Interview

Die Piraten und die Politik "Demokratie ist mehr als ein paar Klicks"

Stand: 25.04.2012 05:08 Uhr

Umstrittene Äußerungen zur NSDAP, verquere historische Vergleiche: Sind das nur naive Äußerungen oder driften die Piraten nach rechts? Diese Gefahr sieht Demokratieforscher Samuel Salzborn. Im Gespräch mit tagesschau.de betont er, vielen Piraten fehle historisches Bewusstsein, und sie hätten ein technisches Demokratieverständnis.

tagesschau.de: Die Piraten sorgen mit Äußerungen zum Nationalsozialismus für Empörung. Hat die Partei ein ungeklärtes Verhältnis zur deutschen Vergangenheit?

Samuel Salzborn: Ich würde es nicht als ungeklärtes, sondern als ein sehr problematisches Verhältnis zum Nationalsozialismus und zu rechtsextremen Positionen bezeichnen. Bei vielen Mitgliedern der Partei fehlt ein Bewusstsein über den historisch-politischen Kontext des Handelns. Dementsprechend gibt es keine Sensibilität für den Umgang mit NS-Vergleichen.

Außerdem gibt es in der Partei derzeit ein ganzes Sammelsurium an Strömungen und Meinungen - eben auch aus dem rechten Rand. Deswegen muss die Partei dringend ihr Verhältnis zu rechtsextremen Positionen klären. Dazu gehört die Frage, welche Positionen in der Partei Platz haben und welche nicht.

"Auch die Grünen hatten es mit rechten Strömungen zu tun"

tagesschau.de: Der Berliner Fraktionschef Hartmut Semken kehrt das Ganze um. Er sagt, die Ausgrenzung von Meinungen gehöre zum rechten Gedankengut. Ist das richtig?

Salzborn: Das ist Blödsinn. Eine Partei muss zeigen, wo sie inhaltlich steht und was die politische Leitlinie ist. Bei den Piraten ist derzeit noch völlig unklar: Wollen sie sich eher im liberalen Spektrum verorten - wofür einiges spricht - oder gewinnen die rechtspopulistischen Strömungen an Einfluss? Bei den Grünen gab es übrigens in der Anfangsphase ähnliche Auseinandersetzungen. Dort  gab es eine ganze Reihe brauner Ökologen, die erst nach und nach aus der Partei ausgeschieden sind. Das gehört zum Selbstfindungsprozess einer Partei.

Die Piraten haben es allerdings dabei mit einer Paradoxie zu tun: Die Transparenz, die sie fordern und wollen, führt dazu, dass ein interner Klärungsprozess gar nicht in Ruhe stattfinden kann, weil alles gleich öffentlich stattfindet.

tagesschau.de: Die Grünen hatten von Anfang an Inhalte wie Ökologie, Frieden, Emanzipation. Bei den Piraten sucht man diese Inhalte bisher vergebens. Geht es den Piraten gar nicht um inhaltliche Positionen, sondern um eine neue Form von Politik und demokratischer Meinungsbildung?

Salzborn: Einige Piraten mögen das so sehen. Unser Rechtssystem bestimmt aber nun mal ganz eindeutig, welche Funktionen und Aufgaben politische Parteien haben. Wenn die Piraten sich dem nicht beugen, dann sind sie keine Partei. Dann sollten sie sich fragen, ob sie nicht besser andere Organisations- und Aktionsformen wählen. Wenn sie sich als Partei etablieren wollen, dann müssen sie sich ins politische System integrieren. Dazu gehört ein Parteiprogramm, dazu gehören auch zwingend Inhalte. Die Piraten kokettieren derzeit damit, zu diesem und jenem Thema nichts sagen zu können, das wirkt für viele charmant. De facto blendet diese Haltung aber die politische Ordnung der Bundesrepublik aus.

tagesschau.de: Die potentiellen Wähler scheint dies nicht zu stören. Laut jüngster Umfrage gewinnen die Piraten erneut dazu - trotz der umstrittenen Vergleiche mit der NSDAP. Woran liegt das? 

Salzborn: Die Frage, die sich auch die Piraten selbst stellen müssen, ist: Wird die Partei trotz dieser Äußerungen gewählt oder vielleicht gerade wegen dieser Äußerungen? Ist sie also eine Partei, die im rechtspopulistischen Spektrum Zuspruch findet? Wenn die  Piraten ihr inhaltliches Profil schärfen, werden sie einige Wähler fester an sich binden, andere wieder verlieren. Wenn sie inhaltlich diffus bleiben, werden die Piraten über kurz oder lang wieder von der politischen Bildfläche verschwinden.

Die Kehrseite des Internets

tagesschau.de: Eine zentrale Position der Piraten ist: Jeder darf zu jeder Zeit im Netz mitreden. Ist das quasi die Vollendung der Demokratie?

Salzborn: Das Internet ist lediglich ein technisches Hilfsmittel. Man kann im Internet viele Demokratie unterstützende Dinge organisieren wie Online-Petitionen, Abstimmungsverfahren, Wissensbeschaffung. Andererseits ist das Internet gefährlich für die Demokratie. Denn es ist eine Plattform für Menschen, die sich für Fakten gar nicht so sehr interessieren, sondern sich polemisch und denunziatorisch verhalten.

Beschimpfungen, Vorurteile, die Verbreitung von Gerüchten - das sind die großen Fallstricke des Internets. Damit muss sich auch die Politik stärker auseinandersetzen. Die Anonymität im Netz, die diese Beschimpfungen ja erst ermöglicht, ist besonders reizvoll für Menschen, die für ihr eigenes Handeln und ihre Äußerungen nicht verantwortlich sein wollen. Das Internet bestärkt diese Form der Feigheit. Zur Demokratie gehört aber, Verantwortung zu übernehmen für das, was man will und tut. Man kann nur demokratisch streiten, wenn man den Anderen in seiner Integrität respektiert.

Das Internet setzt ein hohes Maß von Bildung und Verantwortung voraus, um mit diesem Medium umgehen zu können. Dann allerdings ist es ein echter Zugewinn von Demokratie. 

"Demokratie ist mehr als Klicks und Zustimmungswerte"

tagesschau.de:  Die Piraten setzen bei ihren Meinungsbildungsprozessen auf "liquid feedback" - die interaktive Demokratie. Wie basisdemokratisch ist das?

Salzborn: Ich bin ein wenig vorsichtig, Begriffe wie Demokratie mit einer Technik oder einer Software in Verbindung zu bringen. Meinungsbildungsprozesse lassen sich nicht auf Klicks und Zustimmungswerte reduzieren. Zur demokratischen Kultur gehören Diskussionsprozesse, der Austausch von Fakten, das Austarieren von Interessenskonflikten. Bei den Piraten sehe ich die Gefahr, dass die Technik im Vordergrund steht und die demokratischen Prozesse in den Hintergrund geraten. Das muss die Partei noch für sich klären.

tagesschau.de:  Wo wird die Partei am Ende ihres Findungsprozesses stehen? 

Salzborn: Das ist eine spannende Frage. Ich sehe ein großes Potential im Spektrum des politischen Liberalismus. Dort ist ein Vakuum, das die FDP nicht mehr ausfüllt und auch die Grünen nur sehr bedingt ansprechen. Oder sie orientieren sich nach rechts. Dort konkurrieren sie dann mit anderen Parteien. Wohin die Reise geht, ist meiner Meinung nach noch offen.

Das Interview führte Simone von Stosch, tagesschau.de.