Interview

Marktforscher Bürkl zur Verbraucherstimmung Shoppen statt sparen

Stand: 26.07.2012 16:40 Uhr

Zwar gerät auch Deutschland in den Strudel der Eurokrise - doch die Kauflaune der Verbraucher steigt trotzdem. Das sei nur ein scheinbarer Widerspruch, meint GfK-Marktforscher Rolf Bürkl im Interview mit tagesschau.de - und erklärt, warum es durchaus sinnvoll ist, geplante Investitionen vorzuziehen.

tagesschau.de: Die Konjunkturaussichten trüben sich ein. Und trotzdem steigt die Kauflaune der Menschen. Wie passt das zusammen?

Rolf Bürkl: Die Verbraucher bewerten die eigene finanzielle Lage wesentlich optimistischer als die gesamtwirtschaftliche Situation. Sie sehen sehr wohl, dass Deutschland in den Strudel der Eurokrise hineingezogen wird. Auf der anderen Seite haben sie aber auch den Eindruck, dass die Krise sie bislang persönlich nicht erreicht hat. Und de facto wurden die Verbraucher hierzulande auch nicht zusätzlich belastet, etwa mit Steuer- oder Abgabenerhöhungen.

Hinzu kommt, dass für den Konsum entscheidende Größen - die Einkommensentwicklung, die gute Lage auf dem Arbeitsmarkt und die niedrige Inflation - sich aus Sicht der Verbraucher derzeit überaus günstig entwickelt haben. Die Rahmenbedingungen stimmen also.

Konsumforscher Rolf Bürkl
Zur Person
Der Volkswirt Rolf Bürkl arbeitet seit 1992 bei der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) und ist dort verantwortlich für die regelmäßige Erhebung der Verbraucherstimmung in Deutschland, deren Interpretation sowie die Erstellung des Konsumklimas.

"Das Vertrauen in die Finanzmärkte ist erschüttert"

tagesschau.de: Welcher Faktor ist letztlich ausschlaggebend für die Entscheidung, Geld in den Konsum zu stecken?

Bürkl: Der zentrale Punkt ist die Situation auf dem Arbeitsmarkt. Sinkende Arbeitslosigkeit und steigende Beschäftigung führen zu mehr Planungssicherheit - und die ist wichtig für größere Investitionen. Das ist im privaten Bereich vergleichbar mit Investitionsentscheidungen bei größeren Unternehmen. Neben der guten Einkommenssituation wird die Konsumneigung in Deutschland durch die aktuelle Finanzkrise gestützt. Das Vertrauen in die Finanzmärkte ist erschüttert.

Wenn die Menschen vor der Entscheidung stehen, was sie mit ihren finanziellen Mitteln machen - es zu historisch niedrigen Zinsen auf die Bank tragen oder in den Konsum stecken -, dann tendieren sie eher zu werthaltigen Anschaffungen.

tagesschau.de: Welche werthaltigen Anschaffungen kaufen die Menschen?

Bürkl: Das beginnt mit Immobilien, in deren Schlepptau werden aber auch beispielsweise Möbel und Küchen zurzeit stark nachgefragt. Sie setzen also auf Sachwerte.

"Viele setzen auf Gold- oder Silberschmuck"

tagesschau.de: Ist auch die Investition in Gold für die Verbraucher ein Schutz gegen die Risiken der Finanzkrise?

Bürkl: Gold ist sicherlich auch für viele eine Alternative, wobei das auch sehr spekulativ sein kann, da der Goldpreis starken Schwankungen ausgesetzt ist. Aber viele Menschen kaufen auch Gold- oder Silberschmuck. Auf diese Weise investieren sie in die Edelmetalle - und haben zugleich einen direkten Nutzen davon.

tagesschau.de: Das heißt, die Verbraucher haben Angst um ihr Geld und geben es deswegen lieber schnell aus?

Bürkl: Vor allem haben sie Angst um die Stabilität der Währung und suchen daher nach sicheren Investitionen. In früheren Krisen haben wir bei Wirtschaftsabschwüngen stets eine andere Entwicklung festgestellt: Wenn die Konjunktur nachließ, ging sofort die Konsumneigung zurück und die Verbraucher hielten ihr Geld zusammen.

Momentan ist es so, dass Sparen aus Sicht der Verbraucher nicht attraktiv und mit Unsicherheiten behaftet ist. Wie geht's mit dem Euro weiter? Werden wir ihn in zwei Jahren noch in dieser Form haben? Diese Überlegungen spielen hier mit rein. Von daher ist es eine plausible und rationale Entscheidung, wenn viele Verbraucher langfristige Investitionen - Stichwort Wohnungskauf oder energetische Gebäudesanierung -, die sie für später geplant haben, jetzt vorziehen. 

"Gutes Zusammenspiel von Politik, Arbeitgebern und Arbeitnehmern"

tagesschau.de: Warum blieb in Deutschland bislang - anders als in anderen Staaten - trotz der Krise der Einbruch der Wirtschaft aus?

Bürkl: Der Schlüssel liegt in den Jahren 2008 und 2009: Als Reaktion auf die Krise gab es ein sehr gutes Zusammenspiel von Politik, Unternehmen und Beschäftigten, vertreten durch die Gewerkschaften. Von politischer Seite wurden Arbeitsmarktreformen vorangetrieben, unter anderem schon in früheren Jahren in Form der Agenda 2010. Außerdem wurden Arbeitszeitkonten eingerichtet, die in der Krise stark genutzt wurden.

Zusätzlich weitete die Politik damals die Maßnahmen zur Kurzarbeit aus. Als Folge mussten die Unternehmen ihre Mitarbeiter nicht entlassen. Und die Gewerkschaften verzichteten auf übermäßige Lohnerhöhungen.

Das alles führte dazu, dass Deutschland neben Österreich das einzige Land in Europa ist, in dem die Arbeitslosigkeit niedriger ist als vor der Krise 2007. Und das ist die Grundlage für die derzeit gute Konsumstimmung.

tagesschau.de: Wann kann die gute Stimmung der Verbraucher wieder kippen?

Bürkl: Das hängt von zwei Faktoren ab. Auf der einen Seite ist die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt entscheidend. Sollten sich in den nächsten Monaten die Meldungen häufen, dass Unternehmen Personal entlassen, dann kann die Stimmung sehr schnell wieder kippen. Dann steigt sofort die Angst vor der Arbeitslosigkeit bei den Beschäftigten und man wird beim Konsum wieder vorsichtiger.

Der andere Punkt ist die Eurokrise. Die Verunsicherung der Verbraucher muss beseitigt werden. Die Politik muss vor allem erklären, warum bei der Euro-Rettung bestimmte Maßnahmen ergriffen werden – und andere nicht. Denn für viele Verbraucher ist das ganze Thema Eurokrise zu komplex geworden. Viele haben da die Übersicht verloren.

Das Interview führte Jörn Unsöld, tagesschau.de.