Vor Urteil im NSU-Prozess Die fünf Angeklagten
Nach fünf Jahren endet am Mittwoch der NSU-Prozess. Neben der Hauptangeklagten Beate Zschäpe stehen vier Männer vor Gericht.
Beate Zschäpe
Viel ist über Beate Zschäpe berichtet worden - und trotzdem bleibt die Hauptangeklagte im NSU-Prozess ein Rätsel. Von den Morden ihrer Mitbewohner will sie sieben Jahre lang immer nur im Nachhinein erfahren haben, sagte sie vor Gericht aus. Jede einzelne Tat habe sie abgelehnt, aber die Kraft nicht gefunden, sich von ihrer "Familie", bestehend aus Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, zu befreien. Diese hätten nämlich angekündigt, sich eher zu töten, als ins Gefängnis zu gehen. Auch in ihrem letzten Wort beteuerte sie zum wiederholten Mal, nichts von den Morden gewusst zu haben und entschuldigte sich bei den Hinterbliebenen.
Wie auch im letzten Wort, bezeichnete sich Zschäpe auch im Prozess selbst als Opfer. Die Schuld für die Morde schob sie auf ihre toten Freunde.
Für die Bundesanwaltschaft ergibt sich dagegen ein gänzlich anderes Bild. Sie sieht in der Person Zschäpe einen der Gründe, warum sich das Trio mehr als elf Jahre lang erfolgreich verstecken konnte: Weil sie unter falschem Namen für eine Tarnung sorgte und Nachbarn und Bekannten die ungewöhnliche Dreier-WG mit Lügengeschichten erklärte. Nicht zuletzt, weil sie nach dem Auffliegen der Gruppe die gemeinsame Wohnung in Zwickau in Brand steckte.
Die Angeklagte Beate Zschäpe bezeichnet sich selbst als Opfer.
Sieht man sich genauer an, was die Beweisaufnahme ergeben hat, so kann man Zschäpe ihre Version der Ereignisse kaum glauben. Immer wieder, über Jahre hinweg, war sie eine Meisterin im Lügen und Erfinden. Einmal ging sie selbst zur Polizei und machte unter falschem Namen eine Aussage nach einem Wasserschaden in ihrem Wohnhaus, um ihre Tarnung zu retten. Mehrfach präsentierte sie sich im Urlaub arglosen Freunden in ihrer ausgedachten Rolle, wirkte dabei selbstbewusst und unbeschwert. Kann diese Frau ein Opfer der Umstände sein?
Das Gericht wird entscheiden, wie viel Glauben es Zschäpe schenkt. Den Richtern wird auch aufgefallen sein, dass sich Zschäpe mit ihren Vorstellungen der eigenen Verteidigung erfolgreich gegen ihre drei ursprünglichen, erfahrenen Rechtsanwälte durchgesetzt und sich neue Anwälte erkämpft hat, die nach ihrer Pfeife tanzen. Wie ein wehrloses Opfer hat sie sich dabei nicht verhalten.
Ralf Wohlleben
Der frühere NPD-Funktionär Ralf Wohlleben soll für das Trio die Tatwaffe beschafft haben und zusammen mit Carsten S. die Brücke in das alte, legale Leben des Trios gewesen sein. Wohlleben wird bereits seit Mitte der 1990er der Neonazi-Szene zugerechnet, organsierte Szene-Treffen und machte eine Parteikarriere in der NPD Thüringen, in der er es bis zum stellvertretenden Landesvorsitzenden und Spitzenkandidat der NPD-Landesliste brachte.
Ralf Wohlleben soll logistische Hilfe organisiert haben.
Parallel zu seiner öffentlichen politischen Arbeit hielt er nach dem Untertauchen von Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Zschäpe zu diesen Kontakt. Er soll logistische Hilfe organisiert haben - und auch die Waffe vom Typ Ceska beschafft haben, die zum Markenzeichen der Mordserie wurde. Dabei belastet ihn vor allem die Aussage des Aussteigers Carsten S. Nach seiner Verhaftung sah sich Ralf Wohlleben offenbar als "politischer Gefangener" und interessierte sich in der Haft für die Terroristen der linken Rote Armee Fraktion und Rudolf Heß, den Stellvertreter Adolf Hitlers.
Im Prozess erklärte Wohlleben, dass es sein Ziel sei, die "Kultur des Deutschen Volkes" zu erhalten. Gegen Ausländer habe er nichts, fürchte aber eine massenhafte Zuwanderung. Mit den Morden will er aber nichts zu tun gehabt haben.
Holger G.
Er ist der unscheinbarste der Angeklagten und wurde - so legten es jedenfalls seine Verteidiger nahe - von den Terroristen als nützlicher Idiot angesehen und ausgenutzt. Holger G. soll seinen Namen und Ausweise für das Trio zur Verfügung gestellt haben und durch das Überlassen einer Geburtsurkunde sogar ermöglicht haben, dass sich Uwe Mundlos einen echten Personalausweis auf den Namen Holger G. ausstellen ließ.
Für diese Hilfsaktionen soll er Geld und Anerkennung bekommen haben, sagt die Anklage. Holger G. will davon nichts wissen, es seien Freundschaftsdienste gewesen, die Hintergründe habe er nie verstanden.
André E.
André E. und seine Frau Susann (gegen die der Generalbundesanwalt in einem separaten Verfahren ermittelt) sollen zu den engsten Bezugspersonen des Trios während der Zeit im Untergrund gezählt haben. Regelmäßig besuchte das Ehepaar, auch gemeinsam mit ihren Kindern, offenbar das Trio. André und Susann E. sollen zudem ihre Namen und auch Ausweise zur Tarnung zur Verfügung gestellt haben.
Der Angeklagte André E. soll eine enge Bezugsperson des Trios gewesen sein.
Möglicherweise haben sie auch ihre Kinder "verliehen", damit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt als Familie getarnt Wohnmobile für ihre Morde und Raubüberfälle mieten konnten. Bei der Durchsuchung der Familienwohnung der E.s fand die Polizei einen Altar mit Bildern des Trios und dem Schriftzug "Unvergessen". Die beiden "S" waren in der Art der SS-Rune gestaltet. Er sei "überzeugter Nationalsozialist", ließ André E. über seinen Anwalt ausrichten.
Im Prozess hat André E. sonst so konsequent geschwiegen, wie kein anderer der Angeklagten. Und er sorgte immer wieder durch sein Auftreten für Provokationen. Er trug im Gerichtssaal T-Shirts von Nazi-Bands oder mit dem Slogan "Brüder schweigen bis in den Tod". Durch Fotos wurde in der Hauptverhandlung bekannt, dass auf seinem Bauch die englischen Worte für "Stirb, Jude, stirb" eintätowiert sind.
Carsten S.
Carsten S. gibt es nicht mehr. Der Mann, den bei seiner Festnahme die Spezialeinheit GSG9 in einem Kölner Hausflur niederrang, wird inzwischen von Zeugenschützern des Bundeskriminalamts bewacht und hat einen neuen Namen bekommen. Der "alte" Carsten S. hatte ein bewegtes Leben hinter sich. Er sagt nun, dass er mit dem Thema NSU reinen Tisch machen möchte. Es ist sehr gut möglich, dass die Richter ihm das glauben.
Geboren in Neu-Delhi war Carsten S. in der Schule ein Außenseiter, wurde "der Inder" genannt. Bei Neonazis suchte er nach Anerkennung, beteiligte sich an Straftaten, machte Karriere bei der Jugendorganisation der NPD. Er lernte Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe kennen und war in deren Anfangszeit im Untergrund ein wichtiger, vielleicht sogar der wichtigste Kontaktmann. Er übergab wohl auch die Tatwaffe der NSU-Morde.
Doch noch während das Trio im Untergrund lebte, verließ Carsten S. Thüringen und die rechte Szene. Er outete sich als homosexuell, zog nach Nordrhein-Westfalen, wurde anerkannter Sozialarbeiter, war sehr beliebt - bis ihn 2011 die Vergangenheit einholte. Doch Carsten S. entschloss sich, gegen frühere Kameraden auszupacken. Das dürfte ihm für sein Urteil einen Bonus einbringen. Trotzdem scheint eine Haftstrafe für ihn nicht ausgeschlossen.