Gedanken eines Enkels Heldengedenken? Heldengedenken!
Nach dem gescheiterten Attentat und Umsturz versuchten die Nazis, das Ausmaß herunterzuspielen: Nur "eine ganz kleine Clique ehrgeiziger, gewissenloser und zugleich verbrecherischer dummer Offiziere" sei beteiligt gewesen. In den Wochen und Monaten danach wurden jedoch hunderte Beteiligte und Widerständler verhaftet, verhört und hingerichtet. Unter ihnen war auch Joachim Sadrozinski. Sein Enkel Jörg Sadrozinski schreibt über den Großvater, den er nie kennen gelernt hat.
Von Jörg Sadrozinski, tagesschau.de
Ich kenne meinen Großvater Joachim Sadrozinski nicht. Er wurde am 29. September 1944 hingerichtet, ich 20 Jahre später geboren. Ich weiß wenig über meinen Großvater - meine Großmutter sprach ganz selten über ihren Mann, meine Urgroßmutter hat nur wenig über ihren Sohn aufgeschrieben und mein Vater und seine Geschwister waren noch klein, als er starb.
Ich weiß, dass mein Großvater im Zusammenhang mit den Ereignissen des 20. Juli 1944 hingerichtet wurde. Am 19. und 21. August verurteilten ihn der Präsident des Volksgerichtshofes, Freisler, ein Volksgerichtsrat Lämmle, der General der Infanterie Reinecke, der Bürgermeister Ahmels sowie ein "Gartentechniker und Kleingärtner" namens Kaiser und der Ingenieur Wernecke zum Tode. Erst mehr als einen Monat später, am 29. September wurde er im Gefängnis Plötzensee gehenkt, seine Leiche verbrannt und seine Asche in alle Winde zerstreut.
Was hatte er getan?
Joachim Sadrozinski war Oberstleutnant im Generalstab und Gruppenleiter I beim Befehlshaber des Ersatzheeres (BdE), Generaloberst Fromm. In dieser Funktion war er Abwesenheitsvertreter von Oberst Graf Stauffenberg.
Nach den Aussagen, die mein Großvater bei Verhören und vor dem Volksgerichtshof machte, erfuhr er am 20. Juli von seinem Vorgesetzten, Generaloberst Fromm, dass "der Führer tot ist". Wenig später hörte er jedoch auf Befehl am Telefon das Gespräch zwischen Fromm und Generalfeldmarschall Keitel mit, in dem Keitel aus der Wolfschanze mitteilte, dass Hitler lebe.
Aus den Gerichtsakten wird deutlich, welche Tumulte sich im Bendlerblock, dem Sitz des Allgemeinen Heeresamtes und BdE, nach diesen sich wiedersprechenden Nachrichten abgespielt haben. Stauffenberg, der inzwischen eingetroffen ist, gibt zu, das Attentat verübt zu haben und besteht darauf, dass Hitler tot sei. Fromm, der sich den Umstürzlern nicht anschließen will, wird "in Schutzhaft" genommen - und mein Großvater macht auf der Seite der Verschwörer mit.
Er vervielfältigt die "Walküre"-Befehle, in denen Hitler für tot erklärt, die Verhaftung von SS, SD und die Übertragung der Befehlsgewalt auf die Wehrmacht angeordnet werden und sorgt dafür, dass sie an die Wehrkreise verschickt werden.
Der Volksgerichtshof urteilt über das Verhalten Joachim Sadrozinskis: Er habe sich "nach dem Mordanschlag auf unseren Führer den Mordkomplizen bewußt zu ihrem meuterischen Verrat zur Verfügung gestellt und in ihren Reihen mitgearbeitet." Er sei "also in gleicher Schmach und Schande wie die, die den Mord selbst planten und ausführten."
Schon dieses Urteil des Volksgerichtshofes und seines unsäglichen Präsidenten Freisler adelt meinen Großvater in meinen Augen: Er hat richtig gehandelt!
Er selbst bereut sein Mittun - ob tatsächlich, oder nur um seine Familie vor Sippenhaft zu schützen, weiß ich nicht: Mein Großvater durfte am Tage seiner Hinrichtung noch zwei Briefe schreiben - einen an seine Frau, einen an seine Mutter. In beiden spricht er von seiner Schwäche, die ihn hat "schuldig" werden lassen.
Was mich weitaus mehr in diesen letzten Briefen beeindruckt, ist das Verantwortungsgefühl gegenüber seiner Familie: Der damals 37-jährige Vater von fünf Kindern empfiehlt seiner Ehefrau: "Auch ein neuer Lebensbund (...) muß erwogen werden, Scheidung, Annahme eines anderen oder des Mädchennamens, um sich von dem Verräter zu trennen u. die Kinder nicht zu belasten."(...)
Meine Großmutter ist seinen Empfehlungen nicht gefolgt. Und auch nach ihrem Tod gedenken Kinder und Enkel ihres Vaters und Großvaters Joachim Sadrozinski und vieler anderer, die sich am 20. Juli 1944 gegen ihren Eid auf den "Führer" und für eine gute und richtige Sache entschieden.