Kommentar zum NSU-Prozess Die missverstandene Mutter
Brigitte Böhnhardt, Mutter des mutmaßlichen Neonazi-Terroristen Uwe Böhnhardt, konnte als Zeugin im NSU-Prozess in den Augen der meisten Beobachter kaum etwas richtig machen. Dabei ist auch sie ein Opfer der Taten ihres Sohnes.
Was ist in den vergangen zwei Tagen nicht alles über Brigitte Böhnhardt gesagt und geschrieben worden: Wie verbittert sie sei. Wie sehr sie versuche, die Schuld für die Geschehnisse auf andere zu verlagern und wie angeblich wenig hilfreich ihre Aussage vor dem Münchner Oberlandesgericht für die Aufklärung der NSU-Taten gewesen sei.
Ich habe Frau Böhnhardt zwei Tage lang zugehört und ich kann viele dieser Aussagen nicht teilen. Denn sie verkennen das Recht von Brigitte Böhnhardt, das zu sein, was sie offenkundig ist: Eine Mutter, die ihren geliebten Sohn verloren und zuvor jahrelang darum gekämpft hat, ein entgleitendes Kind zu halten und wieder auf den richtigen Weg zu bringen. Eine Mutter, die schon einmal einen Sohn durch einen tragischen Unfall verloren hat - und die in der aufgeheizten Stimmung nach dem Entsetzen über die Taten des sogenannten NSU wohl keine Chance hatte, sich richtig zu verhalten.
Wer Brigitte Böhnhardt aufmerksam zugehört hat, hat neben den bitteren Worten über das verlorene Vertrauen in Polizei und Verfassungsschutz auch sehr ernste Sätze über ihre eigene Bewältigung gehört.
Ehrlich, aber nicht diplomatisch
Ich hatte dabei allerdings im Gerichtssaal mehrfach das Gefühl, dass manche Journalisten schon den Kopf über eine Aussage schüttelten, bevor Brigitte Böhnhardt ihre Gedanken zu Ende gebracht hatte. Zum Beispiel über den auf den ersten Blick anmaßend wirkenden Satz, niemand könne die Angehörigen der Mordopfer so gut verstehen wie sie.
Der Satz ist sicher nicht diplomatisch. Aber Brigitte Böhnhardt ist für die möglichen Taten ihres Sohnes auch nicht verantwortlich. Jemand, der selbst zwei Kinder verloren hat und sich mit der Vermutung konfrontiert sieht, dass der eigene Sohn zehn Menschen getötet hat, muss ebenso mit dem eigenen Schicksal klarkommen, wie die Angehörigen der Opfer.
Keine Chance in der modernen Medienwelt
Es gibt keinen Anhaltspunkt, dass Brigitte Böhnhardt so schwere Fehler in der Erziehung ihres Sohnes gemacht hat, dass man darin eine Förderung oder gar die Ursache für die Mordserie sehen könnte. Sie hat vieles versucht, ihrem Sohn zu helfen. Vielleicht zu viel.
Sie sagt selbst, dass er das Nesthäkchen war und sie auch zu Hause die Rolle der Lehrerin nicht hätte abstreifen können. Doch wie viele Eltern behandeln ihre Kinder ganz genau so, ohne dass aus ihnen Serienmörder werden? Brigitte Böhnhardt hat sich für die schnelllebige Medienwelt von heute ungeschickt verhalten. Sie hat viele Stunden gebraucht, bis sie Sätze des Mitgefühls und Mitleids für die Opfer geäußert hat. In vielen Medien war schon lange zu hören und zu lesen, dass sie kein Mitleid zeige, als diese Sätze von ihr kamen.
Nachvollziehbare Emotionen
Doch wer sie hörte, merkte, wie ambivalent die Gedanken von Frau Böhnhardt an diesem Punkt sind - und wohl zwangsläufig sein müssen. Zum Beispiel dieser Satz: "Ich kann die Trauer der Opfer nachvollziehen. Ich versuche auch zu trauern, aber wenn ich es versuche, steigt das Entsetzen in mir hoch." Oder der ganz offene Satz am späten Mittwochabend, als viele Journalisten und fast alle Zuschauer schon zu Hause waren, ob man verstehen könne, dass sie sich trotz aller Hinweise auf die Täterschaft ihres Sohnes an jeden Strohhalm klammere, dass er die Taten doch nicht begangen haben könnte?
Ich konnte diesen Satz einer Mutter völlig nachvollziehen. Er war schonungslos ehrlich. Man kann schlimme Schicksale nicht gegeneinander aufrechnen. Es macht keinen Sinn, sich darüber zu empören, dass die Mutter eines mutmaßlichen Mörders unter ihrer Situation leidet. Und es ist schlicht falsch, dass Brigitte Böhnhardt nichts zur Aufklärung beigetragen hat. Ihre Schilderungen von Beate Zschäpe waren aus erster Hand und so plastisch wie noch keine Beschreibung Zschäpes im Prozess.
Aussagen, die zur Verurteilung beitragen können
Und Zschäpe selbst schweigt. Die Aussage, sie habe als gleichberechtigt in dem Trio gewirkt, untermauert die Sichtweise der Anklage und dürfte im Fall einer Verurteilung im Urteil an herausgehobener Stelle wiederzufinden sein. Und nicht zuletzt die starken emotionalen Reaktionen von Beate Zschäpe, die mehrfach den Tränen nahe stand, zeigen, dass die Aussagen von Frau Böhnhardt in den vergangenen zwei Tagen das Gericht weitergebracht haben.
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