Kritik an Reform zum Sexualstrafrecht Juristin fordert klares "Ja" zum "Nein"
Vielen Parlamentariern geht die im Bundestag debattierte Verschärfung des Sexualstrafrechts nicht weit genug. Auch das Deutsche Institut für Menschenrechte übt Kritik: Ein Nein des Opfers müsse für die Strafbarkeit reichen, fordert Petra Follmar-Otto im Interview mit tagesschau.de.
tagesschau.de: Es ist Konsens, dass das Sexualstrafrecht überarbeitet werden muss. Ihnen aber geht der vorliegende Entwurf nicht weit genug. Warum nicht?
Petra Follmar-Otto: Der Entwurf verfolgt das absolut richtige Ziel, nämlich das sexuelle Selbstbestimmungsrecht umfassend zu schützen. Er bleibt aber auf halbem Weg stehen. Nach wie vor wird am alten Prinzip festgehalten, dass sich im Grundsatz ein Opfer gegen sexuelle Gewalt verteidigen muss. Nur dann ist das Verhalten des Täters strafbar.
Der Entwurf definiert zwar mehr Ausnahmen von diesem Prinzip als bisher, aber es bleiben eben Ausnahmen. Tatsächlich greift der Entwurf Situationen auf, die in der Vergangenheit zu Diskussionen geführt haben: Erfolgte der Übergriff überraschend? War das Opfer objektiv schutzlos? Hat sich das Opfer subjektiv schutzlos gefühlt? Im Zentrum steht aber immer noch nicht der erklärte Willen der betroffenen Person. Das hat zur Folge, dass es immer wieder strafwürdige Konstellationen geben wird, die durchs Raster fallen.
Die Juristin Petra Follmar-Otto leitet die Abteilung Menschenrechtspolitik Inland/Europa am Deutschen Institut für Menschenrechte. Zu ihren thematischen Schwerpunkten gehören Diskriminierungsschutz, Rechte von Migrantinnen und Migranten und moderne Formen der Sklaverei. Follmar-Otto gehört zu den Autoren einer DIMR-Stellungnahme zum jetzt debattierten Entwurf für eine Sexualstrafrechtsverschärfung.
tagesschau.de: Wie wird begründet, dass es nach wie vor ausschlaggebend ist, sich körperlich gegen einen Übergriff zu wehren? Warum reicht ein "Nein" weiterhin nicht aus?
Follmar-Otto: Warum der Schritt zum "Nein" nicht gegangen wurde, ist für uns nicht nachvollziehbar. Entsprechende Formulierungsvorschläge hat es unter anderem von unserer Seite oder vom Deutschen Juristinnenbund gegeben. Andere europäische Länder wie Österreich, Großbritannien oder Belgien sind diesen Schritt bereits gegangen. Daran hätte man sich orientieren können.
Angestoßen wurden zum Beispiel die Änderungen in Österreich durch die Istanbul-Konvention des Europarats, ein menschenrechtlicher Vertrag zum Schutz von Frauen vor Gewalt. Darin ist eben die Regelung enthalten, dass jede nicht einvernehmliche sexuelle Handlung unter Strafe gestellt werden soll. Ich bin zuversichtlich, dass auch Deutschland diesen Schritt noch gehen wird. So jedenfalls deute ich Erklärungen aus allen Fraktionen im Bundestag.
Die Istanbul-Konvention wurde 2011 ausgearbeitet und trat 2014 in Kraft. Der völkerrechtliche Vertrag schafft verbindliche Rechtsnormen gegen Gewalt an Frauen und häuslicher Gewalt. So ist vorgesehen, die Gleichstellung der Geschlechter in der Verfassung zu verankern, alle diskriminierenden Vorschriften abzuschaffen und Hilfsangebote für Frauen zu verbessern. Deutschland hat die Konvention des Europarates unterschrieben, aber bislang nicht ratifiziert.
"Die Diskussion ist noch nicht beendet"
tagesschau.de: Neben dem Bundestag beschäftigt sich auch der Bundesrat mit einer Verschärfung des Sexualstrafrechts. Hamburg, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz haben eine entsprechende Initiative eingebracht, die unter anderem sagt, dass ein "Nein" auch ein "Nein" bedeutet. Was versprechen Sie sich davon?
Follmar-Otto: Die Initiative zeigt uns, dass die Diskussion eben noch nicht beendet ist. Das und die entsprechenden Äußerungen aus dem Bundestag und aus der Regierungskoalition lassen den Schluss zu, dass wir im Rahmen des parlamentarischen Verfahrens der nächsten Monate zu einer entschlosseneren Änderung kommen. Und die lautet dann: "Nein" heißt "Nein".
tagesschau.de: Wie definiert man juristisch einwandfrei ein klares "Nein"?
Follmar-Otto: Der Straftatbestand muss auf den erklärten Willen einer Person abstellen oder darauf, dass offensichtlich ist, dass die betroffene Person mit der sexuellen Handlung nicht einverstanden ist. Das "Nein", die Ablehnung der sexuellen Handlungen, kann sowohl verbal, aber auch durch Gesten oder vielleicht durch Weinen ausgedrückt werden.
Ob eine Tat vor Gericht tatsächlich beweisbar ist, war und ist bei Sexualstraftaten kompliziert. Die meisten sexuellen Handlungen spielen sich zwischen zwei Menschen und ohne Zeugen ab. Da steht dann quasi Aussage gegen Aussage. Das kann aber im Umkehrschluss nicht heißen, dass man sich dieser Komplexität entzieht, indem man sie ausblendet und ein solches Verhalten von vornherein nicht unter Strafe stellt.
Köln und die Folgen
tagesschau.de: Die Diskussion über eine Verschärfung erreichte nach den Vorfällen der Silvesternacht in Köln eine breite Öffentlichkeit. Inwieweit hat das die politische Debatte vorangetrieben?
Follmar-Otto: Die politische Debatte läuft schon seit etwa zwei Jahren. Auch der jetzt vorliegende Entwurf liegt seit Mitte vergangenen Jahres vor, ist also nicht erst nach Köln entstanden. Was stimmt, ist, dass die öffentliche Diskussion über sexuelle Belästigung im öffentlichen Raum zugenommen hat.
Nach den Übergriffen in der Silvesternacht demonstrierten die Menschen gegen sexuelle Gewalt.
Das geltende Recht sieht eine sogenannte Erheblichkeitsschwelle vor und betrachtet bestimmte Formen sexueller Übergriffe, auch von körperlicher sexueller Belästigung, nicht unbedingt als strafwürdig. Über den umfassenden Schutz des sexuellen Selbstbestimmungsrechts in Deutschland zu diskutieren, halte ich auch unabhängig von den Kölner Vorfällen für ausnehmend wichtig. Sexualisierte Gewalt ist Realität in der deutschen Gesellschaft - durch alle Schichten und in allen Bevölkerungsgruppen.
Das Interview führte Ute Welty, tagesschau.de