Experten zum Euro-Hilfspaket Euro-Rettungsschirm: Chance oder Desaster?

Stand: 21.05.2010 17:54 Uhr

Ein riesiger Rettungsschirm soll über den Euro gespannt werden. Mit rund 750 Milliarden Euro wollen EU und Internationaler Währungsfonds die europäische Gemeinschaftswährung schützen. Wie sinnvoll ist dieses Rettungspaket? tagesschau.de hat führende Wirtschaftswissenschaftler dazu befragt.

Seit acht Jahren haben wir den Euro in unseren Portemonnaies. Nun ist erstmals ein milliardenschweres Rettungspaket nötig, um die Gemeinschaftswährung zu stabilisieren. Deutschland beteiligt sich mit rund 148 Milliarden Euro und trägt damit den höchsten Anteil am 750-Milliarden-Euro-Gesamtpaket. Das Geld aus Deutschland soll aber erst einmal nicht direkt fließen. Stattdessen geht es um staatliche Bürgschaften für Kredite, die später mit Zinsen zurückgezahlt werden müssen.

Damit wollen EU und Bundesregierung ein klares Signal senden: Auf die Finanzstabilität des Euro-Raumes ist Verlass, Spekulationen gegen den Euro lohnen sich nicht. Doch wie beurteilen Experten den Rettungsschirm?

tagesschau.de hat Hans-Werner Sinn (Präsident ifo Institut), Michael Christopher Burda (Professor für Volkswirtschaftslehre) und Thomas Straubhaar (Direktor Hamburgisches WeltWirtschaftsInstitut) um ihre Einschätzung gebeten.

Hans-Werner Sinn: "Nicht im deutschen Interesse"

Hans-Werner Sinn: "Nicht im deutschen Interesse"

Indem Deutschland für die europäischen Schuldenländer bürgt, verschafft es seinen Konkurrenten auf dem Kapitalmarkt weiterhin ungebremsten Zugang zum deutschen Sparkapital. Diese Politik liegt nicht im deutschen Interesse, denn die ersparten Mittel werden dringend in Deutschland gebraucht.

Während die Staaten der europäischen Peripherie sich zum Teil hemmungslos verschuldeten und ihre Volkswirtschaften in einen Rauschzustand versetzten, erschlaffte Deutschland. Deutschland hat seit 1995 von allen Ländern am wenigsten zuhause investiert, und es war Vizeschlusslicht beim Wirtschaftswachstum. In letzter Zeit floss über die Hälfte der deutschen Ersparnisse über die Banken in ausländische Investitionsprojekte und ausländischen Konsum.

Die deutschen Bürgschaften sind darüber hinaus gefährlich für die Stabilität Europas, weil sie die Schuldner zur Fortsetzung ihrer Maßlosigkeit ermuntern und die Anleger belohnen, die deren Staatspapiere erwarben, weil sie auf den Freikauf spekulierten. Wenn Deutschland nun einen Rettungsschirm aufspannt, dann ist es unerlässlich, dass die Ansprüche der Gläubiger gekürzt werden, bevor deutsches Steuergeld in die Haftung genommen wird. Nur so kann man die Schuldenlawine bremsen. Dieses fundamentale Manko veranlasst das ifo Institut, den Rettungsschirm in dieser Form abzulehnen. Die Zeit für Nachverhandlungen auf europäischer Ebene besteht.

Michael Christopher Burda: "Es gibt keine Alternative"

Michael Christopher Burda: "Es gibt keine Alternative"

Es gibt leider gegenwärtig keine Alternative zum Euro-Rettungsschirm. Denn die Gefahr eines Flächenbrands kann nicht ausgeschlossen werden. Dieser wäre noch größer als der, den wir nach der Lehman-Pleite im Oktober 2008 erlebt haben.

Der Austritt Griechenlands aus der EU, der Rausschmiss aus der Währungsunion oder die Wiedereinführung der Drachme wären von massiven Unwägbarkeiten begleitet, die nur Ideologen oder Träumer ignorieren können. Wir wissen einfach nicht, wie stark die Auswirkungen eines Staatsbankrotts im Euroland sein könnten. Nicht nur die französischen Banken, sondern auch deutsche, niederländische und andere europäische Kreditinstitute wären betroffen.

Mit großer Wahrscheinlichkeit würde die Finanzwirtschaft von einer zweiten Kreditklemme heimgesucht, mit negativen Folgen für die Konjunktur. Die Einführung der Drachme würde der deutschen Wirtschaft großen Schaden zufügen. Sich unbedacht auf diese Gefahren einzulassen - gerade zur Zeit der größten Wirtschaftskrise seit 75 Jahren - wäre fahrlässig und unverantwortlich.

Die Politiker, auch die deutschen, haben beim Maastricht-Vertrag massive Versäumnisse zu verantworten, indem sie die Möglichkeit eines schleichenden Euro-Staatsbankrotts schlichtweg ignoriert haben. Eine "no-Bailout Klausel" für Griechenland ist einfach nicht glaubhaft, wenn die eigenen, überdimensionierten und unverantwortlich handelnden Finanzinstitute mit im Schlamassel stecken. Aber jetzt haben wir den Salat. Die damalige Entscheidung, chronische Defizitsünderländer ins Euroland einzulassen, war ein Fehler, kann aber nicht mehr zurückgedreht werden.

Thomas Straubhaar: "Das ist eine Bankrotterklärung"

Thomas Straubhaar: "Das ist eine Bankrotterklärung"

Das Hilfspaket von 750 Milliarden Euro zur Rettung der europäischen Gemeinschaftswährung ist in doppelter Hinsicht eine Bankrotterklärung. Erstens ist es das Ende des Stabilitätspakts. Der hatte sich schon vorher als Papiertiger erwiesen. Schon dass die Euroländer dem in finanzieller Not steckenden Griechenland direkt geholfen hatten, hat ihm endgültig den Garaus gemacht. Die Rettung Griechenlands kommt nicht nur einem Persilschein für andere hoch verschuldete Euroländer gleich, die in Zukunft andere zahlen lassen werden, statt selber zu sparen. Es schlägt auch auf die Europäische Zentralbank zurück. Sie hat ihre politische Unabhängigkeit verloren. Die in mehr als zehn Jahren aufgebaute Glaubwürdigkeit und damit auch das Erbe der Bundesbank stehen auf dem Spiel.

Zweitens wird der demokratische Entscheidungsprozess mit Füßen getreten, wenn aus dem Stand innerhalb weniger Tage ein Gesetz durch Bundestag und Bundesrat gepeitscht werden muss. Auch wenn das ganz grundsätzlich und immer ein Demokratiedefizit ist, kommt hier angesichts der horrenden Summe, um die es beim Rettungsschirm geht, doch noch ein besonderes Element hinzu.

Und dennoch haben Regierung und Parlament richtig entschieden. Es gibt politische Situationen, in denen TINA gilt, There Is No Alternative. Dann sind rasches Handeln und politische Führungsstärke gefordert. Gerade Deutschland hatte zu lange geschwankt und so die Unsicherheit mit verstärkt.

Alternativen, wie die Forderungen, die Griechen aus dem Euro oder gar aus der EU hinauszuwerfen oder ein freiwilliger Austritt Deutschlands aus dem Euroraum, sind in der Realität unbrauchbar. Sie zeugen von einer schlichten Unkenntnis der rechtlichen Gegebenheiten und einer Missachtung historischer Erfahrungen. Zudem sind sie auch aus ökonomischer Sicht eine wenig erfolgversprechende Antwort auf ein ohne Frage schwieriges Problem, das aber durch Polemik und Populismus nicht einfacher, sondern schwieriger zu lösen ist.