Chef der Münchner Sicherheitskonferenz "Über Waffen für Kiew diskutieren"
Mehr Krise war selten: Die Münchner Sicherheitskonferenz beginnt heute unter schwierigen Vorzeichen. Im Interview mit tagesschau.de spricht Konferenzleiter Ischinger über die Chancen der Diplomatie - und warum Waffen für die Ukraine kein Tabu sein dürfen.
tagesschau.de: Die Krise der Ukraine hat sich in den vergangenen Tagen militärisch immer weiter zugespitzt. Sehen Sie aktuell überhaupt noch eine Chance, auf diplomatischer Ebene etwas zu bewegen?
Wolfgang Ischinger: Es ist nie so, dass es keine Möglichkeiten mehr gibt in einer Krise dieser Art, diplomatische Lösung zu finden. Deshalb bleibt es auch unverändert richtig und wichtig, dass die Bundesregierung gemeinsam mit anderen unermüdlich versucht, alle an den Verhandlungstisch zu bitten und nach Lösungen zu suchen. Ich gebe aber zu, dass im Augenblick die Verhandlungslösung, die wir alle wollen - nämlich die doppelte Null-Lösung, also das Ende russischer Unterstützung für die Separatisten und dann auch natürlich Verzicht auf Gedankenspiele über mögliche westliche Waffenlieferungen - dass diese doppelte Null-Lösung heute weiter entfernt ist, als jemals in den zurückliegenden Monaten.
tagesschau.de: Sie erwähnten gerade die Gedankenspiele über mögliche Waffenlieferungen aus dem Westen an die Ukraine. Wie bewerten sie, dass es etwa in den USA namhafte Befürworter eines solchen Schrittes gibt?
Ischinger: Ich halte es für richtig, dass diese Debatte angestoßen wird. Denn das, was wir von der Ukraine im Moment erwarten, erinnert mich an den Herzpatienten, dem man sagt, man behandelt seinen Herzinfarkt erst dann, wenn er zwischendurch einen Marathon gelaufen ist. Wir erwarten von der Ukraine, dass sie ihre Finanzen in Ordnung bringt, dass sie umfassend Reformen durchführt, dass sie die Korruption bekämpft und, dass sie eine militärische Herausforderung in ihrem Osten in den Griff bekommt. Wie soll das gehen, wenn das Land nicht umfassende finanzielle Hilfe und auch das notwendige an militärischer Unterstützung bekommt, um zu verhindern, dass das Land entweder finanziell oder militärisch im Bankrott endet?
Ich halte es für ganz falsch, wenn viele in der deutschen politischen Landschaft die Frage nach möglichen westlichen Waffenlieferungen von vorneherein abwürgen wollen. Nicht-Handeln führt auch zu Verantwortung. Und wenn wir wegschauen und die Ukraine - um es salopp auszudrücken - vor die Hunde geht, werden die politischen, militärischen und sicherlich auch die finanziellen Kosten wahrscheinlich noch viel größer sein, als wenn wir uns jetzt ernsthaft die Frage stellen, wie wir den Verhandlungstisch für alle Beteiligten wieder attraktiv machen können. Solange die Separatisten Geländegewinne machen, wie in den vergangenen Tagen und Wochen, verweigern sie sich dem Verhandlungstisch. Da kann die Bundesregierung lange rufen. Der Vormarsch der Rebellen muss gestoppt werden. Und hier stellt sich in der Tat die Frage: Kann das die ukrainische Armee alleine?
"Zurück zum Protokoll von Minsk"
tagesschau.de: Viele Augen richten sich in der Ukraine-Krise auch auf Moskau. Was könnte der russische Präsident Wladimir Putin tun, um deeskalierend zu wirken?
Ischinger: Es wird immer wieder die Frage gestellt: Wie kann eine Lösung so erreicht werden, dass keine Seite einen Gesichtsverlust erleidet? Das ist in der Tat in der internationalen Politik eine wichtige Frage. Ich denke, der Weg zu einer gesichtsverlustfreien Lösung ist vorgezeichnet. Es gibt das Protokoll von Minsk vom vergangenen September. Das ist mit russischer Zustimmung erreicht worden. Die Umsetzung dieses Protokolls kann also gar nicht zu einem Gesichtsverlust für Russland führen. Daran müssen wir Russland festhalten.
Zudem hat die Bundeskanzlerin vor einigen Tagen sehr geschickt die Vision eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes zwischen der Europäischen Union und Russland beziehungsweise der von Russland angestrebten Eurasischen Union wieder ins Spiel gebracht. Das ist ein weiterer Gedanke, wie im Sinne einer für alle nutzbringende Situation, also nicht im Sinne eines Nullsummenspiels, Projekte zwischen dem Westen und Russland angestoßen werden könnten. Ich denke, mit solch klugen politischen Ansätzen muss es eigentlich möglich sein, den Ukraine-Konflikt zu einem Ende zu bringen. Die Frage ist aber in der Tat, ob das überhaupt in russischem Interesse ist. Daran sind nach den Vorgängen der vergangenen Monate leider Zweifel angebracht.
"Keine Plattform für Propaganda"
tagesschau.de: Ein weiterer Konflikt, der auch auf der Münchener Sicherheitskonferenz eine Rolle spielen wird, ist der Bürgerkrieg in Syrien und der Kampf gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat". Wie gehen Sie auf der Konferenz mit diesem Konflikt um?
Ischinger: Hier steht die Münchner Sicherheitskonferenz vor einer schwierigen Frage. Die Konferenz ist eine private Einrichtung, also im Prinzip frei, jeden einzuladen, den man einladen möchte. Ich denke aber, wir sollten dort eine Grenze ziehen, wo wir fürchten müssen, dass bestimmte Gäste die Plattform in München ausschließlich zu Propagandazwecken nutzen. Deswegen werden Sie in München in diesem Jahr weder einen Vertreter des Assad-Regimes noch natürlich einen Vertreter des "Islamischen Staates" vorfinden.
Wir haben aber sehr viele Vertreter aus der arabischen Welt, aus dem Bereich des Nah- und Mittelöstlichen Raumes einschließlich Iran, um mit den unmittelbar beteiligten Nachbarn Syriens die Lage zu besprechen. Wir werden auch den irakischen Kurdenführer Massud Barsani unter unseren Gästen haben, damit wir aus erster Hand erfahren können, wie man dort mit dem "Islamischen Staat" umgeht.
"Kein guter Jahresbeginn 2015"
tagesschau.de: Die Zahl der weltweiten Krisen nimmt immer mehr zu. Und fast hat man den Eindruck, die internationale Gemeinschaft hat dem wenig entgegen zu setzen. Woran liegt das?
Ischinger: Die internationale Politik ist den vergangenen Monaten und Jahren immer unübersichtlicher, chaotischer und komplexer geworden. Das ist eine große Herausforderung. Wir brauchen eigentlich viel mehr Entscheidungsfähigkeit sowohl bei Regierungen, als auch international, etwa auf der Ebene der Vereinten Nationen und von regionalen Institutionen.
Die Vereinten Nationen, um bei diesem Beispiel zu bleiben, sind aber was Krisenentscheidungen betrifft, sehr häufig blockiert. Das ist der Fall sowohl in der Ukraine-Krise, als auch in der Syrien- und der Irak-Krise. Das heißt, wir haben eine enorme Nachfrage nach Entscheidungskraft, die Fähigkeit, das Angebot der internationalen Gemeinschaft, Entscheidung treffen zu können, ist aber denkbar schlecht und in den vergangenen Jahren eigentlich sogar noch schlechter geworden. Das ist kein guter Jahresbeginn 2015. Ich würde das so zusammenfassen: Wenn es die Münchner Sicherheitskonferenz nicht schon seit 51 Jahren geben würde, müsste man sie angesichts dieses desolaten Zustandes jetzt neu erfinden.
Das Gespräch führte Christian Thiels, tagesschau.de