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Debatte über Kinderpornografie Wie werden Pädophile nicht zu Tätern?

Stand: 20.02.2014 09:32 Uhr

Rund 250.000 pädophile Männer gibt es in Deutschland, schätzt der Forscher Jorge Ponseti. Im Gespräch mit tagesschau.de betont er, wie wichtig Prävention sei, damit diese nicht zu Tätern werden. Jorge sagt, pädophil zu sein, sei ein schweres Schicksal.

tagesschau.de: Die SPD hat deutlich gemacht, dass Sebastian Edathy keine Zukunft  in der Partei hat. Parteichef Gabriel betonte, auch wenn es kein strafrechtliches Verhalten gebe, passe dies nicht zur SPD. Ist das ein typischer Umgang mit mutmaßlichen oder tatsächlichen Pädophilen?

Jorge Ponseti: Es gibt bislang keine vergleichbaren Fälle wie den derzeitigen. Wenn aber jemand der Pädophilie, die zunächst kein Straftatbestand ist, bezichtigt wird, muss er damit rechnen, sozial an den den Rand gestellt zu werden. Auch wirtschaftliche Konsequenzen sind wahrscheinlich, beispielsweise, dass er seine Arbeit verliert.

Zur Person
Dr. phil. Dipl.-Psych. Jorge Ponseti arbeitet an der Sektion für Sexualmedizin der Universitätsklinik Schleswig-Holstein in Kiel. Die Sektion ist Teil des Präventionsnetzwerks "Kein Täter werden", das bundesweit kostenloses und durch die Schweigepflicht geschütztes Behandlungsangebot für Menschen anbietet, die sich sexuell zu Kindern hingezogen fühlen und deshalb therapeutische Hilfe suchen.

tagesschau.de: Welche Folgen hat diese gesellschaftliche Isolierung für die Arbeit der Beratungsstellen?

Ponseti: Die Hilfesuchenden sind sehr um Anonymität bemüht. Das Präventionsprojekt "Kein Täter werden" bietet kostenlose und anonyme Hilfe für Männer mit pädophilen Neigungen an. Die Anonymität ist ganz zentral dabei, denn viele, die Hilfe suchen, sind sehr verängstigt.

tagesschau.de: Was genau zeichnet "Kein Täter werden" aus?

Ponseti: Das Projekt bietet einen sehr niedrigschwelligen Zugang, damit die Hilfesuchenden ihre sexuelle Neigung nicht zu Übergriffen werden lassen. Zudem versuchen wir, möglichst viele Männer mit pädophilen Neigungen zu erreichen. "Kein Täter werden" soll helfen, mit dieser problematischen sexuellen Orientierung zurecht zu kommen. Das kann durch Psychotherapie sein - und wenn das nicht hilft, möglicherweise auch mithilfe von Medikamenten, um den Sexualtrieb zu mindern oder sogar auszuschalten.

tagesschau.de: Wann wird den meisten Betroffenen klar, dass sie diese sexuelle Orientierung in sich haben?

Ponseti: Im Laufe der Adoleszenz. Wenn sich in der Pubertät das sexuelle Interesse entwickelt, orientieren wir uns an altersgleichen Partnern. Der erste Schwarm in der Schule ist zumeist auch noch ein Kind. Da fällt ein Pädophiler noch nicht auf, da er selbst noch ein Kind ist. Doch während die anderen Jungs das Alter der jeweiligen Sexualpartnerin anpassen, richtet der pädophile Mann sein sexuelles Interesse weiterhin auf Vorpubertierende. Dann fällt es dem Betroffenen und auch der Umgebung auf.

"Männer aller Altersklassen"

tagesschau.de: Gibt es den typischen Pädophilen, der sich an sie wendet?

Ponseti: In unser Projekt kommen Männer aller Altersstufen. Das reicht von 20 bis zu 60-Jährigen.

tagesschau.de: Nun sprechen Sie durchgehend von Männern. Ist Pädophilie ein rein männliches Phänomen?

Ponseti: Ganz, ganz überwiegend. Ich arbeite seit 15 Jahren in der Sexualtherapie und habe noch nie eine pädophile Frau kennen gelernt. Es wird wohl welche geben, aber die Berichte sind sehr unsystematisch. Ich schätze, dass auf eine pädophile Frau etwa 100 Männer mit entsprechender Neigung kommen. Ohnehin sind Störungen der sexuellen Präferenz eher ein Problem von Männern.

tagesschau.de: Wie hoch ist denn überhaupt der Anteil der pädophilen Männer an der Gesamtbevölkerung?

Ponseti: Wir schätzen aus Dunkelfelderhebungen, dass ungefähr 0,7 bis ein Prozent der männlichen Bevölkerung im reproduktionsfähigen Alter pädophil ist. Hochgerechnet auf Deutschland sind das etwa 250.000 Männer.

tagesschau.de: Wie gehen diese Menschen mit der Pädophilie um?

Ponseti: Die pädophilen Männer haben sich diese Neigung nicht ausgesucht, das ist zunächst erst einmal ein schweres Schicksal, weil sie ihre Sexualität nicht ausleben können. Wie viele sexuell übergriffig werden, ist nicht klar. Einzelne Studien, von denen man aber noch nicht weiß, ob sie repräsentativ sind, kamen zu dem Ergebnis, dass die meisten pädophilen Männer im Laufe ihres Lebens übergriffig werden. Viele können ihre Neigung also auf die Dauer nicht effektiv kontrollieren und ohne sexuelle Kontakte leben. Aber auch wenn sie nicht übergriffig werden, sind diese Männer oft depressiv oder psychisch beeinträchtigt.

tagesschau.de: Was ist Ihrer Ansicht nach der beste Schutz für Kinder? Strengere Gesetze?

Ponseti: Das Arsenal an Sanktionen ist schon sehr ausgeprägt. Sexueller Kindermissbrauch wird zumeist sehr strikt bestraft. Daher ist es zusätzlich wichtig, die Kinder zu schützen. Stichwort: Kinder stark machen. Und es muss versucht werden, dieses knapp eine Prozent der männlichen Bevölkerung mit Präventionsmaßnahmen zu erreichen, um Übergriffe zu vermeiden.

"Übergriffe im familiären Nahbereich"

tagesschau.de: Wo finden denn die meisten sexuellen Übergriffe statt?

Ponseti: Im familiären Nahraum gibt es die meisten. Dies ist für die Prognose, ob die Täter wieder rückfällig werden, auch sehr wichtig: Wie lange kannte er das Opfer schon? Wenn er es nur kurz kannte, ist die Rückfallwahrscheinlichkeit höher, als wenn der sexuelle Missbrauch in einer ganz bestimmten Konstellation stattfand. Bemerkenswert ist dabei, dass viele Fälle von Kindesmissbrauch nicht von Pädophilen begangen werden. Viele Ersttäter sind sogenannte Ersatztäter, die nicht pädophil sind. Bei Mehrfachtätern ist hingegen ziemlich klar, dass sie aus pädophilen Motiven handeln.

tagesschau.de: Hat sich das Problem Pädophilie und Kinderpornografie durch das Internet verschärft - oder ist es nur sichtbarer geworden?

Ponseti: Die Aufmerksamkeit hat sich vervielfacht. Sie steht aber nicht in Relation zur tatsächlichen Bedrohungslage für Kinder. Kindesmisshandlungen gibt es etwa zehnmal so oft wie Kindesmissbrauch. In Deutschland werden pro Jahr ein bis zwei Kinder aus sexuellen Motiven getötet, aber etwa 100 aus nicht-sexuellen Motiven. Die mediale Aufmerksamkeit ist überproportional.

tagesschau.de: War die Aufmerksamkeit nicht schon immer sehr groß für dieses Thema?

Ponseti: Bis in die 1970er-Jahre hat man sich mit den angeblichen Problemen durch Homosexualität beschäftigt. Erst nach der sexuellen Revolution Ende der 1960er-Jahre wurden Vergewaltigungen und dann auch Kindesmissbrauch stärker thematisiert - insbesondere von feministischer Seite.

tagesschau.de: Wie entwickelt sich denn die Zahl der Fälle von Kindesmissbrauch?

Ponseti: Es gibt einige Deliktarten, die in Krisenzeiten sprunghaft zunehmen. Das ist beim Kindesmissbrauch nicht der Fall. Hier gibt es eine konstante Entwicklung und überhaupt keine Zunahme. Einige Untersuchungen stellen sogar einen deutlichen Rückgang der Häufigkeit von sexuellem Kindesmissbrauchs in Deutschland fest.

tagesschau.de: Was raten Sie Menschen, die glauben, pädophil zu sein?

Ponseti: Sie sollten sich professionelle Hilfe suchen, um erst einmal festzustellen, ob sie pädophil sind. Und falls sie es wirklich sind, sollten diese Männer therapeutische Unterstützung bekommen. Denn es ist sehr schwierig, mit einer sexuellen Neigung zu leben, die nicht ausgelebt werden darf.

Das Interview führte Patrick Gensing, tagesschau.de