Kolumne Euroschau Mario Draghi - ein EZB-Präsident auf falschem Kurs
Vor einem Jahr trat er an, um die Währungs- und Finanzkrise in der Europäischen Union einzudämmen - doch seine Bilanz ist verheerend: EZB-Präsident Draghi brach mit den ehernen Prinzipien der Geldstabilität und Unabhängigkeit. Seine Maßnahmen verpufften bisher jedoch wirkungslos.
Von Klaus-Rainer Jackisch, HR
Seine Freunde nennen ihn "Super Mario". Seine Kritiker "Falschmünzer". Er selbst möchte nur einen guten Job machen. Doch bislang hat er vor allem viel Porzellan zerschlagen: Mario Draghi, seit genau einem Jahr dritter Präsident der Europäischen Zentralbank. Was seine Vorgänger niemals gewagt oder auch nur gewünscht hätten, hat der 65-jährige Italiener mit Brachialgewalt in nur zwölf Monaten geschafft: Von Fundament, Auftrag, Ethos und Ansehen der einst hoch respektierten Notenbank ist nicht viel übrig geblieben - auch nicht von ihrer Unabhängigkeit.
Der Bruch mit dem Prinzip der Geldstabilität
Zugegebenermaßen hat Mario Draghi einen extrem schweren Job in turbulenten Krisenzeiten übernommen. Doch den Kurs, den er in der Eurokrise eingeschlagen hat, macht vielen Bürgerinnen und Bürgern große Sorgen. Von Anfang an hat er die Notenbank zu einer angelsächsisch geprägten Zentralbank umgebaut. Hier zählt nicht mehr die Wahrung der Geldwertstabilität als oberstes Prinzip. Hier geht es nur noch darum, Finanzmärkte zu besänftigen und sie mit billigem Geld ruhig zu stellen.
Draghi begann seine Amtszeit mit einer umstrittenen Zinssenkung. Zwei weitere folgten. Jetzt befindet sich der Leitzins auf Rekordtief bei 0,75 Prozent. Der Effekt dieser Maßnahmen ist gleich Null. Normalerweise dienen sinkende Zinsen dazu, Unternehmen günstiger Kredite zu gewähren. Damit sollen sie zu Investitionen ermuntert werden. Faktisch haben die Schritte dies aber nicht bewirkt. Die Investitionstätigkeit in den meisten Euro-Ländern ist deutlich rückläufig. Bei steigernder Arbeitslosigkeit und sinkender Wirtschaftsleistung kann auch billiges Geld kein Anreiz für Firmen sein, neue Produktionsstätten zu errichten. Hinzu kommt, dass die EZB ihr Pulver weitgehend verschossen hat. Bei einer weiteren Zuspitzung der Krise hat sie kaum noch Mittel zur Verfügung.
Kaufkraft und Rücklagen schmelzen
Seit Amtsantritt verspricht Mario Draghi, Preisstabilität zu wahren. Die Realität sieht anders aus. Alle von der EZB monatlich herausgegebenen Prognosen über die Entwicklung der Preisstabilität sind Makulatur. In den zwölf Monaten von Draghis Wirken wurde das Ziel der EZB, eine Inflationsrate von knapp unter zwei Prozent zu erreichen, nicht ein einziges Mal erreicht. Noch schlimmer: Es wurde deutlich verfehlt. Derzeit liegt die Inflation in der Eurozone bei 2,5 Prozent. Angesichts niedriger Zinsen verlieren Sparer jeden Tag Kaufkraft. Wer konservativ anlegt und vorsorgt, ist der große Verlierer von Draghis Geldpolitik. Seine Rücklagen schrumpfen faktisch jeden Tag.
Viel Aufwand - wenig Effekt
Mit einer "Dicken Bertha" wollte Draghi die Eurokrise in den Griff bekommen. Milliarden wurden in die Finanzmärkte gepumpt. Das billige Geld wurde von Spekulanten gerne genommen, um noch mehr herumzuzocken. Doch von einer durchgreifenden Lösung der Eurokrise ist die Gemeinschaft weiter entfernt als je zuvor. Das gilt auch für die Ankündigung, Staatsanleihen von Krisenstaaten in unbegrenzter Höhe kaufen zu wollen.
Außer einer trügerischen Ruhe an den Finanzmärkten hat das Projekt bislang wenig bewirkt. Die Anleihemärkte sind weiterhin von jeder Normalität entfernt. Das Interbanken-System funktioniert nicht, denn die Kreditinstitute haben gegenseitig kein Vertrauen. Faktisch läuft das Euro-System in weiten Teilen nicht rund.
Abschreibung von EZB-Geldern droht
Gleichzeitig sind die Risiken der EZB dramatisch gestiegen. Unter Draghi wurden die Anforderungen an Sicherheiten, die die Banken für Zentralbankgeld hinterlegen müssen, immer weiter gelockert. Jetzt sieht sich die EZB dem Vorwurf ausgesetzt, dass sie im Falle Spaniens besonders lax Geld vergeben haben soll. Danach habe sie sogar gegen ihre eigenen, verwässerten Statuten verstoßen. Draghi hat diese Vorwürfe mehrfach zurückgewiesen. Jetzt will er sie zumindest untersuchen lassen.
In den Büchern der EZB liegen nicht nur mangelhafte Sicherheiten, sondern auch Anleihen von Staaten wie Griechenland und Co. Im schlimmsten Fall müssen sie eines Tages abgeschrieben werden. Mit dieser Politik wurde unter Draghi die Unabhängigkeit der Notenbank Schritt für Schritt verringert. Die EZB hat sich immer stärker in die Nähe der Staatsfinanzierung gebracht, die ihr untersagt ist.
Die EZB als Handlanger der Spekulanten
Unter dem Strich ist das erste Amtsjahr von Draghi also eine große Enttäuschung. Unter ihm hat sich die EZB zu einem Handlanger der Märkte gemacht, in der die Kosten und Risiken der Finanzkrise nicht von den Verursachern - also den Spekulanten und den Banken - sondern von den Bürgerinnen und Bürgern der Währungsunion getragen werden. Gleichzeitig hat sie ihren Auftrag, stabile Preise zu gewährleisten, weitgehend an den Nagel gehängt.
Mario Draghi weiß, dass vor allem die Bevölkerung in Deutschland mit der bisherigen Bilanz höchst unzufrieden ist. Besuche auf öffentlichen Veranstaltungen und im Bundestag, ja sogar die Einsetzung einer deutschen "Mrs. Euro" als neue Presse-Koordinatorin sollen das Image nun aufpolieren. Das wird aber nicht viel helfen. Denn Signore Draghi ist auf dem falschen Kurs. Der hat, so Ex-EZB-Chefvolkswirt Jürgen Stark, mit Geldpolitik nichts mehr zu tun.