"PEGIDA"-Demonstrationen in Dresden "Wir sollten Hysterie vermeiden"
Wer sind die Anhänger der "PEGIDA"-Proteste? Nicht alle von ihnen sollte man in die rechte Ecke stellen, meint Bürgerrechtler Frank Richter. Im tagesschau.de-Interview erklärt er, warum sie auf die Straße gehen und wie man dem begegnet.
tagesschau.de: Auch heute wollen in Dresden wieder zehntausend Anhänger der islamkritischen "PEGIDA"-Bewegung auf die Straße gehen. Was sind das für Menschen, die da demonstrieren?
Frank Richter: Ich sehe im Wesentlichen vier Gruppen: Es sind Hooligans und NPD-Anhänger darunter, beides dürften aber zahlenmäßig nicht so sehr viele sein. Die dritte Gruppe sind im guten Sinne des Wortes besorgte Bürger, die ernsthafte Fragen haben. Die sich um ihre Kultur und Tradition sorgen und bestimmte Asylrechtsentscheidungen nicht nachvollziehen können. Die vierte Gruppe sind die, die sich ganz allgemein zu den Verlierern der Gesellschaft zählen, die Transformationsverlierer nach der Wende. Ich habe oft in Gesprächen gehört: Um die Flüchtlinge und Asylbewerber kümmert sich der Staat, um uns kümmert sich niemand.
Frank Richter ist Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung. Als katholischer Pfarrer und Bürgerrechtler war er 1989 in Dresden aktiv an den Protesten gegen das DDR-Regime beteiligt.
tagesschau.de: Es sind also nicht in erster Linie Rechtsradikale, die da demonstrieren?
Richter: Schnelle Kategorisierungen bringen uns nicht weiter. Aber man darf nicht naiv sein, natürlich marschieren da Rechtsextreme mit, die die Bewegung instrumentalisieren. Aber Pegida in Gänze als rechts zu bezeichnen, wird der Sache nicht gerecht.
Fehlen jungen Männern die Ideale?
tagesschau.de: Unter den "besorgten Bürger", die sie nennen, sind auch Mittelständler, Geschäftsführer, Menschen aus der bürgerlichen Mitte, denen es gut geht. Was bewegt sie, da mit zu demonstrieren?
Richter: Wir haben darüber noch keine belastbaren, wissenschaftlichen Erkenntnisse, sondern nur Eindrücke. Ich erkenne einen deutlichen Unmut. Die Menschen empfinden sich als Leistungsträger der Gesellschaft, die hart arbeiten, Steuern zahlen und sich in den letzten 25 Jahren etwas aufgebaut haben. Jetzt kommen Menschen von überall her nach Deutschland und das verstehen viele nicht. Syrische Kriegsflüchtlinge akzeptieren sie zwar, aber für alleinreisende junge Tunesier beispielsweise haben sie wenig Verständnis.
Mir ist zudem aufgefallen, dass etwa 70 Prozent der Demonstrationsteilnehmer Männer sind, vor allem junge Männer. Da frage ich mich, ob eine Erklärung nicht auch sein könnte, dass junge Männer Ideale brauchen, für die sie sich begeistern und kämpfen können. Vielleicht haben wir da eine Leerstelle.
tagesschau.de: Dennoch schwingen bei diesen Demonstrationen klar fremdenfeindliche Haltungen mit. Schon die Parole "Wir sind das Volk" signalisiert in diesem Zusammenhang doch Abgrenzung und meint: Wir - nicht ihr.
Richter: Dieser Ruf stammt ja aus dem Jahr 1989. Damals brachten die Menschen damit zum Ausdruck: 'Ihr, die ihr unser Land regiert, versteht uns nicht, ihr vertretet nicht unsere Interessen, wir tun das jetzt selbst.' Wenn dieser Ruf heute auf den Straßen ertönt, gibt er sicherlich ein ähnliches Gefühl wider, das muss der Politik zu denken geben. Ich würde das nicht vorschnell diskreditieren und erkenne darin noch nicht per se etwas Ausgrenzendes oder Ausländerfeindliches.
"Lassen sich von Rechtsradikalen instrumentalisieren"
tagesschau.de: Es gibt aber auch eindeutig ausländerfeindliche Parolen bei diesen Demonstrationen und diejenigen, die da mitlaufen, grenzen sich dagegen zumindest nicht erkennbar ab.
Richter: Die ausländerfeindlichen Äußerungen und die Tatsache, dass Rechtsextremisten sich dieser Bewegung annehmen, ist besorgniserregend, keine Frage. Jeder, der da mitgeht, muss sich fragen, ob er sich von Rechtsextremisten instrumentalisieren lassen will. Andererseits dürfen wir, die wir uns täglich mit Politik beschäftigen, diese Menschen nicht von vornherein abkanzeln und jeden, der diesen Zusammenhang vielleicht nicht in Gänze versteht, sofort in eine Schublade mit Rechtsextremisten stecken. Dann beginnen wir neue Ausgrenzungen, die dieses Land nicht braucht.
tagesschau.de: Warum hat "PEGIDA" gerade in Dresden so großen Zulauf?
Richter: Ich halte "PEGIDA" für ein gesamtdeutsches Phänomen, vielleicht sogar für ein europäisches. Denn bestimmte Muster, die wir auch aus anderen Ländern kennen, finden sich hier wieder, wie den Nationalismus und die Abgrenzung des Abendlandes gegen andere Kulturen.
Aber insbesondere die Stadt Dresden bietet der Bewegung bestimmte Anknüpfungspunkte: Es gibt hier eine bestimmte Tradition rund um den 13. Februar, den Tag der Zerstörung Dresdens im Jahre 1945. Da erleben wir jährlich Demonstrationen und den geschichtspolitischen Missbrauch dieses Datums von Rechtsextremisten. Und insgesamt ist die sogenannte rechtsextreme Belastungsquote in Dresden relativ hoch. Gleichzeitig spielt natürlich der Osten eine Rolle.
"Wenig Erfahrungen mit Menschen anderer Kulturen"
tagesschau.de: Inwiefern? In Sachsen liegt der Ausländeranteil bei weniger als drei Prozent?
Richter: Die Menschen im Osten haben sehr wenige Erfahrungen mit Menschen anderer Kulturen und anderer Religionen. Da entstehen Ängste umso leichter. Die Bevölkerung antizipiert durch ihre Proteste eine Problemwelle, die vermeintlich auf sie zukommt. Außerdem sehen die Sachsen ja, wie es in Kreuzberg oder in einigen Ruhrgebietsstädten aussieht. Sie befürchten jetzt, dass ähnliche Zustände in Sachsen drohen.
tagesschau.de: Hat die Politik versäumt, rechtzeitig gegenzusteuern?
Richter: Die Politik hat bislang noch viel zu wenig erklärt, was Zuwanderung für unser Land bedeutet. Die Menschen wollen wissen, warum es Einwanderung braucht, wie sich das Land verändern wird, wenn viele Kulturen und Ethnien zusammenleben. Ich habe viele Gesprächsrunden in kleinen Orten erlebt, bei denen die Menschen durchaus bereit waren, Flüchtlinge aufzunehmen. Sie machen sich aber Gedanken, welche Zahl von Flüchtlingen sie aufnehmen können, die für ihr Gemeinwesen verkraftbar ist.
tagesschau.de: Wie sollte man dem Phänomen "PEGIDA" jetzt begegnen? Es mehren sich Stimmen von Politikern, die den Dialog suchen wollen.
Richter: Das ist sicherlich der richtige Weg. Wir sollten Hysterie vermeiden und genauer hinschauen, welche Motive die Menschen auf die Straße treiben. Das gelingt nur, wenn wir uns dem Phänomen unbefangen nähern, auch wenn es uns nicht gefällt. Aber die schnelle Stigmatisierung hilft niemandem.
Desweiteren müssen wir Plattformen für einen offenen und konstruktiven Dialog mit "PEGIDA"-Demonstranten schaffen. Erst dann können wir genau identifizieren, mit wem wir nicht weiter sprechen wollen, weil er sich im extremistischen Bereich befindet, und mit wem wir uns tiefgehender auseinandersetzen müssen. Eine so große politische Gruppierung muss in den politischen Diskurs eingebunden werden. Wenn sie am Rand bleibt, radikalisiert sie sich möglicherweise und das müssen wir verhindern.
Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de