Interview

VDI-Expertin über Frauen in technischen Berufen Warum gibt es so wenig Ingenieurinnen, Frau Pageler?

Stand: 17.06.2008 17:11 Uhr

Bund, Wirtschaft und Wissenschaft möchten mehr Frauen zu naturwissenschaftlich-technischen Studien bewegen. Auch der Ingenieursverein VDI beteiligt sich daran. tagesschau.de sprach mit VDI-Expertin Pageler darüber, warum trotz Fachkräftemangels wenig Mädchen Ingenieurin werden wollen.

Eine Initiative von Bundesregierung, Wirtschaft und Wissenschaft möchte mehr Frauen zu einem naturwissenschaftlich-technischen Studium bewegen. Der Anteil von Studienanfängerinnen soll in den Bereichen Mathematik, Ingenieurs- und Naturwissenschaften und Technik (abgekürzt MINT) um durchschnittlich fünf Prozentpunkte steigen. Auch der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) gehört zur Initiative. Die VDI-Verantwortliche Pageler sprach mit tagesschau.de darüber, warum trotz Fachkräftemangels immer noch wenig Mädchen Ingenieurin werden.

tagesschau.de: Immer wieder warnt Ihr Verband, der Deutsche Ingenieur-Verein, vor Fachkräftemangel. Gleichzeitig gibt es in den technischen und naturwissenschaftlichen Berufen nur einen sehr geringen Frauenanteil. Was läuft da falsch?

Sylke Pageler: Wir warnen nicht nur vor dem Mangel - er ist da. Es gehen  zu wenig junge Menschen in die Ingenieursausbildung.

tagesschau.de: Mehr Frauen in die Ingenieurberufe – wäre das die Lösung?

Pageler: Das wäre wünschenswert. Hier müssen geeignete Maßnahmen eingeleitet werden, um die Mädchen frühzeitig für diese Berufe zu interessieren. Komplett gelöst wäre das Problem des Fachkräftemangels dann nicht. Es wäre ein guter Ansatz, er ist aber nur einer von vielen..

tagesschau.de: Warum ist der Anteil von Frauen dann immer noch so gering?

Pageler: Das liegt sicherlich daran, wie bei Schülerinnen Interessen geweckt und wie sie gefördert werden. Es hat auch damit zu tun, was ihnen  von der Gesellschaft vorgelebt wird: Den jungen Mädchen müssen Frauen vorgestellt werden, die in diesen Berufen tätig sind, um Ängste abzubauen.

tagesschau.de: Was tun Sie ganz konkret?

Pageler: Wir gehen in Schulen, verkörpern den Beruf, den wir ausüben und stellen uns den Fragen der jungen Mädchen zu unserem Beruf. Wir beantworten, wie unser Alltag aussieht, wo es manchmal vielleicht Probleme gibt und wie sie zu lösen sind.

Studie "Vereinbarkeit von Beruf, Karriere und Familie"
In der Studie des VDI gibt die Hälfte der befragten Ingenieure in Führungspositionen an, dass ihre Karrierepläne von ihren Kindern nicht beeinflusst werden. Von den Ingenieurinnen in Führungspositionen äußert sich nur jede Fünfte so. Die Mehrzahl der befragten Frauen wünscht sich weniger Überstunden und die Möglichkeit für Teilzeitarbeit.

tagesschau.de: Das Problem ist nicht neu: Warum ist der VDI dann bei der Bekämpfung bisher noch nicht erfolgreich?

Pageler: Ich würde nicht sagen, dass der VDI dort nicht erfolgreich ist. Es ist nicht nur eine Sache des VDI allein. Auch die Unternehmen und die Politik müssen mitziehen. Es ist ein ganzheitliches Problem, dass nicht nur einer allein lösen kann. Hier müssen mehrere Partner mitspielen, um etwas auf den Weg zu bringen.

tagesschau.de: Was können Unternehmen konkret tun?

Pageler: Unternehmen können Förderprogramme auflegen, die Frauen motivieren, in diese Branchen zu gehen. Sie können zeigen, dass Frauen in Führungspositionen gewünscht sind. Sie können vor allem zeigen, dass für beide Eltern Elternzeit möglich ist. Und der Wiedereinstieg muss gewünscht sein: Mit flexiblen Arbeitszeiten, reduzierten Vollzeitjobs und Home-Office-Plätzen müssen Möglichkeiten angeboten werden, Familie, Beruf und Karriere zu verbinden.

Wenige Frauen
Obwohl 56 Prozent der Abiturienten weiblich sind, ist die Frauenquote bei den Abgängern technischer und naturwissenschaftlicher Studiengänge im Europavergleich unterdurchschnittlich. Von den Hochschulabsolventen der Ingenieurwissenschaften sind in Deutschland nur 22 Prozent Frauen. Niedriger liegen nur Großbritannien (21 Prozent), Österreich (20), die Niederlande (16) und die Schweiz (15). Nach Angaben des Bundesbildungsministeriums beträgt der EU-Durchschnitt 27 Prozent. Auch im Bereich Mathematik und Informatik hat Deutschland mit einem Frauenanteil von 26 Prozent Nachholbedarf gegenüber dem EU-Schnitt von 29 Prozent. In Biowissenschaften, Physik und Agrarwissenschaften weisen nur Griechenland (47), die Niederlande (46) und die Schweiz (41) einen geringeren Frauenanteil aus. Der EU-Schnitt ist 54 Prozent. 2007 gab es 72.000 sozialversicherungspflichtig beschäftigte Ingenieurinnen. Das entspricht einem Anteil von 11 Prozent.

tagesschau.de: Ist es immer noch ein Problem, dass das Bild der männlichen Vollzeit-Führungskraft, der die Ehefrau den Rücken freihält, in den Unternehmen vorherrscht?

Pageler: Ja, es herrscht noch vor. Aber es beginnt zu bröckeln, da auch immer mehr männliche Führungskräfte den Wunsch äußern, mehr Zeit mit der Familie zu verbringen, um auch zu sehen, wie die Kinder aufwachsen.

tagesschau.de: Wer aus familiären Gründen um eine Teilzeitstelle bittet, hat aber oft genug noch Nachteile davon.

Pageler: Das Gute an einer Schwangerschaft ist ja, dass es einen sehr langen Planungszeitraum gibt. Wenn man das Unternehmen frühzeitig mit einbindet, hat man keine Nachteile davon. Natürlich müssen die Randbedingungen stimmen, es dürfen für das Unternehmen keine Nachteile entstehen. Aber wenn man sich frühzeitig darum kümmert, geht das. Bei kleinen Unternehmen sind das häufig Einzelabsprachen, während große Unternehmen das mit ihren Strukturen besser auffangen können.

tagesschau.de: Was hat sich in den letzten zehn, 15 Jahren verändert?

Pageler: Unternehmen sagen heute nicht mehr so leicht wie früher, wenn sie eine Frau einstellen: Da haben wir eine potenzielle Ausfallzeit durch eine Schwangerschaft. Es ist zwar noch in den Köpfen drin, aber ich würde jeder jungen Frau sagen, wenn sie in einem Vorstellungsgespräch mit der Frage nach eventueller Familienplanung konfrontiert wird – obwohl diese Frage  unzulässigist – offensiv zu sagen: „Ja, aber ich möchte wiederkommen.“  Unsere Studie zeigt: Wer länger als zwölf Monate draußen ist, für den wird es schwierig. Aber sie zeigt auch, dass Frauen heute meist eher in den Beruf zurückkommen. Sie haben ja Spaß an dem Fach, dass sie studiert haben, und möchten hinterher auch darin arbeiten – genauso wie Männer.

Das Interview führte Fiete Stegers, tagesschau.de