Interview

Syriza-Berater vor der Wahl "Griechenland braucht ein Schuldenmoratorium"

Stand: 13.06.2012 12:14 Uhr

Am Wochenende wählen die Griechen erneut. Maßgeblich verantwortlich dafür ist die linksradikale Syriza, die eine Regierungsbildung verhinderte. Im Interview mit tagesschau.de erklärt der Finanzexperte der Partei, Paraskevopoulos, weshalb er ein dreijähriges Schulden-Moratorium für Griechenland fordert.

tagesschau.de: Am 17. Juni wird in Griechenland gewählt. Welche Erwartungen hat ihre Partei, Syriza, an die Wahl?

Theodoros Paraskevopoulos: Die Umfragen sagen voraus, dass es sehr knapp wird. In einigen liegen wir vorn, bei anderen nicht. Wir gehen in die Wahl, um die absolute Mehrheit zu holen, das wird aber schwer. Deshalb hoffen wir, nach der Wahl eine Koalition mit anderen linken Parteien zu bilden. Eine dritte Wahl wird es unserer Meinung nach nicht geben. Wenn wir nicht gewinnen, dann gewinnen die Konservativen.

tagesschau.de: Auf welche Partner setzt Syriza?

Paraskevopoulos: Wir verlassen uns auf die kleine Partei der demokratischen Linken, die erklärt hat, dass sie eine linke Regierung möchte. Wir haben allerdings einige Differenzen mit ihnen in taktischen Fragen der Gespräche mit unseren europäischen Partnern.

Zur Person

Theodoros Paraskevopoulos ist ein enger Berater des Syriza-Vorsitzenden Alexis Tsipras. Die linksradikale Partei hat bei den vergangenen Wahlen die zweitmeisten Stimmen bekommen. Paraskevopoulos ist Wirtschaftswissenschaftler, hat in Kiel studiert und lebt derzeit in Athen.

tagesschau.de: Im Falle eines Wahlsieges hat Syriza angekündigt, die Abkommen mit den internationalen Geldgebern zu kündigen...

Paraskevopoulos: Was jetzt in Europa passiert, ist unvernünftig. Die momentane Politik ist unsolide. Wir haben ganz klar gesagt, dass wir ein Gesetz ins Parlament einbringen werden, das alle Eingriffe in das innere Recht annulliert. Kein internationales Abkommen kann bestimmen, wie hoch die griechischen Renten sind oder wie Verhandlungen über Tarifabschlüsse ablaufen. Das sind Sachen des inneren Rechts - das wollen wir wieder herstellen. Zurzeit wird Geld zum Fenster hinausgeworfen. In Irland, Portugal, Griechenland und jetzt auch in Spanien. Mit dieser Politik werden die Länder niemals ihre Schulden zurückzahlen können.

tagesschau.de: Wie könnten Sie es denn?

Paraskevopoulos: Wir schlagen unseren Partnern eine europäische Schuldenkonferenz vor. Daran sollen Regierungen teilnehmen, aber auch Wissenschaftler und Gewerkschaftler. Unser Vorschlag ist ein Moratorium für die Krisen-Länder, damit sie ihre Wirtschaft wieder in Gang bringen.

tagesschau.de: Wie lange soll ein solches Moratorium dauern?

Paraskevopoulos: Wir glauben, dass ein mittelfristiges Moratorium von drei Jahren ausreichen wird. Das gilt unter der Voraussetzung, dass wir es schaffen, pro Jahr die Staatseinnahmen um ein Prozent der Wirtschaftsleistung zu steigern.

tagesschau.de: Wer soll Ihnen dieses Moratorium finanzieren?

Paraskevopoulos: Letztlich ist das Verhandlungssache. Das wollen wir mit unseren Partnern diskutieren.

tagesschau.de: Welche Probleme hat Syriza mit dem momentanen Sparkurs?

Paraskevopoulos: Momentan werden Gelder ausgegeben, nur damit Schulden zurückgezahlt werden können. Griechenland, Portugal und Irland nehmen Kredite auf, nur um Kredite zurückzuzahlen. Das ist kein gesundes Wirtschaften. Man muss den Ländern Zeit und Möglichkeiten geben, ihre Wirtschaft wieder anzukurbeln. Für die Rückzahlung der Kredite schlagen wir eine Wachstums- und Beschäftigungsklausel vor. Auslandsschulden sollen dann zurückgezahlt werden, wenn es ein wirtschaftliches Wachstum gibt.

tagesschau.de: Sie sind gegen den Sparkurs, aber für einen Verbleib in der Eurozone. Wie soll das gehen?

Paraskevopoulos: Mir sollte mal jemand erklären, wieso das nicht gehen soll. Wir meinen, dass der momentane Kurs zum Ruin der griechischen Wirtschaft führt. Das ist kein Sparkurs, das ist Kürzungspolitik.

tagesschau.de: Aber es wird doch weniger Geld ausgegeben...

Paraskevopoulos: Die Frage ist: Haben die Verpflichtungen gegenüber Banken und Gläubigern den Vorrang, oder gegenüber den Kindern, Kranken, Rentnern und Arbeitslosen? Das ist eine wichtige Frage, die politisch entschieden werden muss.

tagesschau.de: Griechenland hat in der Vergangenheit zu viel Geld ausgegeben. Wo will Syriza die Ausgaben kürzen?

Paraskevopoulos: Erstens bei der Rüstung, zweitens haben wir ein Programm der Verbilligung der Staatsverwaltung. Wir wollen die Verwaltung nicht schrumpfen, sondern billiger machen. Drittens bei der Beschaffung von Gütern und Dienstleistungen, die der Staat braucht. Wir haben eine genaue Auflistung gemacht und gesehen, dass es an vielen Stellen die Möglichkeit gibt, billigere Preise zu bekommen. Das ist möglich, weil der Staat ein großer Nachfrager ist. In der Vergangenheit ist das versäumt worden.

tagesschau.de: Wie verhält sich ihre Partei im Falle einer Niederlage? Werden sie dann zu Streiks aufrufen?

Paraskevopoulos: Streiks werden von Gewerkschaften ausgerufen. Wir unterstützen politisch viele Forderungen der Gewerkschaften. Wenn Syriza nicht gewinnt, werden die bisher regierenden Parteien ihre Verhandlungen mit der Europäischen Union fortsetzen, um vielleicht Schönheitskorrekturen an den bestehenden Abkommen vorzunehmen. So wird Griechenland wirtschaftlich ruiniert und unsere Partner können sich sicher sein, dass ihre Kredite nicht zurückgezahlt werden. Wir meinen, das ist der falsche Kurs. Was Griechenland braucht ist Mut: Als Beispiel nenne ich den Kurswechsel der Bundesrepublik bei der Energiewende. Nach der Katastrophe in Fukushima haben sie sich um 180 Grad gedreht.

tagesschau.de: Sie vergleichen die derzeitige Situation Griechenlands mit der Fukushima-Katastrophe?

Paraskevopoulos: Ja.

tagesschau.de: Es gibt eine gewisse Angst vor dem linksradikalen Kurs von Syriza. Ist diese Sorge berechtigt?

Paraskevopoulos: Ich habe nie verstanden, was der linksradikale Kurs sein soll. Das Wort radikal hat im Griechischen eine andere Bedeutung als im Deutschen. Was sie linksradikal nennen, das nennen wir Linksaußen. Radikal heißt bei uns eher konsequent. Und das sind wir.

Griechenland ist ein Fass ohne Boden. Das liegt aber an den momentanen Bedingungen. Unter anderen Bedingungen könnte das Geld sehr sinnvoll angelegt werden. Wir brauchen die Hilfe unserer europäischen Partner, aber vielleicht brauchen wir nicht so viel Geld von ihnen.

Das Interview führte Florian Pretz, tagesschau.de