in die Pflicht als stellvertretender Parteivorsitzender hat nehmen lassen, war für die Parteivorsitzende auch ein Signal, dass er sich in die Parteipflicht begab. Er hat das mit größtmöglicher Loyalität gemacht - nach allem, was man hört.

tagesschau.de: Wie verschieben sich jetzt die Machtgewichte in der Union?

Schumacher: Die verschieben sich dramatisch. Egal, was man von Koch hält: Er war ein Typ, er hatte ein klares Profil und auch eine bestimmte Wählergruppe bedient. Er hat nach wie vor eine große Anhängerschaft in der Partei. Die CDU und damit auch die Parteivorsitzende sind ohne ihn ganz entscheidend geschwächt. Da fehlt einer, ohne den die Statik der Partei ganz schön ins Wackeln gerät.

tagesschau.de: In letzter Zeit hat er sich in der Spardebatte inhaltlich gegen Merkels Linie gestellt, indem er Einsparungen bei Bildung und Betreuung forderte. Schon eine Absetzbewegung im Nachhinein gesehen?

Schumacher: Im Gegenteil - er hat ihr das Feld bereitet. Strategisch gesehen war das eine gute Arbeitsteilung. Sparmaßnahmen werden und müssen stattfinden. Jeder, der das Feld schon mal bereitet, hilft der Kanzlerin. Sie steht damit automatisch in der Rolle der Bewahrerin beim Thema Bildung, indem sie sagen kann, dass es so schlimm nicht wird.

"Koch als Minister unter Merkel - das wäre nicht gut gegangen"

tagesschau.de: Es gab Spekulationen um mögliche Kabinettsposten für Koch. Hätte er noch Machtoptionen gehabt oder war es ein Mangel an Herausforderungen, der ihn aufgeben ließ?

Schumacher: Koch ist ein Typ, der sich nicht gerne in Kabinettsdisziplin einbinden lässt. Er war Chef der Jungen Union in Hessen, der hessischen CDU und vor dem Ministerpräsidentenamt Fraktionschef. Koch als Minister unter Merkel wäre keine Konstellation, die auf jahrelange Harmonie angelegt wäre. Das wäre vermutlich nicht gut gegangen.

tagesschau.de: Was bedeutet Kochs Rückzug für die Zukunft der Volkspartei CDU?

Schumacher: Das Angebot der Volkspartei CDU reicht von konservativ bis sozialliberal. Da fehlt der CDU jetzt eine große Abteilung, die konservative.

tagesschau.de: Er selbst hat sich gerne als "Modernisierer" bezeichnet.

Schumacher: Das schließt sich nicht aus. Einerseits hat er sich in Hessen als Reformer positioniert, andererseits repräsentierte er die hessische CDU, die mit Leuten wie Alfred Dregger und Manfred Kanther gerne den Hort der wahren, reinen und katholischen CDU darstellen. Da fehlt ein wichtiger Landesvorsitzender. Außerdem ist Koch einfach ein kluger Kopf, egal was man inhaltlich von ihm hält. Er polarisiert und erzeugt Debatten. Der Partei wird Input und Debattenkultur verlorengehen. Es ist dort wie beim Fußball: Jede Mannschaft braucht einen kreativen Verrückten, an dem sich die Geister scheiden.

Das Interview führte Corinna Emundts, tagesschau.de