Interview zur Euro-Krise "Die Krise voll verkannt"
Wie schlägt sich Kanzlerin Merkel in der Euro-Krise? Die Bundesregierung zeige einen Mangel an finanzpolitischer Kompetenz, meint ARD-Korrespondent Krause im Interview mit tagesschau.de. Die Berliner Geschwätzigkeit sei Teil des Problems und mache die Krise noch teurer. Nötig sei eine klare Haltung.
tagesschau.de: Herr Krause, Deutschland hat bis vergangenen Freitag gefordert, private Gläubiger an der Rettung Griechenlands zu beteiligen. Nach einem Treffen von Kanzlerin Merkel mit Frankreichs Präsident Sarkozy und nach dem Treffen der Finanzminister wird die freiwillige Beteiligung in Frage gestellt. Hat Deutschland in dieser Frage verloren oder könnte sich Deutschland als größter Geldgeber in der EU am Ende doch noch durchsetzen?
Rolf-Dieter Krause: Das Problem ist, dass Deutschland nicht zum ersten Mal etwas ankündigt und verlangt, aber dann kommt es zu nichts. Merkel hat schon Verschiedenes gefordert. Erinnern Sie sich an die deutsche Forderung nach einer Befristung des Rettungsschirms. Jetzt gibt es den Rettungsschirm unter anderem Namen und unbefristet. Deutschland hat Verfahren zum Austritt aus der Euro-Zone gefordert, was nicht gekommen ist. Deutschland hat geordnete Verfahren für den Staatsbankrott gefordert, was nicht gekommen ist. Man kann diese Aufzählung noch sehr lange fortführen.
Auf die Finanzmärkte gehen davon verheerende Signale aus: Wenn das größte und wichtigste Land, der größte und wichtigste Spieler in der Euro-Zone, permanent Dinge in die Welt setzt, die nicht umgesetzt werden, dann trägt das nicht zum Vertrauen in die Politik bei.
Rolf-Dieter Krause leitet seit 2001 das ARD-Fernsehstudio in Brüssel. Bereits 1992 veröffentlichte der gebürtige Lüneburger sein Buch "Europa auf der Kippe: Vierzehn Argumente gegen den Vertrag von Maastricht". 2012 wurde er vom Medium Magazin als "Journalist des Jahres" ausgezeichnet. Er sei im Schicksalsjahr der Eurokrise zum Erklärer Europas geworden.
Erschreckende Berliner Geschwätzigkeit
tagesschau.de: Wie erklären Sie sich das Verhalten der Bundesregierung?
Krause: Ich habe das Gefühl, dass es einen Mangel an finanzpolitischer Kompetenz gibt, der mich geradezu erschreckt. Ich habe Finanzpolitik gelernt zu Zeiten des Finanzministers Stoltenberg und des Bundesbankpräsidenten Karl-Otto Pöhl. Damals wurde extrem sorgfältig formuliert und manchmal geschwiegen, auch über Geheimtreffen. Natürlich muss es die geben. Aber auch da wurde in Berlin die Vertraulichkeit durchbrochen.
Dass immer wieder aus Berlin undiszipliniert geschwatzt wird, ist erschreckend. Die Berliner Geschwätzigkeit ist ein ganz großer Teil des Problems und trägt dazu bei, dass die Sache immer teurer wird.
tagesschau.de: Fehlen Merkel Personen, mit denen sie sich beraten kann?
Krause: Wenn Sie Bundeskanzler sind, bekommen Sie jeden Gesprächspartner, den sie wollen. Es kann nicht an Beratern fehlen. Aber es ist aus meiner Sicht ein ganz schlimmer Fehler, dass permanent wichtige Fragen auf der Ebene der Regierungschefs behandelt werden. Das ist eine unselige Mode der Politik. Das können die gar nicht alles. Sie können nicht die Migration, die Außenpolitik und die Finanzpolitik allein regeln.
Dann kommt es zu dem, was wir heute haben: politische Orientierungslosigkeit. Weil es dann die Berater der jeweiligen Regierungs- oder Staatschefs sind, die das Geschäft betreiben. Es wird auf die Beamtenebene verlagert. Doch die Politiker müssten festlegen, was die wichtigen Ziele sind.
Der Euro ist zum größten Sprengsatz für die EU geworden
tagesschau.de: Wie wird Kanzlerin Merkel innerhalb der EU wahrgenommen?
Krause: Mein Eindruck ist, dass Deutschland irritiert und dass es nicht die Sicherheit ausstrahlt, die es als größtes EU-Land ausstrahlen sollte. Auch Europa braucht Anker. Da reicht Euro-Gruppen-Chef Jean-Claude Juncker, der luxemburgische Ministerpräsident, nicht - so gut er als Anker wäre. Dafür ist Luxemburg zu klein. Ein Anker, der einen großen Tanker halten soll, muss selbst groß sein.
tagesschau.de: Warum setzt sich Merkel nicht durch?
Krause: Berlin kann alles durchsetzen, wenn es will. Berlin ist der größte Zahler in der EU. Die Frage ist: Sind die Positionen gut gewesen? Sind sie richtig, weiterführend und zielführend gewesen und von einer europäischen Überzeugung getragen? Haben sie eine klare Priorität?
tagesschau.de: Welche Fehler hat die Bundesregierung Ihrer Meinung nach in der Euro-Krise noch begangen?
Krause: Sehr lange hat Berlin allein in der Kategorie von Strafen gedacht. Nach dem Motto: Wer bei den Schulden sündigt, der muss durch Strafen davon abgehalten werden oder eben dafür bestraft werden. Das war eine völlige Verkennung der Krise, in der wir uns befinden.
Uns droht dieser Laden um die Ohren zu fliegen. Der Euro, der eine Klammer für Europa sein sollte, ist der gefährlichste Sprengsatz für Europa geworden - ein Treppenwitz der Geschichte.
Man hat nicht den Eindruck, dass damit adäquat umgegangen wird. Übrigens nicht nur von Berlin. Es gibt auch noch andere Länder, die bei einer Krise des Ganzen immer noch sehr individuelle Ziele verfolgen und das ist auch nicht angemessen. Da ist Berlin in schlechter Gesellschaft, hebt sich aber auch nicht davon ab.
tagesschau.de: Sie meinen vor allem Frankreich?
Krause: Auch Frankreich. Es gibt auf allen Seiten kleinkarierte Länder. Es gibt Länder wie Holland, die schon gar nicht mehr die Euro zählen, sondern Cent, und nicht begreifen, dass Europa auch Investments wert ist. Länder wie die Slowakei glauben, sie bräuchten die Solidarität der EU nicht und verweigern jede Solidarität und begreifen Europa damit nicht.
Allerdings ist Solidarität manchmal auch eine sehr wohlfeile Umschreibung für die Absicht: Wir wollen an das deutsche Geld oder an das finnische oder holländische. Solidarität ist einerseits in meinen Augen nötig. Aber der Begriff wird auch missbraucht.
tagesschau.de: Wenn Sie die EU-Politik der Bundeskanzler der vergangenen Jahre vergleichen, würden Sie dann von einem großen Unterschied sprechen?
Krause: Es gab eine Generation von Kanzlern, die durch den Zweiten Weltkrieg und die Nachkriegszeit geprägt war. Für die war Europa etwas, was sie nicht lernen mussten, sondern das war für sie zentraler Überzeugungspunkt, Frieden zu wollen und nach Wegen dorthin zu suchen.
Es gab dann Gerhard Schröder, der sich vor seiner Kanzlerschaft sehr polemisch über Europa geäußert hat. Er hat dann sehr schnell gelernt und eine Menge dafür getan. Leider hat er auch einen großen Fehler begangen, indem er selbst einen Anteil daran hatte, den Euro-Stabilitätspakt aufzuweichen.
Frau Merkel hat eigentlich eine ganz gute deutsche EU-Ratspräsidentschaft hingelegt mit der Klimapolitik. Aber ihre Reden der vergangenen eineinhalb bis zwei Jahre vermitteln den Eindruck, dass sie nicht mehr viel Lust auf Europa hat und dass sie eigentlich nicht so recht etwas damit anzufangen weiß. Ihre Reden sind nicht falsch, aber sie sind sehr uninspiriert und zeigen keine Entwicklungsperspektiven auf. Problematisch ist dieses Erratische in Berlin, immer wieder Forderungen in die Welt zu setzen, aus denen nichts wird, weil man sie zum Teil selbst kassiert und nicht wirklich vertritt, auch nicht bereit ist, mit vollem Einsatz dafür zu kämpfen. Sie lässt das alles so laufen, und wie ich finde, manchmal sehr fahrlässig.
tagesschau.de: Sie wirken pessimistisch in Bezug auf die EU. Glauben Sie, dass die EU so bestehen wird oder wird sie auf längere Sicht auseinander treiben?
Krause: Vielleicht müssen wir eine richtige Krise haben und wirklich in den Abgrund gucken, um zu wissen, was wir an Europa haben. Wenn irgendjemand in Europa glaubt, dass wir unsere Interessen in der Welt gegen China, Indien, Brasilien, Russland, die USA durchsetzen könnten, indem jeder allein agiert, dann ist der ziemlich dumm. Politiker sollten bestraft werden, die die EU gegen die Wand laufen lassen würden. Ich gebe zu, im Moment gäbe es sehr viele Kandidaten für die Anklagebank.
Das Interview führte Silvia Stöber, tagesschau.de