Interview mit Politikberater Spreng "Die Kanzlerin führt nicht"
Merkels Machtbasis schrumpft - sogar die Wirtschaft wendet sich zusehends ab von der schwarz-gelben Koalition. Kein Wunder, sagt Politikberater Spreng im Interview mit tagesschau.de. "Die Politik der Regierung ist unberechenbar." Zudem fehle der Koalition ein großes Projekt. Merkels größte Gefahr sei Peer Steinbrück.
tagesschau.de: Vergrätzte Energiekonzerne, verärgerte CDU-Ministerpräsidenten, eine grummelnde Basis und jetzt meutern auch noch 100 Familienunternehmen gegen die Euro-Politik - auf wen kann sich Angela Merkel eigentlich noch verlassen?
Michael Spreng: Merkels Machtbasis schrumpft. Weniger in der Koalition, weil die keine Neuwahlen riskieren kann. Aber ihre Machtbasis in der Bevölkerung bröckelt - und zwar in allen gesellschaftlichen Gruppen: sei es in der Arbeitnehmerschaft oder bei den Unternehmern. Und gerade Unternehmer sind ja darauf angewiesen, dass Politik berechenbar ist.
tagesschau.de: Haben Sie konkrete Beispiele für die Unberechenbarkeit der schwarz-gelben Politik?
Spreng: Mehrere. Bei der Energiepolitik erst wieder rein in die Atomkraft, dann wieder raus. In der Steuerpolitik: Kommen Steuersenkungen oder kommen sie nicht? Dieser Zickzackkurs ist typisch für die gesamte bisherige Regierungszeit von Schwarz-Gelb. Da fehlt jede Planbarkeit. Folge: Die Unternehmer sind zutiefst verunsichert. Es wäre für die Energiekonzerne sogar besser, weil planbarer gewesen, wenn Merkel beim rot-grünen Atomausstieg geblieben wäre. Aber dieses Hin und Her - das geht gar nicht.
Michael Spreng ist seit 2001 selbstständiger Medien- und Kommunikationsberater. Seine journalistische Laufbahn begann er als Redakteur der "Welt" und bei "Bild". Von 1989 bis 2000 war Spreng Chefredakteur der "Bild am Sonntag". 2002 war er Wahlkampfleiter Edmund Stoibers. Er betreibt den Blog www.sprengsatz.de.
tagesschau.de: Was heißt das in der Konsequenz?
Spreng: Die Wirtschaft wendet sich ab von dieser Bundesregierung. Es gibt kein Vertrauen mehr in die Entscheidungen der Koalition.
tagesschau.de: Nun wird der geballte Protest der Familienunternehmer Frau Merkel nicht gleich stürzen, aber...
Spreng:...es ist ein Warnsignal. Ein weiteres Warnsignal. Es gab ja beispielsweise auch schon die heftige Kritik der Unternehmensfamilie Quandt - ein wichtiger Großspender der CDU. Der Groll über Merkels Regierungskurs hat zum einen also mögliche materielle Auswirkungen auf die Partei. Und zum anderen: Wenn die Unternehmen, die ja immer hinter CDU und FDP standen, ihnen zunehmend die Gefolgschaft verweigern, dann fehlt eine wichtige Säule für die Wiederwahl.
"Es gibt keine Putschisten mehr"
tagesschau.de: Besteht Putschgefahr gegen Merkel?
Spreng: Nein. Es gibt keine Putschisten mehr. Die sind ja alle weg. Entweder sind sie freiwillig gegangen - wie Roland Koch - oder mit sanfter Nachhilfe von Merkel, wie Friedrich Merz.
tagesschau.de: Merkel ist alternativlos in der CDU?
Spreng: Ja. Es gibt keine Führungsreserve in der Partei. Das ist der Grund, warum Merkel bis zum Ende der Legislaturperiode amtieren wird - trotz verlorener Landtagswahlen und schrumpfender Machtbasis.
tagesschau.de: Hamburg ist verloren, Baden-Württemberg auch, in Berlin ist für die CDU nichts zu gewinnen und vom Koalitionspartner ist auch kein Glanz zu erwarten: Was kann Merkel machtpolitisch wieder auf die Beine helfen?
Spreng: Das ist ja das Schlimme: Es ist kein politisches Projekt der schwarz-gelben Bundesregierung für den Rest der Legislaturperiode in Sicht. Das wird eher ein Dahingewurstel. Die Unberechenbarkeit dieser Regierungspolitik nimmt also eher noch zu.
tagesschau.de: Sehen Sie da nicht zu schwarz?
Spreng: Naja, vielleicht werden die Rentenversicherungsbeiträge ein bisschen gesenkt, die Pflegereform angepackt und die Vorratsdatenspeicherung verlängert - das ist aber auch alles, was noch im Tornister dieser Regierung ist.
Wo ist Merkels Machtinstinkt?
tagesschau.de: Merkel galt immer als taktisch geschickte Machtpolitikerin. Wann hat sie ihr politischer Machtinstinkt verlassen?
Spreng: Mit dem Ende der Großen Koalition. Mit einem starken und berechenbaren Partner wie der SPD und mit starken politischen Figuren wie Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier hat sie sichere und planbare Politik gemacht. Das Problem begann mit der schwarz-gelben Regierung.
tagesschau.de: Das Problem ist die FDP?
Spreng: Nicht nur. Die Kanzlerin lässt Leadership vermissen. Sie führt nicht und sie setzt Entscheidungen nicht durch.
tagesschau.de: Ein neuer Koalitionspartner muss her?
Spreng: Den gibt es nicht. SPD und Grüne würden ja sofort Neuwahlen verlangen. Nein, diese Koalition ist jetzt auf Gedeih und Verderb bis 2013 aneinandergekettet. Die Koalition wird zwei Jahre noch abgewickelt. Ohne Projekt für die Zukunft.
Merkels größte Gefahr heißt Steinbrück
tagesschau.de: Das sind doch eigentlich beste Bedingungen für die Opposition. Doch nur die Grünen profitieren von der Schwäche der Regierung. Die SPD dümpelt so dahin.
Spreng: Wenn die SPD einen Kanzlerkandidaten aufstellt, der Wähler über die SPD hinaus gewinnen kann...
tagesschau.de: Peer Steinbrück?
Spreng: Zum Beispiel. Der linke Flügel der SPD müsste sich allerdings durchringen, Steinbrück zu akzeptieren.
tagesschau.de: Und Steinbrück wäre eine Gefahr für Merkel?
Spreng: Die größte. Steinbrück steht für Positionen, die viele Unternehmer Merkel nicht mehr zuschreiben. Also wirtschafts- und finanzpolitische Kompetenz, ein klares Urteil, Entscheidungsfindung und -durchsetzung.
tagesschau.de: Was raten Sie Frau Merkel?
Spreng: Diese Koalition braucht ein großes Projekt, das ausstrahlt über die Legislaturperiode hinaus. Zum Beispiel im Bildungsbereich oder bei der Sanierung der Sozialsysteme. Parteien werden ja wegen ihrer Zukunftsversprechen gewählt und nicht wegen ihrer Verdienste in der Vergangenheit. So ein Projekt muss die Koalition finden, um die Menschen wieder zu faszinieren und die öffentliche Debatte wieder zu bestimmen. Ich würde auch von einer Partei erwarten, dass sie ein Bild von Deutschland in zehn Jahren hat. Aber das gibt es ja alles bei dieser Regierung nicht.
Das Interview führte Wenke Börnsen, tagesschau.de