Ergebnis der Europawahl Die Jugend hat die Stimmung gedreht
Die Jugend verschiebt - vor allem mit "Fridays for Future" - die Machtverhältnisse in der Politik. Klimaschutz hat jetzt Dringlichkeit. Die Grünen müssen nun aber auch liefern.
Wer noch einmal sagt, die Jugend von heute sei ja so unpolitisch, dem bleibt dieser Satz in Zukunft im Halse stecken. Was war das gestern für eine Aufbruchstimmung! Staus in den Wahllokalen, auffällig viele junge Menschen, die da ihr Kreuz machen wollten. Viele nette Gespräche. Und fast eine feierliche Stimmung, auch unter den Wahlhelfern. Kein Vergleich zu mancher Europawahl in der Vergangenheit, zu denen sich nur ein paar tapfere Staatsbürger auf den Weg zur Urne machten.
Innerhalb von nur sechs Monaten hat die Bewegung "Fridays for Future" Unglaubliches bewegt. Sie hat die Stimmung in Deutschland gedreht und zwar so schnell, dass die großen Volksparteien gar nicht hinterhergekommen sind. Die Aufregung um das Video des YouTubers Rezo ist der beste Beweis dafür. Die 16 Jahre alte Schwedin Greta Thunberg hat eine Jugendbewegung angestoßen, die Wissenschaftler am ehesten mit den Protesten der 1968er vergleichen, wobei jene im Schnitt noch zehn Jahre älter waren als die Klimaaktivisten heute.
Jugend pusht das Thema Klimaschutz
Mit dieser Bewegung bekommt das Thema Klimaschutz endlich die Dringlichkeit, die ihm seit Jahren fehlt. Und zwar, weil es die jungen Menschen sind, die die Folgen der Klimaerwärmung ertragen müssen. Wenn sie sagen: Es ist unsere Zukunft, wenn im Jahr 2050 die Hitzesommer in Norddeutschland normal werden, wenn wir mit der Dürre und den Wetterkapriolen leben müssen, dann kann ein jetzt 50-Jähriger nicht mehr mitreden.
Gerade, weil sie die Spirale von Expertenmeinung, ökonomischen Interessen und populistischen Fakenews durchbrochen haben, kommen ihre Argumente auch bei ihren Eltern und Großeltern an. "Fridays for Future" hat viele Familien politisiert, nicht nur die Jugend. Dass sich das allerdings so schnell in Wahlergebnissen niederschlägt, damit hat wohl niemand gerechnet.
Politik wird erlebbar
Für einen Erstwähler in Deutschland ist das ein tolles Signal. Politik ist nicht mehr nur etwas für die Älteren. Politik wird erlebbar. Und auch die jetzt 20- bis 30-Jährigen schöpfen Hoffnung, dass ihre Themen endlich auf die Agenda kommen. Es wird auch Zeit: Die große Gruppe der Babyboomer, die jetzt langsam in Rente geht, besetzt alle wichtigen Posten in Politik, Wirtschaft und Verbänden. Dass sie nicht mehr wissen, was Jugendliche und junge Erwachsene bewegt, ist verständlich. Dass sie den jungen Menschen mit einer unglaublichen Arroganz begegnen, ist ein Fehler. Sie sollten sie nicht unterschätzen.
Die einzigen, von denen sich die jungen Wählerinnen und Wähler angesprochen und verstanden fühlen, sind derzeit die Grünen. Das liegt vor allem daran, dass sie dem üblichen Politiksprech noch nicht erlegen sind und dass Klima- und Umweltpolitik ihr ureigenstes Metier ist.
Grüne müssen jetzt liefern
Allerdings müssen jetzt auch die Grünen liefern. Ihr Erfolg wird sich daran zeigen, ob sie in Koalitionen an ihren Forderungen festhalten und sich nicht dem Diktat der ökonomischen Interessen und Hinweisen auf Arbeitsplätze in der Kohle- und Automobilindustrie beugen.
Klimawissenschaftler berichten schon seit längerem, dass sich die Stimmung in der Bevölkerung gedreht hat. Jetzt, heute, morgen, ist offenbar die Zeit, den Kampf gegen die Klimaerwärmung wirksam anzugehen. Noch können wir die Erderwärmung auf 1,5 Grad begrenzen, wir müssen es nur ernst meinen. Wir alle sollten uns diese wirklich historische Chance nicht entgehen lassen.