Interview mit einem Plagiatsjäger Speerspitze der "Copy und Paste"-Generation
Bis die Vorwürfe geklärt sind, will Verteidigungsminister zu Guttenberg auf seinen Doktor-Titel verzichten. Doch geht es nach dem Plagiatsjäger Stefan Weber, dürfte er ihn auch nie wieder führen. Im Interview mit tagesschau.de stellt er klar: "Guttenberg trägt seinen Titel zu Unrecht."
tagesschau.de: Welche unterschiedlichen Arten von Plagiaten gibt es denn?
Stefan Weber: Grundsätzlich muss man unterscheiden zwischen "Print-Plagerismus" und "Internet-Plagerismus". Also schreibt jemand noch aus Büchern ab oder wendet er nur noch die "Copy-Paste-Methode" an und stellt sich so seine Arbeit aus dem Internet zusammen.
tagesschau.de: Welcher Methode hat sich Verteidigungsminister zu Guttenberg Ihrer Meinung nach bedient?
Weber: Im Falle von zu Guttenberg sieht es so aus, dass Textbausteine aus dem Internet übernommen, nicht unter Anführungszeichen gesetzt und nur minimal verändert wurden. Das ist das glasklare "Copy-Paste-Plagiat", sozusagen das Internetplagiat neueren Typs, wie es seit ungefähr zehn Jahren an Universitäten verbreitet ist.
Er ist Lehrbeauftragter für Medientheorie an der Universität für angewandte Kunst Wien und beschäftigt sich seit 2002 auch wissenschaftlich mit der Plagiatsthematik.
Im Jahr 2007 arbeitete er an einer Google-kritischen Studie mit, die mit ihren Warnungen vor Netzplagiarismus eine internationale Debatte auslöste.
"Verwerfliche Methode"
tagesschau.de: Mit wissenschaftlichem Arbeiten hat das wenig zu tun…
Weber: Ganz genau! An den Universitäten wird den Studenten ja schon bei den Einführungsveranstaltungen ins wissenschaftliche Arbeiten klar gemacht, dass dies die verwerflichste und unmöglichste Methode ist, eine wissenschaftliche Arbeit zu erstellen oder gar zu einem akademischen Grad zu kommen.
tagesschau.de: Dr. zu Guttenberg trägt seinen akademischen Titel also zu Unrecht?
Weber: Aber sicher. Wir haben es hier nicht nur mit vergessenen Fußnoten oder kleinen Schlampereien zu tun. Zu Guttenberg hat wissenschaftliche Grundregeln in einer geradezu unglaublichen Quantität verletzt. Für mich ist er die Speerspitze dieser neuen "Copy und Paste"-Generation, die eigentlich eine Textkultur ohne Hirn betreibt. Mit dieser Arbeit hätte zu Guttenberg nicht einmal ein Seminar mit Auszeichnung bestehen dürfen. Geschweige denn einen Doktortitel.
tagesschau.de: Wie spüren Sie Plagiate auf?
Weber: Entweder mit Anti-Plagiat-Software oder mit der Internet-Suchmaschine "Google", wobei dies für mich die Methode erster Wahl ist.
"Keine Fehlerquote"
tagesschau.de: Und wie funktioniert das Genau?
Weber: Sie geben einfach komplette Sätze aus der fragwürdigen Arbeit in die Suchmaschine und schauen dann, ob es Parallelen zu anderen Arbeiten oder Büchern gibt. Doch das ist nur der erste Schritt. Natürlich schaue ich dann auch in die Originalquellen und überprüfe, ob hier wirklich abgeschrieben wurde. Mit dieser Methode lassen sich übrigens auch Arbeiten auf Plagiate überprüfen, die schon lange vor dem Internet-Zeitalter verfasst wurden.
tagesschau.de: Wie hoch ist die Fehlerquote?
Weber: Es gibt keine Fehlerquote. Allerdings ist das Verfahren natürlich sehr aufwändig und zeitintensiv.
tagesschau.de: Wie wird man eigentlich "Plagiatsjäger"?
Weber: Aus eigener Betroffenheit. Aus meiner eigenen Doktorarbeit wurde insgesamt dreimal abgeschrieben. Einmal sogar 90 Seiten - da wurde dem Plagiator aber der Doktortitel aberkannt und es gab sogar strafrechtliche Konsequenzen. Und irgendwann hat man halt die Faxen dicke und sagt: Es reicht!
tagesschau.de: Was sieht ihre persönliche Erfolgsbilanz aus?
Weber: Mittlerweile habe ich über 300 Arbeiten untersucht. 70 davon stellten sich als Plagiate heraus. In elf Fällen wurden den Plagiatoren dann auch rechtskräftig die akademischen Grade wieder aberkannt. Leider gelingt das nicht immer.
tagesschau.de: Was meinen Sie damit?
Weber: Schon vor gut vier Jahren habe ich zusammen mit Kollegen dem ehemaligen österreichischen Wissenschaftsminister und heutigen EU-Kommissar Johannes Hahn nachgewiesen, dass er große Teile seiner Doktorarbeit unzitiert abgeschrieben hat. Doch anders als jetzt im Fall von Herrn zu Guttenberg hatte die Universität Wien leider kein Interesse diesem Fall weiter nachzugehen. Bis heute wurde die Arbeit von Herrn Hahn von der Universität nicht komplett auf Plagiate hin untersucht - und das obwohl seine Arbeit die wissenschaftlichen Standards ähnlich unterbietet wie die von Verteidigungsminister zu Guttenberg.
Die Fragen stellte Niels Nagel, tagesschau.de