Jugendkriminalität - Fragen und Antworten Gibt es wirklich immer mehr Straftaten durch Jugendliche?

Stand: 08.07.2008 11:11 Uhr

Der Überfall in München löste vor einem halben Jahr eine bundesweite Debatte über Jugendkriminalität aus. Vor allem nichtdeutschen Jugendlichen wird eine immer höhere Gewaltbereitschaft zugeschrieben. Nehmen die Straftaten von Jugendlichen wirklich zu? Welche Taten werden häufiger, welche weniger verübt? tagesschau.de hat Fragen und Antworten zusammengestellt.

Nehmen Straftaten durch Jugendliche zu?


Nein. Bis 1998 stieg die Zahl der tatverdächtigen Jugendlichen und Heranwachsenden nach der Polizeilichen Kriminalstatistik deutlich an. 300.000 Tatverdächtige zwischen 14 und 18 Jahren wurden damals registriert sowie rund 240.000 Heranwachsende zwischen 18 und 21 Jahren und 150.000 Kinder. 2007 war die Zahl der tatverdächtigen Jugendlichen auf knapp 280.000 gesunken, bei den Kindern unter 14 Jahren um ein Drittel auf rund 100.000. Bei den Heranwachsenden gab es kaum Veränderungen. Verurteilungen gibt es bei Jugendlichen und Heranwachsenden in 20 bis 30 Prozent der Fälle.

Welche Straftaten haben zu- und welche abgenommen?

Laut dem zweiten periodischen Sicherheitsbericht der Bundesregierung sank in den vergangenen Jahren die Zahl von Tötungsdelikten und Raubtaten. Dagegen gab es rund ein Drittel mehr Ermittlungen wegen Körperverletzung und mehr Drogendelikte. Bei letzteren geht es meist um Cannabis. Der Anstieg der Gewaltkriminalität wird auch durch die jüngste Polizeiliche Kriminalitätsstatistik aus dem Jahr 2007 bestätigt.

Wie groß ist die Dunkelziffer?

Im Jugendbereich ist die Dunkelziffer besonders hoch. Einige Straftaten werden heute häufiger angezeigt - auch beispielsweise von jugendlichen Opfern. Das heißt jedoch nicht, dass ihre Zahl gestiegen ist. Möglicherweise gibt es nur eine Verschiebung vom "Dunkelfeld" ins "Hellfeld", wie die Statistiker sagen. Die Taten kommen also "ans Licht".

Wie verlässlich ist die Statistik?

Die Kriminalstatistik erfasst vor allem Tatverdächtige, nicht Verurteilte. Eine gestiegene Aufklärungsquote führt beispielsweise zu mehr Tatverdächtigen. Zusammen mit den Daten aus Studien, Jugendbehörden und Schulen kann man allerdings immer bessere Aussagen über Jugendkriminalität machen.

Begehen Jugendliche mehr Straftaten als Erwachsene?

Ja. Gut 12 Prozent aller Tatverdächtigen sind Jugendliche. An der Bevölkerung in Deutschland haben sie aber nur einen Anteil von rund fünf Prozent.

Sind Straftaten typisch für eine jugendliche Phase?

Ja, das ist "normal". Ab einem Alter von zehn bis zwölf Jahren steigt die Quote der Tatverdächtigen in allen vergleichbaren Ländern an. Mit 17 bis 18 Jahren erreicht sie ihren Höhepunkt, ab 20 sinkt sie wieder. Die Straftaten sind meist leichte Delikte. 90 Prozent aller männlichen Jugendlichen haben laut Umfragen einmal Straftaten begangen.

Wer begeht welche Delikte?

Die Regel ist: Je jünger desto leichter das Delikt. Ladendiebstahl, Schwarzfahren oder Sachbeschädigung werden Kindern und Jugendlichen vorwiegend zur Last gelegt. In rund einem Viertel aller Fälle wird wegen Körperverletzung ermittelt.

Werden vor allem Ältere Opfer von Jugendkriminalität?

Nein. Die meisten Taten richten sich gegen Gleichaltrige. Nach einer Detailanalyse der Kriminalstatistik in Baden-Württemberg von 2002 waren knapp 60 Prozent der Opfer in den untersuchten Fällen von 14- bis 21-jährigen Tätern im gleichen Alter. Bedeutend häufiger werden Kinder und Jugendliche Opfer von erwachsenen Tätern.

Gibt es einen Unterschied zwischen Jungen und Mädchen?

Ja. Vereinfacht gesagt: Geklaut wird in sehr jungen Jahren von Jungen wie Mädchen gleichermaßen. Männliche Jugendliche begehen aber grundsätzlich deutlich mehr Gewalttaten, mit zunehmendem Alter steigt der Abstand zudem noch an.

Wer fällt unter das Jugendstrafrecht?
Wer fällt unter das Jugendstrafrecht? Kinder unter 14 Jahren sind nicht strafmündig, danach gilt das Jugendstrafrecht. Gerichtsverfahren werden danach von einem speziellen Jugendrichter geführt. Auch Verfahren gegen Heranwachsende 18 und 21 Jahren werden grundsätzlich vor Jugendgerichten geführt. Dabei müssen die Richter die Reife des Angeklagten beurteilen und entscheiden, ob er noch unter das Jugendstrafrecht fällt.

Welche Rolle spielt die "Clique"?

Eine große. Der britische Autor Mark Warr hat es so ausgedrückt: "Der beste Faktor zur Vorhersage für kriminelles Verhalten ist die Zahl von straffällig gewordenen Freunden, die ein Mensch hat." Gewalt und Straftaten finden sich vor allem in Cliquen, in denen sich Jugendliche aus sozial schwierigen Verhältnissen zusammentun. Auch die Schulklasse ist übrigens eine Clique. Vom Verhalten der Mitschüler hängt beispielsweise auch ab, ob ein Jugendlicher seine "Täterrolle" weiter spielen kann.

Nimmt die Gewalt an den Schulen zu?

Verschärfte Meldepflichten, eine höhere Aufmerksamkeit von Behörden und Öffentlichkeit bringen zwar mehr Fälle ans Licht. Dennoch sank die Zahl der polizeilich ermittelten Straftaten an Schulen. Bundesweite Untersuchungen fehlen, einzelne Studien zeigen aber einen "allmählichen Rückgang" von Gewalt an Schulen.

Sind die Jugendlichen gewalttätiger geworden?

Trotz einer gestiegenen Zahl von Körperverletzungen legen Untersuchungen eher das Gegenteil nah. Zwar gibt es Unterschiede in den Regionen, aber die Tendenz zur Gewaltbereitschaft scheint zu sinken. Studien 2002 und 2005 in Greifswald, Duisburg, Münster, München und Stuttgart zeigten das im Vergleich zu 1998. Die höhere Zahl von Tatverdächtigen bei Gewalttaten wie Körperverletzung wird von den Experten eher durch mehr Anzeigen in diesem Bereich und einem genaueres "Hinsehen" auch der Behörden erklärt.

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Fragen und Antworten wurden zusammengestellt von Wolfram Leytz, tagesschau.de