Tschetschenen in Europa Sicherheitsrisiko im Exil
Mit einer Massenschlägerei im brandenburgischen Rheinsberg gerieten Tschetschenen in die Schlagzeilen. Wie zuvor in Dijon fürchten Vertreter der Tschetschenen in Europa um ihren Ruf und ihre Sicherheit.
Am Ende stand ein Schlichtungsgespräch: Im Beisein der Polizei und eines Dolmetschers sprachen Deutsche, Polen und Tschetschenen miteinander. Der Streit schien gelöst - am Samstag und Sonntag blieb es nach Aussage der Polizei ruhig im brandenburgischen Rheinsberg.
Doch beendet ist das Thema nicht. Am Montag nahmen mehr Medien das Thema "Massenschlägerei in Rheinsberg" auf. In sozialen Medien werden Bezüge zu den Ausschreitungen kürzlich in Stuttgart und Frankfurt sowie den Unruhen im französischen Dijon hergestellt. Das rechtsradikale Magazin "Compact" schrieb über "Vorboten eines Bürgerkriegs", während mehrere Medien Rheinsbergs Bürgermeister, Frank Schwochow von den "Freien Wählern", zitierten, der die Integrationspolitik des Landkreises für gescheitert erklärt hatte. Die NPD meldete eine Demonstration an. Auch Gegenprotest ist angekündigt.
Nach den Auseinandersetzungen wurden Demonstrationen in Rheinsberg angekündigt.
Ausgangspunkt war am Donnerstag ein Streit zwischen einem Polen und einem Tschetschenen, der in eine Prügelei ausartete. So berichtet es Selimchan Dokudajew vom deutsch-nordkaukasischen Kulturzentrum in Berlin. Später sei der Pole mit Landsleuten und Deutschen in drei, vier Autos zum Wohnheim im Neubauviertel am Stadion zurückgekommen. Die Massenschlägerei brach aus, bei der sieben Tschetschenen teils schwer verletzt wurden.
Die Zahl bestätigte Polizeisprecherin Ariane Feierbach. Die Polizei habe die Auseinandersetzungen beendet. Drei Polen und fünf Deutsche seien festgenommen und am Freitagmittag mangels Haftgründen wieder freigelassen worden.
Hilferuf über WhatsApp
Im Laufe des Freitag eröffnete ein Tschetschene aus dem Wohnheim eine WhatsApp-Gruppe und bat um Hilfe. Innerhalb weniger Stunden erreichte die Gruppe die höchstmögliche Zahl von 256 Mitgliedern, sagt Dokudajew. Er habe seinen Landsmann in Rheinsberg am Telefon gesagt, "Wir müssen das auf juristischem Wege klären. Wenn es zu einer Eskalation wie in Dijon kommt, wird das zu einem Problem für alle Tschetschenen. Wenn es Ärger mit der Polizei gibt, verlieren wir wieder." Das habe er auch in einer Sprachnachricht an die WhatsApp-Gruppe geschickt. Einige seien daraufhin aus der Gruppe ausgestiegen.
Eine größere Gruppe Tschetschenen fuhr jedoch am Freitagabend nach Rheinsberg. Feierbach beschreibt die Stimmung zu dieser Zeit als "feindselig". Die Polizei konnte aber eine erneute Konfrontation verhindern. Von 51 Tschetschenen nahm sie die Personalien auf und sprach Platzverweise aus.
Am Samstag dann organisierte die Polizei das Gespräch mit Polen, Deutschen und Tschetschenen, zu dem auch ein Vertreter eines tschetschenischen Vereins aus Berlin angereist war. Über das Ergebnis zeigte sich neben der Polizei auch ein Hausboot-Verleiher in Rheinsberg erleichtert, bei dem die Polen offenbar angestellt sind und der am Gespräch teilgenommen hatte. Wer angefangen habe, spiele keine Rolle mehr. Alle Unklarheiten mit den tschetschenischen Mitbürgern seien geklärt. "Wir wollen hier ein friedliches Miteinander", schrieb er auf Facebook.
Konflikte bestehen seit Langem
Auch Dokudajew habe sich bei der Polizei in Rheinsberg und in Neuruppin als Vermittler angeboten, doch habe er sich nicht ernst genommen gefühlt, sagt er. Die Tschetschenen in Rheinsberg hätten ihm zudem erzählt, dass sie sich bei Vorkommnissen mit der Polizei benachteiligt fühlten. Auf der Straße würden die Frauen beleidigt. Eckehard Maaß von der Deutsch-Kaukasischen Gesellschaft will einen rechtsextremen Hintergrund der Schlägerei nicht ausschließen.
Rheinsbergs Bürgermeister Schwochow beschwerte sich laut lokalen Medien über die Verantwortlichen des Landkreises, die nichts gegen seit langem bestehende Probleme unternehme. Bei ihm liefen Beschwerden auf, wenn Flüchtlinge auffällig würden. Allerdings handeln der Landkreis und die Polizei durchaus. So finden bei strafrechtlich relevanten Sachverhalten Gespräche statt - dies auch zum Asylstatus. In einigen Fällen wurden Tschetschenen in anderen Orten untergebracht.
Flucht vor Gewalt und Gefängnis
Eine Abschiebung nach Russland kann für viele geflüchtete Tschetschenen Gefängnis und Folter, für Frauen Gewalt in der eigenen Familie zur Folge haben. Tausende waren bereits während der zwei Tschetschenienkriege im russischen Nordkaukasus geflohen, weitere Tausende folgten angesichts der diktatorischen Politik von Präsident Ramsan Kadyrow.
Dokudajew schätzt, dass in Berlin und Brandenburg etwa 16.000, in Deutschland 50.000 und in ganz Europa 250.000 Tschetschenen leben. Viele fürchten, dass Auseinandersetzungen wie in Rheinsberg und Dijon ihrem Ruf schaden.
So setzten sich auch in Dijon Mitglieder der tschetschenischen Gemeinde für einen Stopp der Unruhen ein, wie Magomed Katijew sagt, der zu den wenigen Tschetschenen zählt, die in der ostfranzösischen Provinzstadt wohnen und eigentlich als gut integriert gelten. Mitte Juni war dort ein Streit zwischen Tschetschenen und Einwohnern nordafrikanischer Herkunft eskaliert, die mit Drogen handeln sollen. Die Unruhen dauerten vier Tage, ohne dass die Polizei die Lage im Griff hatte.
Misstrauen in den Staat
Polizeigewerkschafter Stéphane Ragonneau beschreibt, wie die zahlreichen nach Dijon gereisten Tschetschenen sehr gut, geradezu paramilitärisch organisiert, vorgegangen seien. Die Kennzeichen ihrer Autos hätten sie mit Klebeband verdeckt. Sowohl die Tschetschenen als auch ihre Gegner hätten Waffen dabei gehabt, die in den vergangenen Jahren hauptsächlich aus Osteuropa nach Frankreich gebracht worden seien.
Die Aktionen der Tschetschenen hätten sich aber nicht gegen die Polizei, sondern gegen Drogenhändler gerichtet, die auch den Behörden bekannt seien. Ragonneau zeigt prinzipiell Verständnis, dass Tschetschenen aus ihrer Heimat Misstrauen gegen den Staat mitbringen. Aber es sei in keiner Weise zu akzeptieren, wenn sie das Recht in ihre Hand nehmen wollten.
Zum Handeln ermächtigt sahen sich Tschetschenen in anderen französischen Städten wie Nizza und Toulouse, wo sie ihre Familien durch Drogenhandel und Kriminalität in ihren Vierteln gefährdet sahen. Hinzu kommt unter politisch aktiven Tschetschenen eine wachsende Furcht vor Verfolgung durch Kadyrow und russische Agenten, nachdem in den vergangenen Monaten drei seiner Gegner in Österreich, Frankreich und Deutschland getötet worden waren. Ein Blogger überlebte ein Attentat in Schweden.
Aber auch schon im Jahr 2015 war es im niedersächsischen Ort Celle zu Massenschlägereien zwischen Tschetschenen und Kurden gekommen. 2016 gab es in Österreich Auseinandersetzungen zwischen Tschetschenen und Afghanen. Inzwischen wachsen die Sorgen, dass solche Vorfälle auch provoziert werden könnten.
Plattformen wie WhatsApp, Instagram und Snapchat ermöglichen es den meist jungen Männern, sich innerhalb kürzester Zeit zu verabreden. Mitglieder der Ältestenräte können dann wie im Fall Rheinsberg nur noch versuchen, mäßigend einzugreifen.