Interview

ARD-Rechtsexperte zur Aussage von Carsten S. Viele Details, wenig Gefühl

Stand: 05.06.2013 15:02 Uhr

Am sechsten Prozesstag im NSU-Prozess geht die Befragung von Carsten S. weiter. S., der im Prozess wegen Beihilfe zum Mord angeklagt ist, schildert viele Ereignisse aus der rechten Szene, tut sich aber schwer, seine Motivation dahinter zu benennen, sagt ARD-Rechtsexperte Frank Bräutigam im Interview mit tagesschau.de.

tagesschau.de: Wie haben Sie die Befragung von Carsten S. erlebt?

Frank Bräutigam: Es ging in der Befragung heute Vormittag weniger um die konkrete Waffenlieferung an Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe. Man hat aber intensive Einblicke in die rechte Szene in Jena in den Neunzigerjahren bekommen. S. hat beispielsweise geschildert, wie er mit seiner Clique an Wochenenden Dönerbuden umgeworfen oder Scheiben von Dönerbuden eingeschlagen habe, einfach so.

Richter Götzl fragte daraufhin mehrfach nach, mit welcher Motivation er an solchen Aktionen teilgenommen habe. Carsten S. überlegte dann sehr lange. Letztendlich musste er einräumen, dass dahinter ein Feindbild, rechte Ideologie stand. S. sagte wörtlich: "Wenn da eine Bockwurstbude gestanden hätte, dann hätten wir das sicher nicht gemacht." Das fand ich sehr bezeichnend.

tagesschau.de: Wie reagieren die Zuschauer, unter denen ja viele Angehörigen der Opfer sind, auf solche detaillierten Schilderungen rechter Ideologie?

Bräutigam: Man konnte auf der Zuschauertribüne hören, wie ungläubig diesen Schilderungen gelauscht wurde. Als es darum ging auf welchem Feindbild diese rechte Ideologie gefußt hat - da war es extrem still und extrem angespannt im Gerichtssaal.

Verteidiger gehen nicht dazwischen

tagesschau.de: Carsten S. ist bereits vor Jahren aus der rechten Szene ausgestiegen. Wie haben Sie ihn heute im Gerichtssaal wahrgenommen?

Bräutigam: Ich habe den Eindruck, dass er reinen Tisch machen will. Dass er sich erkennbar bemüht, sich genau an die Vorgänge damals zu erinnern. Er schildert viele Abläufe - tut sich aber schwer damit, die Motivation dahinter erkennen zu lassen. Da fragt der Richter sehr intensiv nach.

Es fällt auch auf, dass seine Verteidiger nicht dazwischen gehen - auch nicht, wenn er sich selbst belastet. Seine Beteiligung an Vandalismus gegen Dönerbuden hat er beispielsweise ins Spiel gebracht, ohne danach gefragt worden zu sein. Für ein Gericht ist das durchaus eine Aussage, die man zugrunde legen kann - nicht für die konkreten Taten, wegen derer er angeklagt ist. Aber als Basis für eine Ideologie, die dahinter steckt.

Keine Erinnerung an Skrupel

tagesschau.de: Könnte seine Bereitschaft auszusagen zu einem milderen Urteil führen?

Bräutigam: Die Tatsache, dass ein Angeklagter aussagt, ist immer, in allen Fällen, ein zentraler Grund, auf den man eine Strafmilderung stützen kann. Carsten S. ist angeklagt wegen Beihilfe zum Mord. Eine Frage, die sich dabei stellt, ist: Wusste er, konnte er ahnen, was mit der Waffe, die er geliefert hat, einmal geschehen würde. Nämlich dass damit neun Menschen getötet werden würden. An diesem Punkt beharrt er darauf, er habe sich da "nicht richtig Gedanken gemacht", habe das "nicht richtig reflektiert".

Der Richter hat hat am frühen Nachmittag immer wieder nachgehakt, ob er denn nicht Skrupel gehabt habe bei der Waffe. Dass sich S. an keine Gedanken von damals erinnere, scheint Götzl ihm nicht recht zu glauben, war mein Eindruck.

Ich rechne damit, dass auch die anderen Prozessparteien an diesem Punkt sehr gründlich nachhaken werden. Wer in dieser Szene verkehrt, der muss sich eigentlich darüber bewusst sein, dass eine Waffe mit Schalldämpfer auch eingesetzt wird.

Die Fragen stellte Anna-Mareike Krause, tagesschau.de.