Internationaler Tag der Menschenrechte "Nicht mit dem Finger auf andere zeigen"
Regelmäßig werden am "Tag der Menschenrechte" Missstände weltweit angeprangert. Anfang des Jahres gab es auch für Deutschland schlechte Noten. Warum das so ist und weshalb die deutsche Bilanz immer noch nicht "lupenrein" ist, sagt der Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses, Tom Koenigs, im tageschau.de-Interview.
tagesschau.de: Anfang des Jahres wurde die Menschenrechtslage in Deutschland vom UN-Menschenrechtsrat massiv kritisiert. Stichworte waren Rassismus, Diskriminierung von Fremden, Übergriffe auf Homosexuelle und Umtriebe von Neonazis. Wie steht es denn aktuell um die Menschenrechtslage hierzulande?
Tom Koenigs: Die könnte besser sein: Allein wie wir unsere Grenzen schützen und wie wir Menschen teilweise menschenrechtswidrig daran hindern, in unserem Land Asyl zu beantragen - das ist schon sehr problematisch. Außerdem gibt es hier auch nach wie vor Fremdenfeindlichkeit und Probleme mit Diskriminierung. Das bleibt wohl leider eine permanente Aufgabe, der wir uns annehmen müssen: gesamtgesellschaftlich, aber auch natürlich mit staatlichen Instrumenten.
Tendenz zur deutschen Selbstgerechtigkeit
tagesschau.de: Der ehemalige Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte hat einmal gesagt, es gebe "die Tendenz deutscher Selbstgefälligkeit beim Thema Menschenrechte". Sehen Sie das genauso?
Koenigs: Natürlich. Die äußert sich ja gerade darin, dass man Rassismus und Fremdenfeindlichkeit überall sieht, nur nicht bei uns in Deutschland. Die äußert sich auch darin, dass man Kinderarmut überall sieht, nur nicht in Deutschland oder dass man die Diskriminierung von ethnischen, sexuellen oder religiösen Minderheiten nur im Ausland wahrnimmt und nicht bei uns. Oder nehmen Sie den Bereich Bildung: Hier findet doch nichts anderes statt als die Diskriminierung ganzer Bevölkerungsschichten. Hier sind wir zwingend aufgefordert, auch institutionell Abhilfe zu schaffen. Aber um auf die Frage zurückzukommen: Auch Deutschland hat beim Thema Menschenrechte keine lupenreine Bilanz und sollte nicht selbstgefällig mit dem Finger auf andere zeigen.
tagesschau.de: Pünktlich zum "Internationalen Tag der Menschenrechte" bezeichnet Amnesty International das Jahr 2009 als "Jahr der verpassten Chancen". Wie sehen Sie das?
Koenigs: Ich weiß nicht, ob es verpasste Chancen sind. Aber natürlich ist es ein Jahr, das insbesondere durch den Krieg in Afghanistan menschenrechtliche Fragen ins Zentrum gerückt hat, die leider ungelöst sind. Umso wichtiger ist es, an diesen Fragen zu arbeiten und dafür zu sorgen, dass die Problematik der Menschenrechte und deren Durchsetzung auf der Tagesordnung bleiben.
Viele Lippenbekenntnisse und Sonntagsreden
tagesschau.de: Macht man sich es damit nicht zu einfach? Jedes Jahr werden am "Internationalen Tag der Menschenrechte" turnusgemäß die schwersten Menschenrechtsverletzungen angeprangert - und das war es dann?
Koenigs: Natürlich gibt es an solchen Tagen viele Lippenbekenntnisse und Sonntagsreden. Deshalb ist es wichtig, sich mit konkreten Fällen zu beschäftigen: Jede Menschenrechtsverletzung hat einen Ort und hat ein Opfer - außerdem sind Menschenrechte nicht irgendwelche verschwommenen Werte, sondern Rechte, die zu Ansprüchen führen. Wenn man dies vor Augen hat, dann ist Menschenrechtspolitik mehr als nur bloßes Gerede an einem Gedenktag.
tagesschau.de: Wo muss Ihrer Meinung nach dann jetzt konkret gehandelt werden?
Koenigs: Da ist natürlich das Beispiel Afghanistan zu nennen. Bis vor kurzem sprach man da noch vom "Krieg gegen den Terror", jetzt heißt es immerhin "Schutz der Zivilbevölkerung". Doch jetzt geht es darum, dieses Motto auch wirklich umzusetzen. Oder nehmen Sie das Thema der illegalen Verhaftungen: Menschen werden willkürlich ins Gefängnis geworfen, verschwinden einfach und werden dann unter menschenunwürdigen Bedingungen gefangen gehalten, wie es jetzt gerade im Iran wieder der Fall ist. Damit darf man sich nicht abfinden.
tagesschau.de: Aber was können Sie in einem solchen Fall als Vorsitzender des Menschenrechts-Ausschusses tun?
Koenigs: Wir können uns dafür einsetzen, dass Menschenrechtsorganisationen im Lande und internationale wie Amnesty International Zugang zu solchen Gefängnissen bekommen. Das Rote Kreuz hat etwa nur durch internationalen Druck Zugang zu Guantánamo erhalten. Denn klar ist: nur wenn solche Verhaftungen in die Öffentlichkeit kommen, können die Gefangenen auf Betreuung und Unterstützung hoffen. Der Menschenrechtsausschuss kann die Bundesregierung auffordern, Druck auf Staaten zu machen, die die Menschenrechte missachten. Etwa durch die Konditionierung oder Kündigung von Handelsabkommen oder ähnlichem. Manchmal hilft es schon, wenn sich die Vertreter einer deutschen Botschaft im Ausland mit Dissidenten treffen. Menschenrechtspolitik hat viel mit öffentlicher Unterstützung der Opfer von Menschenrechtsverletzungen zu tun - auf deren Seite sollten wir stehen.
Die Fragen stellte Niels Nagel , tagesschau.de