Klage wegen Nitrat-Belastung in Deutschland Ignorieren, hinhalten, versagen
Die EU hat Deutschland wegen der steigenden Nitratbelastung des Grundwassers und jahrelanger Untätigkeit bei dessen Schutz verklagt. Die Klageschrift hat es in sich. Nicht nur Bauern müssen massive Folgen fürchten.
Es ist ein einmaliges Dokument des Versagens. Auf rund 40 Seiten Anklageschrift - belegt mit 1500 Seiten Dokumenten-Anhang - rechnet die EU-Kommission mit der Umwelt- und Agrarpolitik der Bundesrepublik ab. Seit Jahren steigt in vielen Regionen Deutschlands die Belastung des Grundwassers mit Nitrat. Hauptursache ist die Landwirtschaft, die Überdüngung mit Gülle und Mist. Das ist ein klarer Verstoß gegen die seit 1991 geltende EU-Nitratrichtlinie.
Die Klageschrift zeichnet akribisch nach, wie Deutschland seit Jahren das Problem ignoriert und die EU-Kommission hingehalten hat. Zum Beispiel werde zugelassen, dass wesentlich mehr Dünger auf die Äcker gebracht werde, als die Pflanzen überhaupt aufnehmen könnten, so ein zentraler Vorwurf der Kommission. Auch die gesetzlichen Düngepausen von maximal drei Monaten seien viel zu kurz, heißt es in der Klageschrift. Stand der Wissenschaft seien fünf bis sieben Monate.
Agrarministerium verhinderte schärfere Regeln
Schärfere Regelungen scheiterten bislang vor allem am Widerstand des Landwirtschaftsministeriums. Mitte vorigen Monats einigte sich die Koalition überraschend auf eine Reform der entsprechenden Vorschriften. Wilhelm Priesmeier, agrarpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, bezweifelt allerdings, ob damit die Klage der EU-Kommission hinfällig ist. "Die Klage bezieht sich ja auf die alte Düngeverordnung. Und erst mit Vorlage der neuen Dünge-Verordnung und der Novelle des Düngegesetzes können letztendlich die Kommission und der EuGH prüfen, ob den Vorgaben der Nitratrichtlinie genüge getan ist oder nicht", sagt Priesmeier. "Ich befürchte mal, dass die jetzt vorliegende Novelle des Düngegesetzes und auch der Düngeverordnung nicht ausreichend sein wird."
Wie ernst es die EU-Kommission mit dieser Klage meint, ist übrigens nicht nur am Inhalt, sondern auch an dem Ton der Klageschrift deutlich zu erkennen. Vom Vorwurf, wissenschaftliche Erkenntnisse zu ignorieren bis hin zum "bloßen Spiel mit Begrifflichkeiten" reichen die am Rande der juristischen Argumente ausgeführten Attacken gegen Berlin.
SPD-Agrarpolitiker Priesmeier warnt vor den Folgen eines europäischen Urteilsspruchs für Deutschland.
Andere EU-Staaten wurden bereits verurteilt
Ihre Entschlossenheit beim Thema Nitrat stellte die Kommission bereits im Streit mit Frankreich unter Beweis. Auch dort landete der Fall vor dem Europäischen Gerichtshof - der Klage wurde stattgegeben. Derzeit verhandelt Paris mit Brüssel über das mögliche Strafmaß. In der Diskussion ist unter anderem eine Geldstrafe von bis zu drei Milliarden Euro. Bei einer Verurteilung dürfte auf Deutschland Ähnliches zukommen.
Aber eine Geldstrafe wäre noch das geringste Problem, meint SPD-Agrarexperte Priesmeier. "In dem Urteilsspruch wären letztendlich Dinge enthalten, die wir dann unmittelbar und sofort in Gesetzesform umzusetzen hätten. Das würde natürlich auch den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers erheblich einschränken", sagt er. Konkret, so Priesmeier, könne das im Extremfall bedeuten, dass Gerichte in besonders nitratbelasteten Gebieten die Landwirtschaft völlig verbieten.