Interview

Medienrechtler gegen Vorführverbot "Rechtlich und politisch heikel"

Stand: 17.09.2012 16:07 Uhr

Die Aufführung des umstrittenen Mohammed-Videos zu verbieten, hält der Medienrechtler Schwartmann für den falschen Weg. Der Staat dürfe sich nicht erpressbar machen, warnt Schwartmann im Interview mit tagesschau.de. Statt vorschnell zu handeln, seien in Ruhe Grundrechte gegeneinander abzuwägen.

tagesschau.de: Deutsche Politiker diskutieren die Frage, ob eine Aufführung des Mohammed-Videos verboten werden soll. Inwieweit ließe sich ein solches Verbot juristisch begründen?

Rolf Schwartmann: Ein Verbot juristisch zu begründen, bedarf schon einiger Anstrengung. Denn im Artikel 5 des Grundgesetzes steht: "Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten." Dort steht aber auch: "Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre." Das heißt, dass Meinungsfreiheit und Informationsfreiheit auf der einen sowie die Persönlichkeitsrechte auf der anderen Seite gegeneinander abzuwägen sind. Ganz zentral ist an dieser Stelle auch Artikel 4, der die Freiheit des Glaubens und die ungestörte Religionsausübung normiert.

Mohammed Islam Video Verbot Aufführung "Rolf Schwartmann" "Kölner Forschungsstelle für Medienrecht"

Seit 2006 leitet Prof. Rolf Schwartmann die Kölner Forschungsstelle für Medienrecht. An der Fachhochschule Köln unterrichtet der Jurist vor allem internationales und öffentliches Wirtschaftsrecht. Schwartmann ist einer der Veranstalter des Kölner Mediensymposiums, das jährlich stattfindet.

Keine Zensur

tagesschau.de: Wer kann ein solches Verbot aussprechen? Und welche Schritte müssten bis dahin erfolgen?

Schwartmann: Wenn es darum geht, Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung zu verhindern, ist erstmal die Polizei gefragt. Sie kann ein Aufführungsverbot aussprechen. Das müsste bei einer Klage gegen die Entscheidung von einem Gericht überprüft werden. Wer klagt, müsste geltend machen, in einem seiner Rechte aus Artikel 5 gegenüber der Religionsausübungsfreiheit zu Unrecht eingeschränkt zu sein.

Sollte der Richter das Verbot bestätigen, handelte es sich dabei im klassischen Rechtssinne übrigens nicht um Zensur. Zensur ist definiert als der staatliche Eingriff im Vorfeld einer Meinungsäußerung. In unserem Fall würde es sich um eine staatliche Unterbindung einer Meinungsäußerung handeln, nachdem sie getroffen worden ist. So wie eine Redaktion sich gegen die Ausstrahlung eines Inhalts entscheidet, weil er jugendgefährdend ist und stattdessen ein Piepen sendet oder die Szene raus schneidet. Das ist eben keine Zensur, sondern eine redaktionelle Bearbeitung. Eine Redaktion muss ja den Jugendschutz und die Einhaltung rechtlicher Vorschriften auch sicherstellen.

Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland

Das Grundgesetz garantiert das Recht auf Meinungs- und auf Religionsfreiheit.

Peter Steffe, P. Steffe ARD Kairo, 17.09.2012 13:58 Uhr

Präsenzöffentlichkeit vs weltweite Verfügbarkeit

tagesschau.de: Wie würde ein Verstoß gegen ein Aufführungsverbot geahndet werden?

Schwartmann: Wer gegen eine solche Maßnahmen verstieße, müsste gegebenenfalls ein Bußgeld zahlen.

tagesschau.de: Ab wann ist der Tatbestand einer öffentlichen Aufführung erfüllt? Gibt es so etwas wie eine „Mindestteilnehmerzahl“?

Schwartmann: Es gibt im Versammlungsrecht einen wenig sinnvollen Streit, ob zwei oder drei Personen reichen. Öffentlich ist die Versammlung, wenn sie für jedermann zugänglich und nicht auf einen individuellen Personenkreis beschränkt ist. Wichtiger ist der Wille, sich zu einem bestimmten Zweck zu versammeln. Von Bedeutung scheint mir aber hier zu sein, wo und wie die Veranstaltung abläuft. Das Internet ist eine größere Bühne als ein Kino oder ein Marktplatz. Für diese Differenzierung haben wir aber noch keine rechtlichen Standards. Hier stehen sich Präsenzöffentlichkeit und weltweite Verfügbarkeit gegenüber. Das wäre aber kein Problem des Versammlungsrechts, sondern des Telemedienrechts: Inwieweit kann hier Einfluss auf Provider genommen werden, etwa durch eine Sperrverfügung?

Schwierige Entscheidung

tagesschau.de: Halten Sie ein Aufführungsverbot für sinnvoll?

Schwartmann: Zum gegenwärtigen Zeitpunkt halte ich ein solches Verbot für rechtlich problematisch. Der Staat würde sich in gewisser Weise Gewaltandrohungen und Gewaltaktivitäten beugen. Was die Entscheidung aber so schwer macht, ist die Tatsache, dass von ihr unter Umständen Menschenleben abhängen. Aber dennoch: Ich denke, ein Aufführungsverbot ist rechtlich, tatsächlich und politisch heikel. Denn mittel- und langfristig würde der Staat sich erpressbar machen, wenn er auf jeden gewaltsamen Protest nach einer Meinungsäußerung im Internet reagiert, indem er die Meinungsäußerung verhindert. Womöglich würde eine solche Meinungsäußerung dann auch als Mittel zum Zweck missbraucht und inszeniert, wie auch dann der Protest dagegen. Unser Verfassungsgericht spricht sich im Zweifel für die freie Rede aus.

Ich persönliche verabscheue das Video und verstehe das Sicherheitsbedürfnis des Innen- wie das des Außenministers. Ich erkenne auch deren Motivation voller Respekt und Pietät. Aber rechtsstaatlich gesehen muss der Staat darauf Acht geben, sich nicht zu vorschnellem Handeln hinreißen zu lassen. Wir brauchen trotz Internet Zeit für eine Grundrechtsabwägung.

Das Interview führte Ute Welty, tagesschau.de